„Jedes Ziel ist etwas Utopisches.“

Hardy Kettlitz

Ralf Neukirchen, Leiter des SF-Clubs ANDYMON

In unserer Reihe „Eine/r von uns“ stellen wir verdiente Mitglieder und Mitarbeiter des Kulturrings e. V. vor. Heute: Ralf Neukirchen, 1955 in Berlin geboren.

Wenn man ein gemeinsames Hobby hat und sich seit vielen Jahren kennt, dann glaubt man, dass man eine ganze Menge über seine Freunde weiß. Und das stimmt tatsächlich, denn immerhin weiß ich durch Gespräche und Veranstaltungen in unserem Club ziemlich genau, welche Bücher und Autoren unser Clubleiter mag und wie er über unterschiedliche Aspekte der phantastischen Literatur denkt. Andererseits wissen Clubfreunde oftmals nicht, womit sich andere außerhalb des gemeinsamen Hobbys beschäftigen oder welcher Arbeit sie nachgehen. Und so nutzte ich die Gelegenheit, unseren Clubleiter Ralf Neukirchen beim letzten Treffen am 12. Januar auszufragen. Ich erfuhr, dass er eigentlich Diplom-Mathematiker ist und von 1974 bis 1979 an der Humboldt-Universität studiert hat. Er war viele Jahre als Programmierer im Rechenzentrum der Polizei der DDR tätig. Heute ist er Beamter im Innenministerium des Landes Brandenburg in Potsdam. Von seinen Aufgaben im Kriegsgräberwesen erzählt er sehr engagiert, denn seine Arbeit besteht nicht etwa nur aus trockener Büroarbeit, er ist auch oft vor Ort, wenn es um die Erhaltung von Kriegsgrabstätten und -denkmälern geht.

Mitglied des SF-Clubs ANDYMON ist Ralf Neukirchen fast seit Anfang an. Im Oktober 1987 wurde er durch den „1. Tag der Phantastischen Kunst“ auf uns aufmerksam. Einige Clubmitglieder waren zuerst irritiert, wenn der damalige Polizei-Major Neukirchen zu offiziellen Anlässen oder direkt nach der Arbeit gelegentlich in Uniform auftauchte. 1992, also vor inzwischen fünfzehn Jahren, wurde er von den Mitgliedern zum Leiter des SF-Clubs gewählt. Heute kann sich schon niemand mehr genau erinnern, wann wir die letzte Wahl zum Clubleiter durchgeführt haben, denn durchweg alle Mitglieder sind mit der Arbeit von Ralf Neukirchen so zufrieden, dass eine neue Wahl schlichtweg unnötig ist. Auf meine Frage, ob ihm die Funktion Spaß macht, antwortet er lakonisch: „Inzwischen hat man sich daran gewöhnt.“ Doch es ist nicht nur Gewohnheit, denn Ralf Neukirchen hat ein hervorragendes Talent zur Organisation, gepaart mit einer versöhnlichen Art, so dass er manchmal scherzhaft als „Papa des Clubs" bezeichnet wird. Er selbst weist aber auch darauf hin, dass er sich nur selten auf kreative Weise mit der von uns so hochgeschätzten Literatur auseinander setzt und durch seine organisatorische Arbeit den Kreativen des Clubs den Rücken frei hält.

Auf meine Frage, was ihn an der phantastischen Literatur besonders fasziniert, antwortete er, ohne lange zu überlegen: „Eindeutig die Utopien." Denn jede Gesellschaft braucht Utopien, sagt er. Genauso, wie jeder Mensch Ziele hat, egal ob persönliche oder gesellschaftlich engagierte. Und jedes Ziel ist etwas Utopisches.

Auf meine Frage, was für ihn persönlich die Höhepunkte unseres Clublebens waren, antwortete er, dass er die „Tage der Phantastischen Kunst“ und die späteren „Tage der Phantasie“ als etwas Besonderes empfunden hat. Vor allem, weil der Club damit an die Öffentlichkeit getreten ist, um auch über die Grenzen des Kulturbunds ein – zum Teil sehr zahlreiches – Publikum zu erreichen. Ralf Neukirchen sagt: „Es ging auch darum, die Botschaft rüberzubringen, dass Science Fiction keine reine Unterhaltung sein muss, sondern auch gute Literatur ist, die jeder mit Gewinn lesen kann.“ Aber genauso wichtig sind die monatlichen Clubtreffen, weil ANDYMON inzwischen nicht nur eine Zusammenkunft von Gleichgesinnten ist, sondern in den letzten zwei Jahrzehnten auch zu einer Gruppe von Freunden geworden ist, die sich auch außerhalb des Clubs treffen, Reisen zu Veranstaltungen unternehmen oder gemeinsam an Projekten arbeiten.

Neben der phantastischen Literatur hat Ralf Neukirchen aber noch ein zweites Hobby, nämlich die klassische Musik. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf das Hören, sondern liest auch viel über seine Lieblingskomponisten Schubert und Schostakowitsch. Besonders bei letzterem geriet er schnell in Begeisterung, als er mir von Schostakowitschs Leben und Werk erzählte. Und er betonte, dass die Werke des bedeutenden Russen auch etwas Utopisches hätten und dass dieser trotz widriger Umstände und des damaligen repressiven Regimes unter Stalin neue Wege beschritten hätte. Besonders hat es Neukirchen dabei die 4. Sinfonie angetan.

Aber zurück zum Club. Ich war erstaunt, dass zu vielen Veranstaltungen auch die inzwischen erwachsenen Kinder Dirk und Astrid unseres Clubleiters erscheinen. Beide sind inzwischen Mitte Zwanzig, studieren Informatik bzw. Mathematik und lesen nach wie vor Phantastik. Auf meine Frage, wie er das bewerkstelligt hat, antwortete Ralf Neukirchen: „Das war zielstrebige Arbeit. Wir haben ihnen schon sehr früh gezielt Bücher in die Hand gegeben.“ Und nicht nur Jules Verne, dessen Bücher Ralf Neukirchen begeistert liest und sammelt. Denn selbst dieser alte Franzose hat uns noch heute viel Interessantes zu erzählen.

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