Drehbuchreif und ohne Star-Allüren

Tinija Heinlein-Müller

Das Leben von Dr. Beate Reisch

In unserer Reihe „Eine/r von uns“ stellen wir verdiente Mitglieder und Mitarbeiter unseres Vereins vor. Heute: Dr. Beate Reisch, Stellv. Vorsitzende des Kulturring in Berlin e. V.

Verkürzt dargestellt klingt ihre Vita so sagenhaft wie eine Film-Vorlage: Als Jüngste von drei Geschwistern wächst sie in der kurzen Ehe einer Adligen mit einem 1948 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Neulehrer auf. Gezeugt während eines Fronturlaubs, geboren am 23. Februar 1945 in Dessau – auf der Flucht vor einem Bombenangriff auf die Junkers-Motorenwerke, wo ihr Großvater Testpilot war. Die adligen Vorfahren habe man ihr in der DDR nie angekreidet, hätten ihr aber auch keinen Bildungsvorteil gebracht, da in der Familie eher leichte Lektüre bevorzugt wurde. Nur Beate vertieft sich, auf der Kohlenkiste sitzend, ganz und gar in „richtige“ Literatur und ist mit 10 Jahren felsenfest überzeugt, dass ihr Beruf mal etwas mit Büchern zu tun haben würde. Immer auf der Suche nach geistiger Nahrung zieht sie – noch minderjährig – zur Familie ihrer Freundin und beendet dann 1964 eine Lehre als Verlegerin bei Fischer in Jena. Mutter und Schwester, die bereits 1957 nach Westberlin zogen, fordern sie immer wieder auf, ihnen zu folgen. Beate Reisch sieht keine Veranlassung. Auch später nicht, als sie des öfteren dienstlich im „Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ unterwegs ist. Sie sucht und findet ihren eigenen Weg. Mit 22 ist sie bereits Leiterin einer renommierten Buchhandlung in Potsdam-Babelsberg. „Die vorwiegend kaufmännische Tätigkeit war bei zwei Millionen Mark Umsatz im Jahr eine echte Plackerei, wenn man die niedrigen Buchpreise von damals ins Verhältnis setzt“, meint sie heute.

Mit der Öffnung der Kulturpolitik unter Minister Klaus Gysi werden in den Jahren ab 1966/67 u. a. auch Kafka, Hemingway und Böll in Ostdeutschland verlegt. Folglich stehen in ihrer Buchhandlung prominente Autoren und Regisseure aus den nahe gelegenen Filmstudios Schlange. Unter ihnen Günter Reisch von der DEFA, den sie 1971 heiratet und dem sie bis heute die Treue hält. Mit ihm habe sie viele Erlebnisse und Dokumente gesammelt und in einem umfangreichen Archiv festgehalten. So manche gemeinsame Veranstaltung sei daraus für den Kulturring entstanden. Doch allmählich würde ihr Reihenhaus im Plänterwald zu eng, so dass sie beide derzeit die Übergabe des Archivs nach Potsdam vorbereiten, erfahre ich.

Das alles erzählt Dr. Beate Reisch mit Gelassenheit und ohne Dramatik in der Stimme. Dabei scheint ein „ganz gewöhnlicher Tag“ der Rentnerin und inzwischen dreifachen Großmutter alles andere als geruhsam. „Gestern zum Beispiel“, berichtet sie, „meldet sich um 6.30 Uhr in der Früh am Telefon die Enkelin zum Plaudern. Dann werden die Tageszeitungen durchforstet, u. a. nach Rezensionen und interessanten Neuveröffentlichungen. So habe ich immer eine handvoll Titel parallel zum Lesen.“ Es folgen letzte Absprachen mit ihrem Mann zur Abendveranstaltung im Kulturbund Treptow, zwischendurch ein langes Telefonat mit einem Autor aus Hessen. Gegen Mittag ein bisschen Gartenarbeit und der Versuch, den PC mit einer größeren Festplatte auf Trab zu bringen. Schließlich die Abendveranstaltung zu 60 Jahren DEFA, die um 19.00 Uhr beginnt. An manchen Tagen kommen neben der „kulturellen Basisarbeit“ noch die Verpflichtungen aus dem ehrenamtlichen Engagement im Vorstand des Kulturrings hinzu: Absprachen mit der Geschäftsführung oder das Wahrnehmen von Terminen in Stellvertretung für Dr. Schewe.

Auf die Frage, wie sie solch ein Arbeitspensum bewältige, meint sie schlicht: „Nicht so viel labern“. Ihren Tag strukturieren gelernt hätte sie als Mutter zweier Söhne. „Nebenher“ habe sie ein Philosophie-Studium an der Berliner Humboldt-Universität und ihre Promotion zu Jean-Paul Sartre bewältigt. Denn das Handeln mit Büchern wird ihr bald zu wenig. „Oder eher anders herum“, schiebt sie nach, „denn Kinderbetreuung zu DDR-Zeiten war ja kein Problem.“

Offenbar braucht man nicht nur ein ehrgeiziges Ziel, sondern auch ein flammendes Herz für Kunst, Literatur und Geschichte, wenn man mehrere „Jobs“ gleichermaßen engagiert ausfüllt, wie Dr. Beate Reisch das tut. Gehört sie doch auch zu den Gründungsmitgliedern der Friedrich-Wolf-Gesellschaft und damit zu den Rettern des Friedrich-Wolf-Hauses in Lehnitz und seines Archivs. Das war in den 90er Jahren. Da hat sie bereits als Leiterin eines ABM-Projektes in der Treptower Ernststraße ein Zuhause gefunden und initiiert diverse internationale Projekte wie ein Japan-Fest im Rathaus Köpenick. Kulturbundmitglied ist sie seit Mitte der 70er Jahre, und auch als wissenschaftliche Assistentin an der Akademie der Künste arbeitet Dr. Reisch seit 1980 bei vielen Veranstaltungen mit dem Kulturbund zusammen – z. B. bei Ausstellungen zu Johannes R. Becher, dem ersten Kulturbund-Präsidenten, zu Bertolt Brecht oder Hanns Eisler. So scheint es folgerichtig, dass sie 2001 in den Vorstand des Berliner Kulturrings gewählt wird. Und ihre Verdienste für den Kulturring? „Keine“, meint die Stellvertretende Vorsitzende trocken. „Außer, dass ich diesen Verband nach Kräften stärke, der vielen so wie mir eine Heimat gibt.“ Und nach kurzem Überlegen: „Ich finde ganz beachtlich, wie der Kulturring mit unzähligen Veranstaltungen und Projekten in Ost und West unser Kulturerbe pflegt und damit Möglichkeiten bietet, die eigene Identität zu wahren. Dazu gehört das kritische Hinterfragen der Geschichte ebenso wie das Neugierig-Sein auf andere Kulturen und Lebensentwürfe. Und nicht zuletzt will ich mit meinem Engagement andere ermuntern, sich niemals dem vermeintlichen Schicksal zu ergeben. Das ist mein Credo.“

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