Müssen Ideen sexy sein?– Kunstkreuz 2007

Ingo Knechtel

Hauptsache man hat überhaupt welche, könnte man darauf antworten. Die Künstler beim diesjährigen Kunstevent in Friedrichshain-Kreuzberg bewiesen, dass sie eine ganze Menge davon haben. Sie führen auf ihre Art das Motto „arm, aber sexy“ zum Glück ad absurdum, denn mit ihrer Kreativität, ihrer Phantasie, ihren unendlich vielen Ideen sind sie eine Quelle des Reichtums, die hoffentlich nie versiegen wird. Wenn sich doch diese Stadt mit ihren schwerfälligen, bürokratischen Verwaltungen auch nur ein paar kleine Scheibchen innovativen Denkens abschneiden würde. Das mag wohl auch der heimliche Wunsch des Bezirksbürgermeisters Dr. Franz Schulz gewesen sein, als er in seiner Eigenschaft als Schirmherr des Kunstkreuzes in der Begrüßungsrede die absurde Förderpolitik des Jobcenters in seinem Bezirk mit ungewöhnlich scharfen Worten kritisierte, weil dadurch viele der vorgesehenen sehr guten und ideenreichen Projekte zunichte gemacht wurden.

Auch das Kunstkreuz wäre fast abgesagt worden, betonte Vereinsvorsitzender Dr. Gerhard Schewe in seinen Eröffnungsworten. Doch wollte man beweisen, was Solidarität und ehrenamtliches Engagement unter dem Motto „Jetzt erst recht“ bewirken kann.

Zum Glück, muss man sagen, ansonsten wären wir wirklich arm dran gewesen. Denn über 150 Künstler aus ganz Deutschland und dem Ausland präsentierten ihre Werke der verschiedensten Genres – Malerei, Graphik, Fotographie, Plastik und Objektkunst – und das hauptsächlich im zentralen Ausstellungsort in der Frankfurter Allee 21, einem wahrlich idealen Ort für künstlerische Überraschungen jeder Art. Das ehemalige Bankgebäude bietet ein geräumiges, helles Entrée. Hier schaut man verblüfft auf einen „Eintagsladen“, einen Souvenirshop für Brachen, unbebaute Grundstücke, entworfen durch Studenten des Studiengangs Industrial Design. Figuren, Objekte, Bilder machen neugierig, tiefer vorzudringen, sich auf eine Expedition ins Labyrinth der Gänge und Räume in weiteren zwei Etagen einzulassen. Im Keller wird man vom Tresorraum der Bank „gefangen“ genommen und erkundet jede der Ecken drumherum. Überall warten Ideen, die Künstler sind begeistert und genießen sichtlich das Interesse und den Dialog mit Besuchern und Kollegen. Verblüffend ist die oft geniale Art der Hängung und Platzierung der Kunstwerke, die Einbeziehung der örtlichen Gegebenheiten. In der oberen Etage beeindruckt eine „Strumpf“-Installation von Monika Ortmann aus Bochum. Eigentlich müssten noch viele der Künstler namentlich erwähnt werden, sind sie doch alle mit ganzem Herzen, viel Einsatz und tollen Arbeiten beim Kunstkreuz dabei. Der Eröffnungsabend, zu dem trotz strömenden Regens weit über 100 Besucher kamen, bot darüber hinaus noch extravagante künstlerische Darbietungen: Maria Lucchese, Theremin, und Matthias Bauer, Kontrabass, experimentierten mit ihren Instrumenten und Stimmen; auch die Pinal Trommler und die Künstler des Gestischen Theaters sorgten für die richtige Umrahmung dieser gelungenen Vernissage.

Außerdem war es nur eine von zwei Eröffnungen. Am Freitag, dem 22. Juni, drängten sich die Besucher zur Präsentation junger Leute in den Räumen der Fotogalerie am Helsingforser Platz. Schülerinnen und Schüler der Arenaklassen Atelier sowie Gesellschaft und Medien (7. – 10. Jahrgang) der Kreuzberger Ferdinand-Freiligrath-Schule zeigten ihre aktuellen Arbeiten. Fotos, Comics, Malerei und Objekte zum Thema „Migration“ waren zu sehen. Das Motto „Mama-Papa-Visa“ der Arenaklasse Design z.B. sollte anhand von Exponaten aus Metall und Filz die Geschichte und Sehnsüchte der Migranten in der dritten Generation illustrieren. Eine andere Arenaklasse zeigte kreativ am PC veränderte Digitalfotos und Comics auf der Grundlage der Originalzeichnung.

Auch wenn sie zur Eröffnung nicht im Mittelpunkt des Interesses standen, sollen die zahlreichen Kunstwerke nicht vergessen werden, die in Geschäften und Einrichtungen rund um das Frankfurter Tor zu sehen sind und die Händlern und Kunden Kunstgenuss, Abwechslung und hoffentlich manch neugierigen Blick bringen.

Als Fazit bleibt: Freuen wir uns über den Reichtum und die inspirierende Kraft der Kunst und vergessen besser das (armselige) Zitat des Rathausoberen, denn die Berliner und ihre Gäste haben Besseres verdient: einen Pool kluger Ideen für Berlin zum Beispiel, die überzeugen und zum Mitdenken und -tun einladen.

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