Nicht von Dauer war die Mauer

Astrid Lehmann

Ist sie über 15 Jahre nach ihrer Öffnung noch präsent? Lohnt es, sich diesem Thema zu widmen? Für die Fotografin Ruth E. Westerwelle stellte sich diese Frage nicht. Sie hatte zu Zeiten, als noch kaum jemand auf ein Verschwinden der Mauer zu hoffen wagte, diesen unübersehbaren Bestandteil deutsch-deutscher Geschichte oft fotografiert. Bei all dem Leid und Schrecken, den die Existenz der Mauer mit sich brachte, wurde sie doch im Laufe der Zeit als ein Stück Realität angesehen. Vielen (West-)Berlinern fiel sie kaum mehr auf, Besuchern wurde sie als „Kuriosum“ vorgeführt. Dennoch gab es für Ruth Westerwelle immer wieder Momente, in denen sie das Leben mit der Mauer berührte und die sie spontan festhielt. Als die Mauer aufging, war die Fotografin Tag und Nacht unterwegs und hielt fest, was sie noch gar nicht realisieren konnte. Immer wieder suchte sie nun in der folgenden Zeit die gleichen Orte auf, dokumentierte die Veränderungen oder auch das Verharren. So ist eine spannende Gegenüberstellung entstanden, die gerade den Abstand der Jahre brauchte.

Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur fand das Thema ebenfalls interessant und bewilligte die Förderung eines Ausstellungsprojektes des Kulturrings, welches ursprünglich zum 15. Jahrestag der Wiedervereinigung vor dem Bundestag im Paul-Löbe-Haus präsentiert werden sollte. Die überraschenden Neuwahlen brachten den Terminplan durcheinander – und für die Kreuzberger den Glücksumstand mit sich, die Installation – in dieser Form wurde die Ausstellung gefertigt – im alten Rathaus in der Yorckstraße sehen zu können. Lange Bahnen mit Fotos und kurzen erläuternden Texten werden am oberen Rand von einer Rolle eingefasst – man meint die Mauersegmente vor sich zu sehen. Die abgebildeten Szenen und Ausschnitte aus dem Areal der ehemaligen Grenze werden nicht kommentiert, lediglich Zeitpunkt, Ort und die Benennung des Dargestellten ist nachzulesen. Die Ausstellung spricht für sich, sie lädt den Betrachter zum Dialog ein.

Die Art der Darstellung stand auch bei der Eröffnung der Ausstellung am 2. November im Mittelpunkt der Reden und Gespräche. Der Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bauen, Dr. Franz Schulz, inzwischen Bezirksbürgermeister, hob hervor, wie anschaulich die Ausstellung aufzeigt, welch enorme Entwicklung sich an manchen Orten vollzogen hat, dass noch vieles zu tun bleibt, aber auch, dass es nicht darum geht, diese Orte aus dem Gedächtnis zu tilgen, sondern sie anzunehmen. Der Vorsitzende des Kulturrings, Dr. Gerhard Schewe, lobte die „leisen Töne“ dieser Präsentation, die vermeidet, Interpretationen vorzunehmen und die damit die Besucher auffordert, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wie sich die Mauer in Biografien „diesseits und jenseits“ widerspiegelt, stand im Mittelpunkt von Gesprächsprotokollen – „MITTENDRIN im zehnten Jahr der Einheit“, aus denen Inge Thormeyer einige Auszüge vortrug. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung durch die Saxophonistin Marion Schwan, die spielerisch und improvisierend brillierte und die offene und leichte Art des Umgangs mit dem Thema unterstrich. Interessiert und beeindruckt zeigten sich auch die anwesenden Vertreter Dr. Sabine Ross und Herr Wellmann von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur – Anregungen und Ideen für zukünftige Projekte zum Thema waren zu vernehmen ....

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