Liebe mit Hindernissen

Helena Ketschik

Tschechow-Theater feiert Premiere

Man sagt nicht umsonst: das Theater ist keine Predigt, das Theater ist eine Beichte. Ich be(r)ichte Ihnen, dass das Berliner deutsch-russische Tschechow-Theater des Kulturrings in der Märkischen Allee 410 am Sonntag, dem 18. Februar 2007 um 17 Uhr eine Premiere feierte mit der Eigeninszenierung: „Liebe mit Hindernissen“.

In „reiner“ russischer Sprache wurden zwei Einakter, beides Komödien von Viktor Ljapin in der Inszenierung von Natalia Sudnikovic, vorgestellt. Die Rollen verkörperten Klaudia Dessert, Valerij Edel, Ludmila König und Rosa Strauch. Höhepunkte in der Vorstellung waren die bekannten und viel geliebten Lieder „Ich liebe dich, das Leben“ (Autoren: K. Vanschenkin und E. Kolmanowski) und „Tschemodantschik“/„Handkoffer“ (Volkslied aus Odessa), von Valerij Edel gesungen.

Vorspiel. Der junge russische Dramatiker aus dem an der Wolga liegenden Städtchen Kstovo, Victor Ljapin, schrieb ein Bühnenstück aus sechs Einaktern mit farbenprächtiger Bezeichnung: „Herren, Genossen, Halunken und Damen (Die modernen Spaßspiele)“. Als Epigraph zum Stück dient die Äußerung vom Autor: „Sie sollen vor allem diese Leute lieben, und die Liebe wird alles ertragen“. Das kreative Team vom Tschechow-Haustheaterensemble „T&T“ (Theater und Tanz) wählte aus dem Stück zwei Einakter aus („Der falsche Behinderte“ und „Die Liebe mit Hindernissen“) und entwickelte daraus ein lustiges Bühnenstück, dessen Schwerpunkt auf der emotionalen wie auch sehr humorvollen Erzählweise liegt. Da V. Ljapin ein Liebhaber der flotten Sujets ist, hat jede Miniatur eine unerwartete Wendung der Ereignisse, ein überraschendes Moment, das die Zuschauer verwundert und die ganze dargestellte Intrige enthält.

I. Akt(e): „DER FALSCHE BEHINDERTE oder WIE DIE KUNST, SO DIE GUNST“ Das private Haus im Vorort. Im Hof muhen die Kühe, meckern die Ziegen, laufen Ferkel und Hühner. Eine neue, gerade erst mit ihren Pflichten beginnende Beamtin der lokalen Verwaltung für die Ausgabe der staatlichen Unterstützungen verteilt den Invaliden, die sich selbstständig nicht fortbewegen können, ihre Unterstützung. Die Tür öffnet ein vor Gesundheit strotzender Mann in einer Schürze, die vom Blut beschmutzt ist. Er hat das Schwein gerade erst umgelegt. Die Beamtin wurde schockiert, als sie langsam zu begreifen anfing, dass dieser Mann, in seinen besten Jahren, laut Unterlagen als Behinderter ohne zwei Hände bis zum Ellbogen und das rechte Bein bis zu den Rippen ... mit Schädel-Himtrauma mit den Folgen für das Nervensystem und mit Querschnittslähmung und und und ... mit der Lungenentzündung und mit dem Glaukom gilt. Autsch! Das stimmt mit der Tatsache vollkommen nicht überein! Und wie wird die Beamtin darauf reagieren? Ob der falsche Behinderte sie überzeugen wird, um das (Un)-Verdiente zu bekommen? Ob er nach „schöpferischem Verdienst“ belohnt wird?

„Wie die Kunst, so die Gunst!“ - lautet ein deutsches Sprichwort.

II. Akt(e): „DIE LIEBE MIT HINDERNISSEN oder MIT DER LIEBE SPIELT MAN NICHT!“

Ein 50-jähriger Mann in seinen besten Jahren hat entschieden, dass es notwendig ist, in sein Familienleben Abwechslung zu bringen. Er sehnt sich nach Leidenschaft, Eifersucht, das frischem Blut... Sonst verwelken die Liebesgefühle langsam, und er bemerkt nicht, wie er selber altert. Seine Frau soll nicht so friedlich und ruhig schlafen, sondern im Gegenteil vor Leidenschaft brennen und aus Eifersucht ins Kissen beißen. Deshalb schreibt der Mann seiner Frau anonyme Briefe über die eigene Untreue und betont, dass die Frauen, die auch nach der Liebe schmachten, ihn sehr attraktiv finden. Und nicht nur wegen seines Aussehens, sondern wegen seiner geistreichen Art. Der „anonyme Freund“ teilt der Ehefrau herzlich mit: „Ihr Mann betrügt Sie mit einer jungen und bezaubernden Blondine, die tadellos erzogen wurde. ... Es geht bei ihnen schon um die Hochzeit.“

Und wie wird nun seine Frau darauf reagieren? Ob sie auf ihren Mann, auf seine selbstsüchtigen intellektuellen Ansprüche (und nicht nur auf diese) mehr ihre Aufmerksamkeit richten wird? Oder ob er sie nie mehr zu sehen bekommen wird? Auf Russisch gesagt, ob er sie nie mehr wie seine eigenen Ohren sehen wird? „Man spielt nicht mit der Liebe!“ - lautet ein russisches Sprichwort. Doch wenn man spielt, dann...

Nachwort: „WER BEICHTEN WILL, KANN SICH BEI RS2 MELDEN - AUCH ANONYM“.

Die dargestellten Sujets sind nicht nur irgendwelche Witze über die (un)sympathischen Leute aus der russischen Provinz. Die Regisseurin Natalia Sudnikovic glaubt, dass derartige lebenswichtige Geschichten überall geschehen können, deshalb wurden die Stücke von Ljapin nicht nur in Russland und der Ukraine sondern auch in Tschechien, Australien und Albanien aufgeführt. Auch in Deutschland, wo sie ebenfalls aktuell sind!

Zur Zeit beobachten Berliner die Bekenner-Plakatserie der aktuellen Aktion „Berliner bekennen sich“, mit der der Radiosender rs2 für seine Frühsendung „Talk of the Town“ wirbt. Gesucht werden solche Geständnisse wie: „Ich fahre Ferrari und kassiere Hartz IV“ oder „Ich betrüge meine Frau mit ihrer Mutter“. Durchaus denkbar, dass die russischen emotionsreichen Geschichten aus dem Leben ans Tageslicht treten, wenn sich ihre Helden bei rs2 (auch anonym) melden, um zu beichten.

Im Auftrag von Anonymus

be(r)ichtete Helena Ketschik

P.S. Liebe potenzielle Zuschauer! Um die nächsten Vorstellungen „Die Liebe mit Hindernissen“ nicht zu verpassen, bestellen Sie bitte die Karten besser im Voraus. Berliner deutsch-russisches Tschechow-Theater - So., 22. April, 17 Uhr.

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