Inhaftiert

Ylva Queisser

Mitten in einem Wohngebiet in Hohenschönhausen liegt das ehemalige Stasi-Gefängnis, in dem ab den fünfziger Jahren bis 1990 viele Gegner der SED-Diktatur eingesperrt waren. Seit 1994 ist die Haftanstalt eine Gedenkstätte, in der hauptsächlich frühere Häftlinge durch das Gebäude führen und Besuchern über ihre Haftzeit erzählen.

Zu DDR-Zeiten war das Gebiet um die Genslerstraße im Bezirk Lichtenberg-Hohenschönhausen Sperrgebiet, und die Häftlinge wussten oft nicht, wo sie sich befanden. Heute wünschen sich viele eine genauere Kennzeichnung des Areals mit Infotafeln. Auf Grund einer Diskussion über diese Tafeln geriet die Gedenkstätte im Frühjahr 2006 bundesweit in die Schlagzeilen: Bei der Veranstaltung des Bezirkes, zu der Kultursenator Flierl eingeladen war, kamen auch viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Sie behaupteten, in Hohenschönhausen sei es human zugegangen.

Das Gegenteil erzählt ein Projekt des Kulturrings, das ab dem 9. November 2006 in der Saarländischen Landesvertretung in den Ministergärten präsentiert wird. Die Ausstellung „Inhaftiert“ von der Berliner Fotografin Franziska Vu macht das Leid, die Angst, die Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit der betroffenen Menschen spürbar. Aufnahmen aus der Gedenkstätte und Portraits ehemaliger Häftlinge werden mit Textbeiträgen der Zeitzeugen ergänzt, in denen die Gefangenen von ihrem Schicksal erzählen.

„Diese Isolation, diese Ungewissheit. Sie wussten ja nie, was passiert. Sie sitzen da, es ist ruhig, sie hören nichts, keine Geräusche, und Sie wissen nicht, was passiert […]“, berichtet Dr. Jörg Kürschner, der 1979 bei der Einreise in die DDR verhaftet wurde. Weil er für einen Bekannten aus Jena Bücher und Zeitschriften aus der BRD mitbrachte, wurde er im Sommer 1980 wegen staatsfeindlicher Hetze zu 5 Jahren und 8 Monaten verurteilt und Ende 1981 vom Westen freigekauft.

„Wenn ich meine 2 Jahre Haftzeit rekapituliere, komme ich zu dem Ergebnis, dass die Zeit in Hohenschönhausen die schlimmste war. Eben aufgrund dieser totalen Isolation.“, sagt der heutige Vorsitzende des Fördervereins der Gedenkstätte.

„Insgesamt war Hohenschönhausen psychische Folter, und die war außerordentlich schwer zu ertragen. […]Mich bringt […] auf, dass ehemalige Stasi-Generale heute ihr menschenrechtswidriges Handeln leugnen, indem sie zum Beispiel die schlimmen Haftbedingungen in Abrede stellen. Oder sie verunglimpfen die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen durch die wahrheitswidrige Behauptung, dort seien Zellen nachträglich eingebaut worden.“ (Auszüge aus dem Interview mit Dr. Kürschner aus der Ausstellung)

Sechzehn Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es stets einen großen Bedarf, das Thema „Haft in der DDR“ in der Öffentlichkeit aufzuarbeiten. Das Projekt von Franziska Vu ist als Wanderausstellung konzipiert, die nach der Eröffnung in Berlin auch an anderen Orten der Bundesrepublik gezeigt werden soll. Die fotografische Umsetzung und die Zusammenarbeit mit Zeitzeugen bieten den Besuchern eine Möglichkeit, sich in das Leben und Erleben der ehemaligen Häftlinge hineinzuversetzen. Die Feinfühligkeit der Fotografin und die Offenheit der Interviewten macht die Ausstellung besonders gelungen und sehenswert.

Die Ausstellung „Inhaftiert“ ist vom 09.11.-29.11.2006 in der Vertretung des Saarlandes beim Bund, In den Ministergärten 4, 10117 Berlin, zu sehen.

Öffnungszeiten: Mo-Fr von 9-19 Uhr

„Inhaftiert“ ist ein Projekt des Kulturrings in Berlin e.V. von der Fotografin Franziska Vu und mit Unterstützung des Fördervereins der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen e. V. Es wird gefördert von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Senatsverwaltung für Justiz Berlin und von „Gegen Vergessen für Demokratie e. V.“.

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