Griffelkunst-Bilderwelten

Harald Rüggeberg / Antje Mann

Max Klinger, der die Bezeichnung „Griffelkunst“ am Ende des 19. Jahrhunderts geprägt hat, wäre in diesem Frühjahr 150 Jahre alt geworden. In seiner theoretischen Schrift „Malerei und Zeichnung“ bezeichnet er die „Griffelkunst“ als eine Quelle der Poesie, der Leidenschaft und der geistigen Vertiefung, wie sie der Malerei und der Skulptur oftmals gar nicht zugänglich wäre. Davon, dass er die Kunst der Radierung virtuos beherrscht hat, kann man sich anhand der fünf Neuabzüge von den Originaldruckplatten aus der Folge Vom Tode II überzeugen. Die Griffelkunst-Vereinigung Hamburg e.V. verdankt diese wunderbare Edition dem Museum der bildenden Kunst in Leipzig, das die Platten für den Neudruck dem Verein überlassen hat.

Die Griffelkunst-Vereinigung stellt zum zweiten Mal im Studio Bildende Kunst in Lichtenberg aus. Der Anlass ist wiederum die so genannte Wahl, die der Verein zweimal pro Jahr für seine Mitglieder durchführt. Die erwerben durch die Zahlung ihres Jahresbeitrages das Recht auf Sammlung von vier Wahlblättern pro Jahr, die sie sich in den erwähnten Wahlen an 90 Ausstellungsorten in der ganzen Bundesrepublik aussuchen können, so auch seit Mai 2006 im Studio Bildende Kunst.

Viele angesehene und internationale agierende Künstler stellen dieses Mal ihre Werke zur Verfügung:

Weniger mit der technischen Seite als mit der Idee der Griffelkunst hat sich Stephen Craig in einer Edition beschäftigt. Seine Serie besteht aus fünf farbigen angelegten Blumenfeldern, aus denen man sich seine eigene Blumenwiese „zusammensammeln“ kann. Der Künstler gibt weder ein Oben noch ein Unten vor, die Blätter sind frei kombinierbar – an der Wand wie in der Phantasie des Betrachters. Den Schlüssel zu der Geschichte liefert das sechste Blatt, auf dem ein improvisiertes Kassenhäuschen zu sehen ist. Es verweist darauf, dass ein Gegenwert notwendig ist, um das Fortbestehen eines solchen demokratischen Freiraums zu sichern.

Corinne Wasmuht gibt mit sechs Blättern einen Einblick in ihr persönliches, collageartiges Bildarchiv, das der Malerin als Fundus für ihre komplexen Bilderwelten dient. Für die Griffelkunst-Edition hat sie die Ästhetik ihres Archivs in die Druckgraphik übersetzt, indem sie durch eingelegte farbige Papiere, verschiedene Druckfarben und malerische Bildelemente die für ihre Collagen charakteristische Vielschichtigkeit erzeugt.

Mit Jeanne Faust wird eine Künstlerin vorgestellt, die sich vor allem mit dem Verhältnis von Film, Photographie und Wirklichkeit beschäftigt. Für die Griffelkunst-Edition hat sie sechs Photographien ausgewählt, die während der Dreharbeiten zu sechs verschiedenen Filmen entstanden sind. Die „Zubilder“, wie sie diese eigenständigen Bildproduktionen nennt, zeigen unterschiedliche Orte und Menschen und scheinen doch durch Jeanne Fausts filmische Ästhetik in einem Handlungsstrang verwoben zu sein und eine gemeinsame Geschichte zu erzählen.

Olaf Holzapfel zeigt eine Serie mit zwei druckgraphischen Techniken: In drei Handoffsetdrucken und drei bearbeiteten Heliogravüren thematisiert er das Sinn stiftende Nebeneinander von abstrakten Strukturen und Zeichen, wie er es in der japanischen Kultur wahrgenommen hat.

Mit architektonischen Räumen beschäftigt sich die in Köln lebende Künstlerin Silke Schatz. Für die Griffelkunst entstand eine sechsteilige Serie, in der die Künstlerin Kirchbauten von drei Generationen der Kölner Architektenfamilie Böhm nebeneinander stellt. Die Künstlerin überträgt die visuelle Wahrnehmung der drei ausgewählten Kirchen in die zweidimensionale Fläche, indem sie diese in der ihr eigenen durchsichtigen Zeichenweise ausschnitthaft abbildet. Die drei Interieur-Ansichten werden dabei von Schatz jeweils in zwei verschiedenen Techniken ausgeführt, zum einen als Farblithographie, zum anderen als Farbdruck von Kunststoffplatten, wodurch sie zu ganz unterschiedlichen Interpretationen der Ästhetik des Kirchenbaus gelangt.

Mit zwei weiteren raumgreifenden Einzelblättern im Holzdruck beendet Mathias Mansen seinen Jahreszeitenzyklus „Berliner Tiergarten“. Die 2,40 Meter langen Drucke aus der Frühjahrswahl 2006 sind noch in lebhafter Erinnerung. Nach Winter und Frühling folgen nun auch Sommer und Herbst. In jeder seiner Jahreszeiten tauscht der Künstler zwei Farben aus, so dass sich mit dem dritten und vierten Blatt der Serie auch der Farbkreislauf schließt.

Die türkische Konzeptkünstlerin Ayse Erkmen ist den Griffelkunst-Mitgliedern schon durch ihre Siebdrucke bekannt. Aus verschiedenen Zeichen, die sich auf jeder Schreibmaschinentastatur befinden, hat sie nun eine abstrakte Heliogravüre entwickelt.

Die Editionen der multiples für die Griffelkunst, die im Rahmen des Fünften Graphikpreises der Griffelkunst-Mitglieder entstanden sind, werden mit einem Objekt von Henk Visch fortgesetzt. Sein Modell von einem Seil für einen Seiltänzer appelliert an die Phantasie des Betrachters, denn der Titel der Arbeit lässt einen Seiltänzer assoziieren, der in dem Modell ausgesprochen bleibt: „Jeder wird seinen eigenen Seiltänzer haben“, umschreibt Henk Visch die Wirkung seines Werkes poetisch.

Alle, denen die Beschreibung der Kunstwerke nicht genügt, sind herzlich eingeladen zur Vernissage am 02.05.07, um 19 Uhr. Die Ausstellung ist bis zum 16.05.07 im Studio Bildende Kunst, John-Sieg-Straße 13, zu bewundern.

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