Spurensuche

Ralf Nachtmann

Polen und Deutsche fotografierten deutsche Objekte in Polen

Hellersdorf/Sulecin – Sie heißen Jacek, Katarzyna oder Malgorzata, Florian, Tina oder Marco. Insgesamt 20 Männer und Frauen, je zehn aus Polen und Berlin, die meisten von ihnen zwischen 20 und 35 Jahren jung. Was sie vereint, ist ihre Liebe zur Fotografie. Und ihr Interesse an Geschichte, die sich in „Steinen“ zeigt. Im Juni erlebten sie ein spannendes, gleichwohl arbeitsreiches Wochenende. Denn Siegfried Lewerenz vom Kulturring in Berlin und Bartek Skrzypczak vom Suleciner Kulturhaus organisierten ein Foto-Projekt, das es in sich hatte. Mehr als 50 früher deutsche Bauten sollten abgelichtet werden. Doch nicht einfach so – als Vorlage dienten historische Fotografien.

„Wir wollen versuchen, den Blick des damaligen Fotografen noch einmal einzufangen“, stellte Bartek die Idee zu Beginn des Workshops vor. Bei so manchem Objekt erwies sich das als gar nicht so einfach, haben doch zwischen 70 und fast hundert Jahre ihre Spuren hinterlassen. Umbauten, Kriegsschäden, Neuanpflanzungen erforderten zuweilen einen scharf suchenden Blick, und manchmal ließ sich der damalige Standort des Fotografen gar nicht mehr betreten.

Wegen der Menge des Materials hatten die Organisatoren vier gemischte Gruppen zusammen gestellt. Das erwies sich in manchen Momenten als durchaus hilfreich, denn leider konnten die Deutschen kein Polnisch. Trotzdem wurden die Fotografen mehrfach von Bewohnern angesprochen. Und manchmal war deren Blick erst einmal skeptisch. Doch wenn die polnischen Mitstreiter die Idee erklärten, gab es freundliche Hinweise und Anregungen.

Untereinander wurde meist englisch gesprochen, denn auch in der polnischen Gruppe waren nur zwei Teilnehmer des Deutschen mächtig.

Mittlerweile ist die „Nacharbeit“ im Gange. Denn die Gruppe hat insgesamt etwa 3500 Bilder gemacht. Nun wird jeder Teilnehmer für „seine“ Objekte das möglichst genaueste Foto aussuchen. Die Ergebnisse sollen in mehreren Ausstellungen in Polen und Deutschland, darunter im Kulturforum Hellersdorf, gezeigt werden. „Dabei wird auch zu sehen sein, was alles verschwunden ist in den Jahren“, sagt Bartek Skrzypczak.

In Glisno (Gleißen), einem Dorf in der Nähe Sulecins, gab es früher sechs Gaststätten, weiß er zu berichten. Heute ist nicht eine einzige mehr da. „Wenn alles fertig ist, wollen wir auch ein Buch, eine Broschüre mit den Bildern herausgeben“, erzählt er. Es soll so eine Art historischer Reiseführer werden. Von „großer Politik“ will er dabei nichts wissen. „Früher war das hier deutsch, heute ist es Polen“, sagt er. Und: „Das wird ein gutes Buch für Deutsche und Polen. Mit deutschen und polnischen Texten.“

Wie eng die Geschichte beide Seiten vereint, zeigte ein alter Mann, der erzählte, wie er 1945 mit seiner Familie in Sulecin ankam. „Wir fuhren in Güterwagen, hatten jeder nur einen Koffer. Als wir ankamen, hieß es: Ihr nehmt dieses Haus, ihr jenes. Gefragt wurden wir nicht.“ Und fügt nachdenklich hinzu: „Ich wäre lieber im Dorf meiner Jugend geblieben. Ich kann den Schmerz der Deutschen, die vor uns hier lebten, verstehen.“

Wie weit man heute noch auseinander ist, zeigte sich beim Abschlussabend. An der langen Tafel saßen die deutschen Teilnehmer zunächst an einem Ende, die polnischen am anderen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis man sich bei Fußball oder „Stiller Post“ tatsächlich etwas näher kam. Das Polen, das früher deutsch war, ist für die Jungen noch immer ein sehr fremdes Land. Mögen Ausstellungen und Buch auch ihnen den Nachbarn, kaum hundert Kilometer von Berlin entfernt, näher bringen.

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