Der Kulturring-Club in der Ernststr. 14-16 ist ein wirklicher Insider-Tipp für herausragende Veranstaltungen der verschiedensten Kunst-Genres. Im November erwartet den Besucher – trotz Herbstzeit – ein Salon im Grünen, mittlerweile schon die Nr. 32. Der Titel könnte treffender nicht sein, schaut man auf die aktuelle politische Szenerie in der Hauptstadt: „Der Sorgensenator“. Aber natürlich geht es in dem Roman von Norbert Müller um etwas ganz anderes. Er fragt sich und uns:
Wofür reicht das „Material“ eines Lebens? Für eine Grabrede, eine Spalte in der Goldenen Post, einen Roman? Lambert, um die vierzig, kann vom Schreiben nicht leben, auch nicht von seinen gelegentlichen Grabreden, so soll er denn vom Leben schreiben, nur nicht in Form eines Romans, sondern in wahren Geschichten für die Goldene Post. Bis zu diesem zweifelhaften Höhepunkt seiner Karriere hat Lambert selbst auch schon einiges Erzählenswertes erlebt, hat eine Ehe hinter sich gebracht und einen Sohn gezeugt – und vielleicht auch einen zweiten –, ist einer Brotmesserattacke seiner Mutter entgangen, ist den Reizen seiner Schwiegermutter erlegen und hat aus dem Nachlass seines erfolgreichen Schriftstellerkollegen Winterberg dessen verflossene Ehefrau Annette übernommen. Nicht ganz unproblematisch, zu Lamberts notorischen Geldnöten gesellt sich nämlich in letzter Zeit die Sorge, Annette könnte in Sachen Winterberg rückfällig werden. Und außerdem wird Lambert das Gefühl nicht los, dass Winterberg ihn verfolgt. Doch was will der von ihm?
Norbert Müller, geboren 1963 in Aachen, studierte Germanistik, Politik und Psychologie in Freiburg im Breisgau und in Wien. Zwischen 1982 und 1990 war er Briefträger; ab 1991 Lektor für Deutsch als Fremdsprache in Wien, Dublin, Oxford und Berlin. Heute lebt und arbeitet er in Berlin.
In einem Film von Martin Claus lädt der Kulturring-Club in der Ernststraße – ebenfalls im November – zu einer Wiederbegegnung mit einer Berliner Legende ein.
Charlotte von Mahlsdorf hat in einer Zeit der Umbrüche, in der wenige einen Sinn für das Bewahren zeigten, sich für den Erhalt wichtigen Kulturguts eingesetzt. Man kann sagen, dass ihr ganzes Leben diesem Ziel gewidmet war. Mit einer Willensstärke und Selbstlosigkeit, die heute kaum mehr vorstellbar ist, ist es ihr gelungen, ein altes Gutshaus vor dem Abriss zu retten, dort für ihre Sammlung ein Museum einzurichten und dieses ohne staatliche Unterstützung offen zu halten. Um nur einige Highlights des Museums zu nennen: Der Schreibtisch samt Unterlagen des Konstrukteurs des „Mercedes“, eine komplette Zimmereinrichtung im selten erhaltenen neogotischen Stil, Musikautomaten… und die Einrichtung der alten „Mulackritze“, einer Altberliner Kneipe, die schon als Kulisse für den Film „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ diente. Dort trafen sich in den 20er Jahren viele bekannte Künstler, Schwule und Lesben. Charlotte von Mahlsdorf (Lothar Berfelde) gehörte selbst einer Minderheit an und bot deshalb auch der schwul-lesbischen Szene, in einer Zeit der öffentlichen Diskriminierung, ein Domizil. Rosa von Praunheim hat ihr in dem Film „Ich bin meine eigene Frau“ ein Denkmal gesetzt. Auch Charlotte von Mahlsdorf selbst hat über ihre Erfahrungen zwei Bücher geschrieben. Nach der Wende wurde ihr Lebenswerk mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt.
Martin Claus, geboren 1949 in Lampersdorf, gelenter Schriftsetzer, studierte Typografie in Berlin und arbeitete freischaffend als Grafiker, Fotograf, Redakteur und Gestalter in den verschiedensten Projekten.
Zwei Veranstaltungen, heraus gegriffen aus einen ganzen Reihe von Angeboten im November in Baumschulenweg. Wie interessant es sein kann, im Kulturring-Club vorbei zu schauen, spiegelt sich auch in einem begeisterten Leserbrief wider, den die Redaktion dieser Tage von Ursula Zimmermann erhielt: Sie schreibt uns unter der Überschrift „Wenn die Mutter mit dem Sohne ...“ über ein Konzert („I got rhythm“), das sie im letzten Monat in der Ernststraße begeisterte u.a.:
Eigentlich muss es heißen „Wenn der Vater mit dem Sohne …“. In diesem Fall handelte es sich um eine glückhafte musikalische Verbindung zwischen Mutter und Sohn. Ein Fall? Aber nein! Grandioser Einfall, wiederholbare und neue Einfälle für zauberhafte Musikabende. Mutti singt und Sohn begleitet sie auf dem Klavier. Wie sie heißen? Ach so, die Namen. Ja, man sollte sie sich merken. Aber in erster Linie prägen sich die stimmliche Qualität von strahlend, kraftvoller Vortragsweise bis zu leisen sinnlich, besinnlich gesungenen Geschichten in Liedern von Count Basie, Melodien von George Gershwin und Charlie-Chaplin-Songs bei unaufdringlicher und doch den Gesang tragender Klavierbegleitung dem Zuhörer ein. Woher ich das weiß? Ich hatte die Vernunft, meiner Neugier zu folgen und meinen Freund zu dieser Veranstaltung vom Kulturring in der Ernststraße einzuladen. Eigentlich ist es nicht meine Musik, aber die meines Freundes. Und Sie werden es nicht glauben: Ich war so hingerissen von diesen beiden Persönlichkeiten, dass ich sie gedanklich auf den Musikbühnen der Stadt, des Landes sah. Ohne Mikrofon frei zu singen, Texte in Bild- und Musiksprache umzusetzen und so über anderthalb Stunden das Publikum zu fesseln – ob Insider oder Ahnungslose wie mich – es war ein Genuss. Zauberhaft der persönlich familiäre Umgang von Mutter und Sohn während des Programms, eine warmherzige Ergänzung, die die musikalische Kunst der beiden wohltuend bereicherte. Ach so, die Namen, hier sind sie: Friederike Carus, Gesang und Robert Carus, Klavier.