„Lebendig und kräftig und schärfer…“

Ingo Knechtel

Welch ein Motto hatten die Organisatoren des 31. Evangelischen Kirchentags vom 6. bis 10. Juni in Köln gewählt. Es sollte Anspruch und Erwartung zugleich ausdrücken. Und welch ein passender Zeitpunkt war es dafür: Als sich in der Stadt am Rhein Hunderttausende Teilnehmer und Gäste des Kirchentags mit den aktuellen Themen des menschlichen Zusammenlebens befassten, als sie Erwartungen und Forderungen an die Regierenden formulierten und ihre feste Absicht bekundeten, sich einzumischen, mitzuwirken an der Bewältigung der immensen Herausforderungen, traf sich im abgeschotteten Ostseebad Heiligendamm die sogenannte Gruppe der Acht, die selbsternannten „Großen“, die sich gern als Retter der Menschheit sähen aber einen Großteil ihrer wahren Repräsentanten ignorierten und mit ihren Beschlüssen nicht viel mehr als ihre Ohnmacht unter Beweis stellten. Dieser gesellschaftliche Rahmen sollte programmatisch für viele Mitwirkende des Kirchentags sein. Und so gab es im katholisch dominierten Köln nicht nur eine Fronleichnams-Prozession sondern auch eine (protestantisch geprägte) Anti-G8-Demonstration. Und es gab viele Debatten im Rahmen des Kirchentags-Programms und darüber hinaus, die sich mit dem Thema befassten. Speziell war dies auf dem Messegelände zu spüren, traditioneller Standort des „Marktes der Möglichkeiten“. Dort waren nicht nur kirchliche, sondern auch weltliche Gruppen, Initiativen, Vereine und Verbände zu finden, ebenso die im Bundestag vertretenen Parteien und ihre Stiftungen. Schon traditionell, zum 6. Mal, war auch der Kulturring aus Berlin mit einem Stand vertreten. Im Marktbereich „Bürgerschaftliches Engagement“ stellte er einen Vertreter in der Marktleitung und präsentierte sich am Stand unter dem passenden Motto: „Wir sind die Großen, deutlich mehr als 8“. Und er formulierte seine eigenen 8 „G“s: Glaubhaftigkeit, Gewaltlosigkeit, Gegensätze, Gewissen, Großzügigkeit, Gemeinsinn, Gleiche Chancen, Gerechtigkeit. Mithin eine „klare Ansage“ und ein deutliches Plädoyer im Sinne der Achtung vor dem Engagement der Millionen, häufig ehrenamtlich wirkenden Menschen nicht nur in diesem Land. Die Botschaft wurde von den Teilnehmern und Besuchern verstanden. Viele blieben, zuerst leicht verblüfft, stehen, fühlten sich ermutigt, das Gespräch zu suchen, ja wollten mitunter auch nur unseren Stand fotografieren. Ein Besucher aus dem Ruhrgebiet freute sich über die Idee und die gelungene Umsetzung. Endlich habe es mal einer auf den Punkt gebracht, wer in der Welt wirklich etwas bewegt. Das genau war das Ziel: Der Kulturring wollte deutlich machen, dass – wo auch immer auf der Welt – die gewaltigen Probleme vor der Menschheit nur miteinander, im engagierten bürgerschaftlichen Einsatz zu bewältigen sind. Mit diesem Anspruch konnte er auch seinen eigenen, sehr bescheidenen Beitrag auf dem Kirchentag vermitteln. Seine Projekte, die er in Wort und Bild vorstellte, und seine Publikationen spiegelten die Breite der Mitwirkung der Kulturring-Mitglieder und Sympathisanten wider. Vereinsvorsitzender Dr. Gerhard Schewe und die in Köln weilenden Mitarbeiter des Vereins waren gefragte Gesprächspartner, und die Anregungen, die sie nach Berlin mitnahmen, die vielen neuen Kontakte sind Vorbote neuer Projekte und Pläne. Und auch ein Novum gab am Kulturring-Stand: Noch nie zuvor suchten so viele internationale Gäste Informationen und Gespräche. Sie kamen u.a. aus Kenia und Südafrika, aus Polen und Tschechien, aus Großbritannien und Indien.

Vor zwei Jahren auf dem Kirchentag in Hannover schrieb ein Besucher am Kulturring-Stand seinen Wunsch auf, jedes Kind auf der Welt solle die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen. Gemeinsam mit engagierten Menschen in Äthiopien und Deutschland hat der Kulturring und der Reiseveranstalter „Reisezeit“ versucht, hierzu einen sehr konkreten eigenen Beitrag zu leisten. Es waren Marathonläufer aus beiden Ländern zusammen mit vielen Helfern in der Region Welkite, die sich das Ziel setzten, den Kindern des Dorfes Shafamu eine Schule auf- und auszubauen. Viele Sach- und Geldspenden sowie die Hilfe örtlicher Firmen und der Bewohner sorgten dafür, dass am 9. Juni, also genau während des Kirchentags, 320 Kinder die Schule mit dem Namen „Marathon“ in Besitz nehmen konnten. Die Bilder dieser Kinder und ihrer Familien sprachen eine deutliche, eine ehrliche Sprache. Genau wie die Bilder der Berliner Kinder aus Reinickendorf und Marzahn, aus Altglienicke und Kreuzberg, die sich mit Freude und Fleiß in ihrer schulfreien Zeit der Kunst, Musik oder dem Theaterspiel widmeten. Gerade die Wünsche der Kinder und Jugendlichen waren und sind allen „Machern“, die beim Kirchentag zusammenkommen, außerordentlich wichtig. Viele der jungen Leute selbst formulierten ohne großes Zögern ihre Wünsche auf den liebevoll vorbereiteten Blütenblättern am Kulturring-Stand und dekorierten auch in diesem Jahr wieder einen ansehnlichen Wunschbaum. Was da (allerdings nicht nur von den Jugendlichen) aufgeschrieben wurde, zeigt, wie viele sehr berechtigte Wünsche noch unerfüllt sind. Aber es lässt sich auch ahnen, dass die große Mehrheit der Wünschenden selbst sehr rege, mit viel Phantasie und Nachdruck an deren Erfüllung mitarbeiten will. Und dafür gibt es zum Glück Tausende Möglichkeiten, überall. Ja, es gibt nicht nur einen „Markt der Möglichkeiten“ sondern sehr viele, mit vielen guten Ideen und Projekten, die sich und allen Mitarbeitenden sehr „lebendig und kräftig und schärfer“ immer stärker Gehör verschaffen werden.

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