Tanzen und Autofahren „wie ein Teufel“

Andrea Hinz

Ja, es heißt Tanzleiterin, nicht Tanzlehrerin, und die Tänze werden auch nicht einstudiert, sondern eingebracht. Das erfahre ich von Rita Schubert, ihres Zeichens eine vom Bundesverband für Seniorentanz e. V. zertifizierte Seniorentanzleiterin, die als solche Tanzen im Kulturforum Hellersdorf anbietet, immer mittwochs von zehn bis zwölf, für einen geringen Unkostenbeitrag.

Drei Jahre lang besuchte sie Lehrgänge und Seminare, bevor sie 2000 ihre Prüfung ablegte. Das bedeutete, in eine fremde Gruppe zwei der ca. 30 Tänze des Grundprogramms einzubringen. Welche, wusste sie vorher natürlich nicht. Heute kann Rita Schubert auf ein Repertoire von unglaublichen 400 Tänzen zurückgreifen, 220 davon hat sie in den letzten fünf Jahren – solange gibt es „Tanzen mit Rita“ beim Kulturring – schon durchgenommen.

Nachdem ich einen dieser Mittwochvormittage kennengelernt habe und zum Mitmachen eingeladen worden bin, ist meine Hochachtung vor der Leistung, die hier sowohl Leiterin als auch Teilnehmer erbringen, immens gestiegen. Nicht nur körperliche Fitness, sondern auch das Gedächtnis und vor allem die Konzentrationsfähigkeit werden dabei hervorragend trainiert. Das merkt man den 14 Eleven, Damen und Herren im Alter zwischen 50 und 80 Jahren, an. Mit Schwung und Pep schwingen sie das Tanzbein, sind hoch konzentriert bei der Sache, lachen viel, sehen gut aus, sind sehr kommunikativ und haben – das ist zumindest mein Eindruck – mehr vom Leben.

All das trifft selbstverständlich auch auf die Chefin zu. Und noch anderes: Eine so engagierte Gruppe aus lebenserfahrenen Leuten anzuleiten, braucht nicht nur Fachwissen, sondern auch viel Menschenkenntnis und Fingerspitzengefühl. Besonders die Herren – zugegeben deutlich in der Minderheit (leider) – werden von ihr „wie die rohen Eier“ behandelt. Also Männer, die ihr dieses lest, ran! Trotzdem fällt das geschlechtliche Ungleichgewicht nicht sonderlich ins Gewicht, denn auch wenn neben Kreis- und Reihentänzen Paartanz auf dem Programm steht, ist das problemlos mit Frauen zu absolvieren. Und bei Auftritten – ja, die Gruppe ist so gut, dass sie öffentlich auftritt – schlüpfen einige Damen eben in Männerkostüme. Die Kostüme sind von Mitgliedern der Gruppe passend zum Tanz – ob Menuett, ob Rock’n Roll – selbst entworfen und selbst genäht. Hier ist Phantasie und Inspiration gefragt. So hat sich Rita Schubert z. B. Kissen unter einen weiten Rock geschoben, eine Gardine darüber drapiert und auf ihrem Kopf ein Gebilde aus Watte befestigt – fertig war ein Rokoko-Outfit. „Damit habe ich die Truppe scharfgemacht“, meint sie schmunzelnd.

Wenn die Mitglieder auf so etwas anspringen, die Ideen weiterentwickeln und aktiv sind, ist es freilich kein Wunder, dass Rita Schubert so gern mit ihnen arbeitet. Sie hat ihre jährliche Winterpause auf Teneriffa „wegen Entzugserscheinungen von der Gruppe“ deshalb schon auf acht Wochen verkürzt. Obwohl sie seit zehn Jahren auch dort als Tanzleiterin wirkt. Auf Teneriffa hat nämlich alles angefangen. Sie nahm an einem Tanzkurs teil, die Leiterin sah ihr Talent und führte sie in erste Grundlagen ein. Im Winter darauf schon übernahm Rita Schubert die Gruppe, sie „beerbte“ praktisch ihre Vorgängerin. Zu Hause in Berlin sprang derweil eine Vertreterin für ihren Part bei den „Alten Schachteln“, einer Kabarettgruppe, die Rita Schubert 1997 mitgegründet hat, ein. Einer dieser Vertreterinnen gefiel es eines schönen Jahres bei den „Alten Schachteln“ so gut, dass sie blieb und Rita Schuberts Rollen weiter spielte. Rita, agil und tatendurstig, suchte nun neue Herausforderungen und gründete in Berlin eine Tanzgruppe. Da sie durch die Auftritte der „Alten Schachteln“ das Kulturforum Hellersdorf kannte, gern auch dort tanzen wollte, wurden sie und ihre ersten vier Mitstreiter Mitglieder des Kulturrings. So war das also. Seither ist die Truppe kontinuierlich gewachsen. Die ersten vier sind immer noch dabei, andere auch schon viele Jahre.

Gefragt, wo diese ganze Energie herkommt, erzählt sie mir, dass sie ihr Leben lang in Bewegung war. Als Zwölfjährige begann sie mit dem Leistungssport in Leipzig – Turnen. Und das Turnen begleitet sie bis heute. Regelmäßig zweimal pro Woche geht sie in ihren Sportverein. Aus Übungen am Stufenbarren, ihrem Lieblingsgerät, sind Übungen am Parallelbarren geworden. Sie nimmt an Wettkämpfen teil, wie dem „Ludwig-Jahn-Gedächtnisturnen“ in Freiburg. Auftritte mit der Tanzgruppe kommen dazu. Ehemann und Enkelkinder haben auch Ansprüche. „Wie schaffen Sie das?“ frage ich. „Ich fahre Auto wie ein Teufel“, antwortet sie lachend, „nein, nein, ganz gesittet.“ Habe ich schon erwähnt, wie alt Rita Schubert ist? 71 Jahre.

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