Wir waren Nachbarn – 109 Biografien jüdischer Zeitzeugen

Aninka Ebert

Sieben neue Alben in der Ausstellung im Rathaus Schöneberg

„Wie die meisten jüdischen Familien, betrachtete sich meine Familie als deutsch. Was hätte sie sonst sein können?“ erinnert sich George L. Mosse. Er lebte bis 1933 im Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg und floh wie 10.000 weitere jüdische Bürger ins Exil. Die etwa 6000 verbleibenden wurden deportiert und ermordet.

Über George L. Mosse, Sohn des bekannten Zeitungsverlegers Rudolf Mosse, erzählt eines der über 100 Alben der Ausstellung „Wir waren Nachbarn“, die ab dem 29. Januar 2007 zum dritten Mal im Rathaus Schöneberg für drei Monate zu sehen sein wird. In ihr werden Lebensgeschichten lebendig, von Berühmtheiten wie Albert Einstein, Walter Benjamin oder Nelly Sachs, aber auch von ganz unbekannten Menschen. Die Familienalben erzählen Geschichten von ganz normalen Kinder- und Jugendträumen, von den ersten Lieben, von Schule und von der langsamen Ausgrenzung. Ausgrenzung durch Behörden, berufliche Diskriminierung und der sich steigernden alltäglichen Abwendung bis Verachtung durch frühere Freunde und Nachbarn.

Mit Unterstützung des Kulturrings werden unter anderem fünf der neuen Familienalben zu sehen sein. Die Lebensgeschichten von zwei Literaten, Georg Herrmann und Kurt Hiller, vom Journalisten und Widerstandskämpfer Erich Kuttner sowie die des Psychoanalytikers Wilhelm Reich und von Adolf Schiller, Baurat und Glasfabrikant, wurden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Vereins recherchiert und für die Ausstellung vorbereitet.

Im Ausstellungsfilm „Geteilte Erinnerungen“ sind jüdische und nichtjüdische Zeitzeugen zu hören. Das „Archiv der Erinnerungen“, eine offene schriftliche Sammlung von Erinnerungen, soll auch in diesem Jahr wieder die Besucher einladen, eigene Begegnungen mit dem Thema durch Erzählungen oder selbst Erlebtes, Fotos oder Briefe hinzuzufügen.

„Wir waren Nachbarn“ gewinnt ihre Bedeutung durch die Kontinuität einer 20jährigen fortschreitenden Erinnerungsarbeit, mit ihren vielen nur scheinbar kleinen Bedeutungen im Großen: die lokale Nähe, die Präsenz einer gewesenen unmittelbaren Nachbarschaft und die Alltäglichkeiten normaler Lebensgeschichten, die einer zunehmenden Ausgrenzung unterworfen waren.

Mit dem näher rückenden Ende der Zeitzeugenschaft über die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gewinnt eine Mischung aus Überdruss am Thema und Hoffnung auf Normalität mehr und mehr Raum. Umso wichtiger ist eine fortschreibende Erinnerungsarbeit. Im Begleitprogramm zur Ausstellung liegt der Schwerpunkt diesmal auf ihren unterschiedlichen Formen: dem Erfahrungswissen von Zeitzeugen und dem Dialog zwischen den Generationen. Die Termine werden in der aktuellen Tagespresse bekannt gegeben.

Zur Ausstellungseröffnung am 28. Januar 2007, um 17.30 Uhr im Foyer des Rathauses Schöneberg, findet gemeinsam u.a. mit der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz statt.

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