Kultur im Disput

Dr. Gerhard Schewe

„Der Staat schützt und fördert die Kultur.“ So soll es nach dem Willen der Enquêtekommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ künftig in einem neuen Artikel 20b des Grundgesetzes heißen. Der Abschlussbericht besagter Kommission mit seinen 465 Handlungsempfehlungen liegt seit einem guten halben Jahr vor: eine zu kurze Frist wahrscheinlich, um schon Ergebnisse erwarten zu können, zumal ein Großteil dieser Empfehlungen wegen der Kulturhoheit der Länder ja – wenn überhaupt – erst noch in entsprechende Rechtsvorschriften überführt werden muss. Man darf im konkreten Berliner Fall also darauf gespannt sein, wann und wie der Kultursenator Klaus Wowereit und sein Staatssekretär André Schmitz auf das vom Bundestag gebilligte Dokument reagieren werden.

Zwei allgemeine Folgerungen kann man aber wohl bereits im Voraus absehen. Die Kommission verständigte sich auf einen Kulturbegriff, der die gerade in Deutschland traditionell verwurzelte Eingrenzung von Kultur auf die Künste und ihre Institutionen sprengt. In Anlehnung an die UNESCO wird Kultur jetzt „als Gesamtheit der unverwechselbaren geistigen, materiellen intellektuellen und emotionalen Eigenschaften“ definiert, „die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen, und die über Kunst und Literatur hinaus auch Lebensformen, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen umfasst.“ Da diese Eigenschaften, Lebensformen, Wertesysteme usw. in ständiger Veränderung begriffen sind, ist also auch Kultur als deren Ausdruck etwas, was nicht ein für allemal unverändert fortbesteht.

Mit dieser Einsicht ist aber auch der Begriff der „deutschen Kultur“, dem ja etwas Statisch-Museales anhaftet, fragwürdig geworden, und konsequenterweise heißt es in dem Bericht der Kommission ja auch „Kultur in Deutschland“, was der Existenz anderer Kulturen neben der eigenen, nationalen Rechnung trägt und die Idee einer Leitkultur verwirft.

Zu den Kernpunkten des Berichts zählt die Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen, die kulturelle Infrastruktur zu erhalten und auszubauen, insbesondere jene Einrichtungen, die für die so wichtige kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen unerlässlich sind. Von Rechts wegen dürfte also keine einzige Musikschule mehr geschlossen werden, keine einzige Stunde Kunsterziehung mehr ausfallen, keine einzige Bibliothek mehr ihre Leistungen reduzieren. Aber natürlich wird dann wieder von Sachzwängen, vom fehlenden Geld die Rede sein. Wie dieser Widerspruch zwischen guten Absichten und politischen Realitäten aufgehoben werden kann, wusste auch die Kommission nicht.

Unklar bleibt auch, wie das angestrebte Staatsziel praktisch umgesetzt werden könnte. Was ist beispielsweise schützenswert? Was kann und soll gefördert werden? Worin liegen die Aufgaben von Kulturpolitik? Was noch aussteht, ist eine breite Diskussion der Fragen, die der Bericht zur „Kultur in Deutschland“ aufwirft.

(Abschließende Bemerkungen zur Bewertung von „Kultur in der DDR“ folgen im nächsten Heft.)

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