Wir waren Nachbarn 2008 – Neue Biografien jüdischer Zeitzeugen

F. L. / A. E.

Weitere Alben in der Ausstellung im Rathaus Schöneberg

Am Anfang steht nur ein Name. Nur langsam, nach teilweise komplexen Recherchen, bildet sich die Lebensgeschichte einer Person ab, zeigt sich das Bild des alltäglichen Lebens eines jüdischen Nachbarn, während und – wenn überlebt – nach der Zeit der Naziherrschaft im vorigen Jahrhundert in Berlin-Schöneberg und Tempelhof. Idealerweise entsteht somit die Dokumentation eines kompletten Lebens. Häufig berichten die mit Unterstützung von Mitarbeitern des Kulturrings in Berlin e. V. entstehenden Ausstellungsalben von Diskriminierung, physischen Übergriffen, bestenfalls Flucht und Emigration oder von Deportation und Ermordung. Sie zeigen die Auswirkungen einer industriell organisierten, menschenverachtenden Verfolgung von Bürgern jüdischer Herkunft bis hin zu deren einzelnen individuellen Schicksalen, lassen die Ereignisse der Zeit durch Berichte, Bilder sowie Auszüge aus Dokumenten und Briefen lebendig und nachvollziehbar für den Betrachter werden.

Grundsätzlich werden Berichte von Zeitzeugen zunehmend seltener. Viele sind verstorben, im hohen Alter oder möchten sich nicht mehr an diese Jahre erinnern oder erinnert werden. Besonders schwer war es in diesem Jahr für einen Zeitzeugen, der erstmals nach dem Krieg die Kraft fand, die Briefe seiner Eltern, denen er nicht mehr helfen konnte und die deportiert und ermordet worden waren, in sein Haus zu holen und sie zu lesen.

Dennoch eröffnen sich im Rahmen der Recherchearbeiten immer wieder Ansatzpunkte für neue Alben. Bei der Recherche zu einer Familiengeschichte kann es passieren, dass sich anstatt einer Geschichte plötzlich ein Netzwerk möglicher Geschichten auftut. Nun gilt es abzuwägen: Gibt es unwichtige Geschichten? Was geschieht mit den neuen Erkenntnissen? Lässt sich aus den Informationen für die diesjährige Ausstellung möglicherweise ein inhaltlicher Schwerpunkt entwickeln? Immer wieder ergeben sich Änderungen, denn Materialien lassen sich oft nicht beschaffen, Informationen letztlich nicht verifizieren, oder die geplante und anrecherchierte Spurensuche zu einer Person nicht im Bezirk Tempelhof-Schöneberg ansiedeln.

Der durch die zunehmend verstreichende Zeit forcierte, mögliche Übergang zum leichteren Vergessen lässt die Bedeutung der Ausstellung wachsen. Daher schaffte und schafft die im Haus am Kleistpark seit mehr als 20 Jahren kontinuierlich fortgeführte Erinnerungsarbeit ein zunehmend größeres, unverzichtbares, und beständig weiter wachsendes anschauliches „Archiv der Erinnerungen“ für nachfolgende Generationen.

Seit der letzten Ausstellung 2007 sind neun weitere Alben in Bearbeitung. Sie werden in der Ausstellung „Nachbarn 2008“ im Rathaus Schöneberg erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Einige der neuen Alben beschäftigen sich mit öffentlich bekannten Personen. Andere, gleichwohl interessant, berichten von Menschen, deren „unspektakuläres“ Leben niemals so dokumentiert worden wäre, hätten sie nicht zu jener Zeit gelebt. Doch gerade diese Einblicke ins angeblich „einfache Leben“ schaffen die besondere Nachvollziehbarkeit für den Besucher. Alle gezeigten Alben sind Teile eines unvollständigen, historischen Puzzles, in dem wahrscheinlich für immer Teile fehlen werden, trotz intensiver, kontinuierlicher Weiterarbeit.

Zusätzlich zu den Alben finden sich in der Ausstellung ergänzende, grundlegende Informationen zu den Themen Emigration, Exil, Flucht und Deportation auf ausgestellten Informationstafeln, sowie in ausgelegten Büchern und Verzeichnissen. Weiterhin sind Berichte jüdischer und nichtjüdischer Zeitzeugen im Ausstellungsfilm „Geteilte Erinnerungen“ zu sehen und zu hören.

Die Ausstellung wird vom 28. Januar bis 27. April 2008 in der Ausstellungshalle des Rathauses Schönberg zu sehen sein. Im Rahmen der Ausstellungseröffnung am 27. Januar 2008 im Foyer des Rathauses Schöneberg findet u. a. in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz statt.

Für das diesjährige Rahmenprogramm sind Veranstaltungen zum Thema: „Auswirkungen des erzwungenen Exils auf die einzelne Person“ geplant.

Detaillierte Informationen und Daten zur Ausstellung sowie zu den Veranstaltungen des Rahmenprogramms sind der aktuellen Berichterstattung in den Medien zu entnehmen.

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