Mit Kafka im Café

Monika Niendorf

Literarische Verführung zu Anna Seghers

Der Dienstagabend ist bei mir in der Regel dem Kulturbund in der Ernststrasse vorbehalten. Mitglieder und Freunde wissen ganz genau, wenn man nicht erscheint, entgeht einem meist ein schöner Abend. Dieser 23. Januar war für viele ein ganz besonderer, da mit der Lesung „Mit Kafka im Café“ ein soeben erschienenes Buch von Monika Melchert über die schönsten Szenen aus dem literarischen Werk Anna Seghers vorgestellt wurde. Monika Melchert ist natürlich als langjährige Mitarbeiterin der Anna-Seghers-Gedenkstätte in Adlershof aufs Engste mit der Schriftstellerin verbunden und hat ihre Möglichkeiten genutzt, mit kleinen Erlebnissen, Geschichten, Essays uns einen Querschnitt aus dem gesamten literarischen Schaffen der Seghers zu geben. Sie nennt ihr Buch einen „Lese-Verführer“, und das ist er wirklich! Natürlich kennt jeder den vielleicht bedeutendsten Roman, den eine Frau je in deutscher Sprache geschrieben hat, „Das siebte Kreuz“. Aber auf so kleine zauberhafte Geschichten, Erinnerungen, Träumereien, ja märchenhafte und mythische Texte aus dem Schatzkästchen der Seghers war ich an diesem Abend nicht vorbereitet, also doch überrascht und beeindruckt. Die Kunst kann sich eben auch Freiheiten gestatten, die das Leben nicht kennt, wie diese Geschichte um ein Zusammentreffen von Kafka mit E.T.A. Hoffmann und Nikolai Gogol in einem Prager Caféhaus. Was in der Realität überhaupt nicht möglich war, wird in der Erzählung „Die Reisebegegnung“ zauberhafte Wirklichkeit, und man ist angerührt davon, was die Drei sich zu erzählen haben. Aber auch von der Art und Weise, wie Monika Melchert die von ihr ausgewählten Geschichten vorträgt. Einige der schönsten Texte der Dichterin holen sich den Stoff aus der Welt des Phantastischen und erzählen doch von den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Sie erzählt uns aus den schönsten Sagen des Räuber Woynok, vom Baum des Odysseus, vom Argonautenschiff ebenso wie Szenen aus dem Roman „Aufstand der Fischer von St. Barbara“, oder dem „Ausflug der toten Mädchen“ oder aus ihren bekanntesten Romanen „Das siebte Kreuz“ oder „Transit“. Es sind besonders die Kleinigkeiten aus den Texten der Seghers, die uns an diesem Abend anrühren, wie die Geschichte aus Mexiko „Das wirkliche Blau“. Hier bringt uns Anna Seghers, die ja die Jahre ihres Exils während des 2. Weltkrieges in Mexiko verbracht hatte, ihre Vorliebe für die Keramiken aus diesem Land mit den typischen blauen Mustern nahe. Nur Benito aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Mexiko kann die Töpfe und Krüge, die er mit seinem Maultier einmal in der Woche auf den Markt bringt, mit dem wirklichen Blau bemalen. Als es aber in Mexiko während des 2. Weltkrieges keinen chemischen blauen Farbstoff mehr aus den Chemiefabriken Deutschlands gab, Benito aber weiter arbeiten und existieren muss, träumte er davon, wo er das unnachahmliche Blau finden kann und wird. Und so zieht er durch das ganze Land und findet schließlich das wahre Blau im Süden bei San Christobal. Aber was Benito bei seiner Suche erlebt und wie er sein Blau findet, das müssen Sie schon selbst in diesem schönen Erzählbändchen von Monika Melchert nachlesen. Dieses Blau hatte ja für Anna Seghers selbst auch eine besondere Bedeutung. Sie hat einige der schönsten Keramiken aus ihrer Zeit in Mexiko mit nach Adlershof in ihr Berliner Zuhause gebracht, wo man es heute noch in der Ausstellung der Gedenkstätte bestaunen kann.

Die Autorin meinte zwar, etwas verblasst sei die Farbe im Laufe der Jahre schon, aber wenn man diese Geschichte von Benito gelesen oder gehört hat, „erstrahlt“ das „wahre Blau“ wieder im alten Glanz. Und nicht nur bei dieser Geschichte wurde mir klar: ich muss doch mal wieder die Anna-Seghers-Gedenkstätte in Adlershof, in der Straße gleichen Namens in der Nummer 81, besuchen, um solche Zusammenhänge zwischen dem Nachlass der Schriftstellerin und ihren Geschichten in Augenschein zu nehmen. Erinnere ich mich doch noch sehr gut an diese kleine, beeindruckende Persönlichkeit, wenn sie mit ihrem Mann Lazlo Radvanyi im Wald von Adlershof spazieren ging oder man an schönen Sommertagen ihre Schreibmaschine auf dem Balkon klappern hörte. So war dieser Abend mit den schönsten Szenen bei Anna Seghers für mich ein ganz besonderer Abend der Erinnerung und auch Verzauberung.

Gefallen hat mir auch das Geleitwort des Sohnes von Anna Seghers, Pierre Radvanyi zu diesem Lese-Verführer von Monika Melchert, das ich hier an den Schluss stellen möchte:

„Anna Seghers, meine Mutter, schrieb je nach ihrer Idee, ihrer Eingebung, ihrem Bedürfnis, ihrer Phantasie und ihrer Stimmung, sowohl große Romane, kleine Novellen, Reportagen und Essays, wie auch Sagen und Erzählungen. Sie wollte ihre Leser zum Nachdenken, aber auch zum Träumen bringen. Sie dachte zur gleichen Zeit an verschiedene Motive. Für einen Roman nahm sie sich öfter zwei Jahre Zeit, aber dazwischen verfasste sie gern kürzere Geschichten mit wenigen Figuren. Einige von diesen liebe ich besonders. Monika Melchert hatte den guten Einfall, Auszüge sowohl aus den Romanen wie aus den kürzeren Geschichten zu bringen. Sicher werden dann die Leser Lust bekommen, die Erzählungen ganz zu lesen.“ – Paris im September 2006.

Und das ist der Autorin Monika Melchert an diesem Abend im Kulturbund in der Ernststraße wirklich gelungen. Versuchen Sie es auch einmal mit dem Lese-Verführer „Mit Kafka im Café“

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