Russisches Nachspiel

Nele Saß

Der Kulturring in Berlin e.V. präsentiert in Kooperation mit dem 50. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm acht russische Dokumentarfilme aus den letzten beiden Produktionsjahren, die auf Filmfestivals in Russland bereits viele Preise gewonnen haben und die wenige Tage davor auf dem Leipziger Festival vorgestellt werden, darunter die beiden Debütfilme „Ugolnaja Pyl“ (Kohlenstaub) von der jungen Regisseurin Maria Miro und „Ne strashno“ (Es ist nicht schlimm) von Svetlana Fyodorova.

In den Filmen, die an zwei Abenden in der Galerie Carlshorst gezeigt werden, dominieren Themen der Auseinandersetzung mit der eigenen wie der kollektiven Geschichte, der Kraft zwischenmenschlicher Beziehungen sowie Reflektionen zu einem zu erhaltenden Status Quo – und das auf ganz verschiedenen Ebenen. Während in Arkadij Kogans filmischem Porträt des zur Zeit wohl bedeutendsten Drehbuchautors in Russland, Jurij Arabov, („Jurij Arabov. Mechanika sudby“ – Die Mechanik des Schicksals), Leben und Schreiben für den Film in eins gesetzt werden, entwickelt Michail Zheleznikov in „Kollekcija No.1“ (Sammlung Nr.1) eine subjektive Kindheitsphantasie, deren Bilder und Themen in durchgängig persönlichem Erzählton auch eine kleine Geschichte der Sowjetunion darstellen. Valerij Balajan rekonstruiert einen wichtigen Teil der russischen (Film-)geschichte der letzten 40 Jahre, wenn er der Verbotsgeschichte des 1967 von Aleksandr Askoldov gedrehten Films „Die Kommissarin“ nachgeht, eines Films, der wegen seiner pro-jüdischen Töne Ende der 60er Jahre trotz allgemeinen Vorlobes in der Sowjetunion nicht gezeigt werden konnte und erst 1987 seine Uraufführung erlebte („Askoldov. Sudba komissara“ – Das Schicksal des Kommissars). Aleksej, der Held aus dem Film „Idiot“ von Julia Panasenko und Svetlana Strelnikova dagegen kämpft um die Wiedererlangung seiner „Rechtsfähigkeit“: Seinem abenteuerlichen Ausbruch aus der Psychiatrie schließen sich nicht weniger mühevolle Wege durch die heutige Bürokratie an. Svetlana Fyodorovas behutsame Beobachtung eines Tages in einer langjährigen Beziehung „Ne strashno“ (Es ist nicht schlimm) widmet sich ebenfalls einer stark personalisierten Geschichte. Die beiden Protagonisten erleben vor der Kamera einen gemeinsamen Tag auf dem Land, an dem scheinbar nebenher ihr Umgang mit der unheilbaren Krankheit Aids thematisiert wird. Auch „Lyonin kon i Lonya“ (Lonjas Pferd und Lonja) erzählt eine Geschichte vom Land und von existierenden Beziehungen: nur sind dies in Jusif Trachtengerc‘ eigenwilliger Umsetzung einer Erzählung von Lev Tolstoj eben die Beziehungen zwischen Mensch und Tier, bzw. Tier und Tier, sowie am Schluss auch die des Menschen zur Umwelt. Eine Endzeit, die doch auch wieder keine ist, hat Pavel Medvedevs Film „Na tretej ot solnca planete“ (Auf dem dritten Planeten von der Sonne aus) zum Gegenstand, denn auf dem Gelände eines einstigen Raketenstartplatzes in Nordrussland finden sich 45 Jahre nach dem Testen der Wasserstoffbombe keine hohen giftigen Spurenreste mehr in der Erde. Umso erstaunlicher wirken daher die futuristischen visuellen Eindrücke der übrig gebliebenen Landschaft und das gewöhnliche Leben und Arbeiten seiner Bewohner. „Ugolnaja pyl“ (Kohlenstaub) von Maria Miro untersucht den Mythos des Kohlebergarbeiters im Wandel der Zeit. Den Ausgangspunkt für ihren Film bildet eine Familie in Kopejsk am Ural, die seit Generationen eben diesen Beruf ausübt. Mit gekonnten filmischen Mitteln und in beinahe lapidarem, ruhigem Tonfall werden die Risiken des Bergbaus sowie die ihm eigene „Ästhetik“ vermittelt. So wird auch deutlich, wie sehr sich die Lebensbedingungen der Arbeiter verschlechtert haben. Im Bild des „Kohlenstaubs“ verdichten sich die physikalischen Gefahren mit den die Arbeiter heute bewegenden existentiellen Sorgen.

Alle Filme in Originalsprache mit englischen Untertiteln

Kulturhaus Karlshorst 6. und 13.11.2007 ab 20 Uhr

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