Der Ruhestand als Neuanfang

Michael Hegewald

Volker Barthmuß’ Ausstellung „Stadtlandschaft und Figur“

Wenn man, wie Volker Barthmuß, ein volles Arbeitsleben dort zugebracht hat, wo sich die Linden und die Friedrichstraße kreuzen, war man zwangsläufig umringt von Kunst: Die Ausstellungen auf der Museumsinsel waren in direkter Reichweite, der Kunsthandel unter den Linden zeigte zeitgenössische Zeichnung und Malerei wie auch der damalige Klub der Kulturschaffenden. Mit Sensationen wartete die Akademie der Künste auf in ihren Räumen am Brandenburger Tor und auch in

Ausstellungen im Berliner Marstall, unter anderem mit den taufrischen Präsentationen der Meisterschüler für Malerei. Und es gab rundum die Galerien des Vertrauens wie Inga Kondeynes Rotunde im Foyer des alten Museums, die Galerie Mitte, in den frühen Achtzigern von Brigitte Bayer sorgsam geführt; am Strausberger Platz sorgte Klaus Werner mit seinem Programm für Aufsehen erregende Kollektionen.

Volker Barthmuß, in Heiligendamm diplomierter Architekt, hatte ein Leben lang mit der Farbe zu tun, mit der geplanten Farbgestaltung der boomenden Neubebauung im Land diesseits der Elbe. Es plagten ihn Normierung und Industrialisierung der Wohngestaltung, für die er mit seinen Kollegen Farbcodes und Klangfamilien zu entwickeln hatte. Für Fassaden andere Paletten als für Treppenhäuser, für

Kindereinrichtungen andere als für Wohngebäude. Diese durchaus notwendige Arbeit konnte aber seine Sehnsüchte nicht stillen.

Die andere Seite suchte und fand er in seinen Galerierundgängen im Zentrum Ostberlins, in dieser belebenden Gesellschaft der Maler, Plastiker und Zeichner, der Welt des Diskurses individueller Bildkonstrukte, Botschaften und neuer

Bildfindungen. Volker Barthmuß mischte sich vorsichtig ein und nahm Kontakt auf. Als Otto Niemeyer-Holstein – es war in den siebziger Jahren – am Tor seines

Anwesens in Lüttenort zu ihm sagte, sein Bruder, der Maler, sei gerade nicht da, ließ sich Barthmuß nicht abschütteln und wurde am Ende doch vom Meister durch dessen Refugium geführt. Frau Barthmuß hatte als Fotografin an der Akademie der Künste damals für den Usedomer viel zu arbeiten, und so entspann sich eine lockere, durch viele Aufenthalte auf der Insel genährte langjährige Beziehung. Noch heute zeugt davon ein Portrait aus Niemeyers Hand vom jüngeren Volker.

Barthmuß hat gesammelt. Er sammelte im Kopf die Erfahrungen seiner Galerie-Besuche, verfolgte die Veränderungen im Werk der Protagonisten der Kunstszene und beobachtete dabei sehr genau besonders die Entwicklung der ostdeutschenPeinture. Nur, selbst Hand anzulegen, dazu fehlte vor allem die Zeit. Ein gesunder Respekt angesichts der Qualität seiner Sammlung mag vielleicht auch Mut und Kraft zum eigenen schöpferischen Tun gedämpft haben. Als es vorbei war mit der täglichen Berufserfordernis, mit dem beginnenden Ruhestand fasste sich Volker Barthmuß ein Herz, fing noch einmal von vorne an und setzte die erste Farbe aus eigener Intuition. Er entschied sich vor etwa sieben Jahren zur Teilnahme an verschiedenen künstlerischen Kursen, und so stieß er auch zu mir, um in den von mir geleiteten Programmen für Zeichnung und Malerei zu arbeiten. Recht früh erkannte ich den geschulten Blick dessen, der sich schon immer mit Bildern auseinanderzusetzen und zu umgeben wusste. Ich bemerkte eine hochgradige Sensibilität den Valeurs gegenüber und ein Faible für die menschliche

Figur.

Barthmuß folgt dabei naturgemäß den Erfahrungen der von ihm bevorzugten

Künstler, pendelt, aber wankt nicht zwischen sensualistischem Zugriff in der Farbe und zeichnerischer Prägnanz. Die bildnerischen Themen scheinen oder sind herkömmlicher Natur: Der Mensch und sein Umfeld – Stadtlandschaft und Figur. In der Landschaft spiegelt sich die Erfahrung des im Moloch Berlin groß gewordenen Stadtbürgers. Oft in Draufsichten angelegt – und hierfür sucht und erklimmt er die hoch gelegenen Orte dieser Stadt – treten seine Portraits der Großstadt bewusst entschieden atmosphärisch auf: Es gibt die nur hier auftretenden blassgelben und rosa Himmel, die regenschwarzen Baumgrüns vor durchfeuchteten Fassaden und das berlinische Grau in reichhaltiger Nuancierung. Die topografische Verankerung, wie man sie von Knebel kennt, ist ihm nicht so wichtig wie die Reduktion auf die Zeichenhaftigkeit der Komposition.

Die Zeichnungen und Bilder der Figur, vornehmlich des Aktes, atmen eine wohltuend humane Gesinnung. Stolz und Nähe der Portraits und Leiber schließen sich nicht aus. Dabei ist sein Vorgehen von einer beachtenswerten Behutsamkeit geprägt. Das schließt aber auch das wiederholte Zusammenstreichen errungener Valeurs ebenso ein wie die totale Übermalung. Dieser schichthafte Prozess lagert unter der vibrierenden Bildhaut. Bei der Arbeit mit dem Modell steht der Wille zur großen Form der direkten Anschauung gegenüber, und es baut sich dabei jener oft quälend reibende Widerspruch auf, der im günstigsten Fall die einzige Chance dafür ist, Erfindungen zu überwinden zugunsten der sich beim Arbeitsprozess heraus kristallisierenden Bildfindungen. Und genau das zeigt diese Ausstellung in der Galerie OstArt.

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