Stadtgang – Entdeckungen

Bernd S. Meyer

Berlin ist eine unglaubliche Stadt, die historischen Schichten der Mitte zu entdecken ist ein Abenteuer. Während andere Städte, auch andere Metropolen, eine durchgehende Geschichte haben, wird die Mitte Berlins stets neu erfunden. Dreißig Jahre sind am Spreekanal schon eine ganze Epoche. Hier wird immer abgerissen, werden historische Spuren getilgt, wieder überbaut. An stehengebliebenen Resten ist das erstaunlich genau nachvollziehbar, was sogar alte Berliner immer wieder verblüfft. Vor der Bauwut der wechselnden Regime fanden selbst berühmteste Denkmale kaum Erbarmen. Das geht seit 350 Jahren so, begann schon mit der Rodung eines Drittels der 1647 gepflanzten Lindenallee vom Spreeinsel-Schloß zum Tiergarten. Die Bäume mussten nach zehn Jahren dem Bau der monströsen Festung weichen. König Friedrich II. ließ die gotische Dominikaner-Kirche am Schloßplatz abreißen. Dessen neuen Dom gestaltete Schinkel später in klassizistischer Manier um. Der Schinkelbau am Lustgarten wurde 1893 auf Kaisers Wunsch gesprengt, so wie später die Schlossruine. Der nicht ganz so ruinöse Dom des Kaisers stand dann fünfundzwanzig Jahre lang neben einer riesigen windigen Stadtbrache, bald mit dem Staatsratsbau als Schlosszitat. Der barocke Münzkanal wich erst kürzlich der Tiefgarage des preisgekrönten Außenamts-Nordbaus in Dreißiger-Jahre-Kubatur.....

Der Blick auf all diese Wechsel schärft die Sinne, macht papierne Historie räumlich fassbar. Da ist es ein wunderbarer Ausgleich, Bildern nachzuspüren, die Maler über die Jahrhunderte am Spreekanal schufen, herausragend etwa die Altberliner Bilder des Weddingers Otto Nagel. In anderen Stadtgegenden, etwa in Prenzlauer Berg, sind die immerwährenden Umnutzungen der stehengebliebenen Gründerzeiten-Gemäuer bis in die Tiefen der Brauereikeller und den neuen Weinberg am Wasserturm spannendes Thema, und am grünen Nord- wie Südende des Stadtbezirks Friedrichshain-Kreuzberg besuche ich die verschiedensten Gedenk-Monumente aus fast 200 Jahren und staune auch am einstigen Luisenstädtischen Kanal, wie wenig und wie sehr sich eine Stadtgegend, nach wie vor geteilt zwischen Mitte und Kreuzberg seit Biedermeierzeiten ganz fließend verändert.

Jeden Monat erlaufe ich in fünfzehn bis zwanzig festen Terminführungen meine Stadtpartien im historischen Berlin. Aus diesen Stadtgängen entstanden auch die derzeitigen monatlichen Vorträge im Studio Bildende Kunst in Lichtenberg. Und immer wieder veranstalte ich Gruppen-Fuß-Intensivkurse zu Wunschthemen.

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