Von fliegenden Hühnerbeinen und Flitterwochen im Kulturbundhaus

Tinija Heinlein-Müller

Gisela May erinnert sich:

Im stilvollen Ambiente des Portland-Cement-Hauses in der Dönhoffstraße 38 hat sich der “Carlshorster Salon” als Veranstaltungsreihe des Kulturring in Berlin e. V. seit Beginn des Jahres 2006 rasch einen Namen gemacht. Und so ist auch an jenem Donnerstag-Abend des 26. Oktober der Saal bis zum allerletzten Platz belegt. Denn angekündigt wird von Alina Martirosjan-Pätzold die großartige Schauspielerin und Diseuse Gisela May.

1924 in Wetzlar geboren, brachte die May ein Menschenleben vor Fernsehkameras und auf den Brettern zu, die die Welt bedeuten. An diesem Abend wirkt sie ein wenig zerbrechlich, aber dennoch heiter. Bis gegen Mittag habe sie wegen einer Erkältung das Bett hüten müssen, doch dann habe sie sich aufgerafft. Schließlich wolle sie ihr Publikum nicht enttäuschen. Also stellt sie zum Warmhalten ein „Öfchen“ vor sich auf den Tisch und los geht’s mit Episoden aus dem Buch „Es wechseln die Zeiten – Erinnerungen“, das vor einiger Zeit im Militzke-Verlag Leipzig erschien. Und die Fans danken ihr mit viel Beifall die mit Humor und Altersweisheit vorgetragenen Geschichten und Geschichtchen.

Während ihres ersten Engagements 1942 im noch unzerstörten Dresden, erfahren wir, sei sie durch die Stadt gebummelt und habe schließlich an das Tor des Schlosses geklopft, weil sie noch Licht brennen sah: „Haben Sie ein Zimmerchen zu vermieten?“ Und wirklich, die junge Frau wird Bewohnerin des alten Schlosses mit Blick auf den wundervollen Hof und die Turmuhr, die sie nachts regelmäßig aus dem Schlaf schrecken lässt. „Da wegen des Schatzes im Grünen Gewölbe die Tore zeitig geschlossen wurden, mussten also meine abendlichen Begleiter stets bis 6.00 Uhr in der Früh ausharren. Da habe ich Dinge gelernt, die mir keine Schauspielschule beibringen konnte“, meint sie noch heute schmunzelnd.

Auch von der beinah verpassten Trauung und den Flitterwochen im Kulturbund-Haus in Schierke/Harz mit ihrem ersten Ehemann, dem Dokumentaristen Wolfgang Honigmann, ist die Rede. Nun, die Ehe habe keinen Bestand gehabt, doch in ihrem Personalausweis stehe noch immer der Name Honigmann. Denn das Andenken an ihren jüdischen Gatten wolle sie bewahren (Beifall im Saal). Auf Drängen eines Bankberaters unterschreibe sie nun wichtige offizielle Dokumente immer mit „Gisela Honigmann/Bürgerlicher Name, Künstlername: Gisela May, geborene May“.

Zweifellos sei die Rolle der Mutter Courage am Berliner Ensemble der Höhepunkt ihrer Karriere gewesen. Leider habe sie Brecht persönlich nie kennen gelernt, denn als sie 1961 an den Schiffbauerdamm kam, führte Helene Weigel das Theater des 1956 Verstorbenen. Aber auch das Musical „Hallo Dolly“ sei eines ihrer Lieblingsstücke gewesen. Nicht nur, weil der Chor ihr ein Dutzend mal versicherte wie einmalig sie, Dolly, doch sei. Sondern auch, weil sie auf der Bühne jedes Mal ein üppiges Mahl mit Hühnchen zu verspeisen gehabt hätte. So habe sie vorher nie etwas essen müssen. Doch einmal sei sie an ein zähes Exemplar geraten, so dass das Hühnerbein mit Schwung im Orchestergraben landete, wo es sich ein Musiker lauthals schmecken ließ. ...

Wen wundert’s, dass angesichts solch humorvollen Rückblicks ein begeistertes Publikum mit Signierwünschen Schlange stand und auch die mitgebrachten CD’s mit ihren Brecht-Weill-Songs rasch vergriffen waren.

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