Sunlight - Daylight - Highlights

Tinija Heinlein-Müller & Angelika Andres

Festival zum 30. Geburtstag des Studios Bildende Kunst

Vom Freitag, dem 18. August bis zum Sonntag, dem 20. lassen wir mal richtig die Puppen tanzen, sagten sich die Initiatoren des Puppentheaterfestivals im Studio Bildende Kunst in der John-Sieg-Straße 13. Durch die Räume dieses Hauses fließen drei Jahrzehnte lang gespeicherte „innovative“ Energien. Aber auch für „Retter in der Not“ (2004 sollte das Haus geschlossen werden), wie in der Eröffnungsrede die Bürgermeisterin von Lichtenberg Christina Emmrich den Vorstandsvorsitzenden Dr. Gerhard Schewe vom Kulturring lobt, bleibt das Erschließen und Betreiben dieser Heim- und Werkstätte bildender und lebenskünstlerischer Aktivitäten eine Herausforderung. Die Finanzquellen zur Pflege kreativer Traditionen sprudeln nicht so verschwenderisch wie Ideen.

In der denkmalgeschützten Villa „Skupin“, die zu den ältesten Galerien im Osten Berlins zählt, pulsiert wie geplant das Leben für drei Tage heftiger als gewohnt. Draußen vor der Tür, auf dem ansonsten recht ruhigen und grünen Innenhofbereich zwischen Mauritius-Kirche und den elfgeschossigen Wohnbauten, wird eine Bühne aufgebaut.

Die Aufführung des Weiten Theaters mit Shakespeares „Der Sturm“ ist Schauspielkunst auf hohem Niveau und zeigt den Kampf ums Überleben mit Liebe, Musik und leisen Tönen. Strahlender Sonnenschein lockt Akteure und Animateure des kleinen Festivals der Kultur am Mittag des folgenden Tages zum Familienprogramm in den Kiez.

Höhepunkt am Samstagabend ist die Aufführung von Pony Pedro, einer Gruppe junger Künstler aus Kreuzberg, mit einem Figuren- und Gesellschaftsspiel nach Motiven von Bertolt Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Im Stadtteil Lichtenberg von Berlin scheint kein Effekt zu abstrakt zu sein; um ihn dem verehrten Publikum des 21. Jahrhunderts gekonnt vor den Latz zu hauen und mit spielerischem Vergnügen zu variieren. „Ja, da glaubt man wieder an das menschliche Geschlecht, edel sei der Mensch, gut und so weiter...? Das Glockenläuten am Sonntag setzt pünktlich ein, wie inszeniert mit der Verfolgung des Wildschweins aus dem Märchen „Das tapfere Schneiderlein“. Dem Einfall der Regie zufolge führt die Jagd in die Puppentheater-Kirche und zum guten Ende. Am Stammtisch der irdischen Vertreter aus Kultur, Politik und Medien hinter der letzen Zuschauerreihe hätte man im Eifer der Diskussion diese von Kindern umjubelte Szene beinahe verpasst. Alles ist gut gelaufen. „Retter in der Not“ werden immer und überall gebraucht. Das Studio möchte in der John-Sieg-Straße seine Festzelte noch viele Male aufbauen. Dank sozial und kulturell engagierter Menschen, u. a. Politiker und Künstler, die dem Kulturring in Berlin e. V. und den Lichtenbergern in besonderer Weise verbunden sind, hat das letzte Stündlein zum Glück noch nicht geschlagen.

SBK - 3 Buchstaben stehen für 30 Jahre Studio Bildende Kunst

Streng genommen ist das Studio noch zwei Jahre früher entstanden. Sein Vorläufer wird 1974 als kommunale Einrichtung in den Räumen des Kulturbundes Berlin-Lichtenberg in der Frankfurter Allee 285 gegründet. Drei Zirkel arbeiten hier: Malen und Zeichnen, Textilgestaltung sowie der Keramik- und Töpferzirkel. Doch die Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten in den beiden Räumen im Hinterhof sind recht beengt. Wolfgang Kallauka, später der erste Studio-Leiter, macht sich in dem Bestreben, der ?Bildenden Volkskunst“ in Lichtenberg mehr Ansehen zu verschaffen, auf die Suche nach attraktiveren Räumen. Findet sie in der Villa im Art-deco-Stil in der John-Sieg-Straße 13, wo u. a. ein Thälmann-Kabinett und ein Jugendtourist-Reisebüro residieren. „Mach mal. Wenn es nichts wird, sind wir nicht schuld“, meinen die Vorgesetzten in der kommunalen Verwaltung. Und so entstehen dort ab 1976 mit viel Eigeninitiative weitere Mal- und Zeichenzirkel, ein Aktzirkel und mehrere Zirkel für Druckgrafiken. Die Litho-Presse wird aus Privatbesitz beigesteuert, denn die finanziellen Mittel sind gering, der Zulauf jedoch ist groß.

In den Jahren 1979/80 gibt es keine Ausstellungen, weil das 1923 errichtete Haus wegen baulicher und technischer Mängel geschlossen und saniert wird. Doch einige Zeit später, am 18. 12. 1985 weiß die Berliner Zeitung zu berichten:„Bis in die späten Abendstunden verlischt hier das Licht nicht. Im studio bildende kunst ... ist immer zumindest einer der 17 hier insgesamt bestehenden Zirkel am Werken. ... Das Studio dient aufgrund seiner überdurchschnittlichen materiell-technischen Ausstattung, zum Beispiel Tiefdruckatelier und Lithographiewerkstatt ... zugleich auch als zentrale Werkstätte für grafische Techniken. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Haus für Kulturarbeit finden hier auch Intensivkurse für Volkskünstler aus allen Stadtbezirken Berlins und aus den Bezirken der DDR statt. Dem Schwerpunkt Grafik fühlt sich das Studio auch noch in anderer Weise verpflichtet. In der dortigen Werkstattgalerie wurde damit begonnen, druckgrafische Techniken vorzustellen - und zwar anhand von Originalen, die zugleich einen überaus informativen Überblick über die wichtigsten ... seit 1945 in Berlin tätigen Künstler geben.?

Was die Presse nicht schreibt, aber von Mund zu Mund geht, ist, dass die erste Ausstellung dieser Art am 6. Juni 1984 unter dem Titel „35 Jahre Hochdruck in Berlin“ laufen sollte. Die wie immer wachsame Sicherheit des Landes wird mehr als stutzig. Steht doch der 35. Jahrestag der DDR vor der Tür. Die fast fertigen Plakate werden konfisziert. Am Ende darf die Ausstellung unter dem Titel „Hochdrucktechnik“ dennoch stattfinden. ...

In den Jahren nach der Wende macht sich INVENTOR e. V. Verein Berliner Grafikfreunde um das noch immer kommunal finanzierte Studio Bildende Kunst verdient. Dem Profil hinzu gefügt werden u. a. jährliche Grafikpodien zur Präsentation der Arbeiten Berliner Kunststudenten und jährliche Kunstversteigerungen zugunsten der Aktion„Kinder von Tschernobyl“. Bis im Jahr 2003 die Einrichtung wegen immer knapper werdender öffentlicher Kassen geschlossen werden soll.

Als Retter in der Not erweist sich der Kulturring. Der Verein mietet 2004 das Haus an und betreibt es fortan eigenwirtschaftlich. Damit schließt sich ein Kreis. Das traditionell bewährte Profil von Grafik-Galerie und -Werkstatt sowie künstlerischen Kursen für alle Altersgruppen wird fortgeführt. Um die Attraktivität der Einrichtung für ein breites Publikum zu erhöhen, kommen neue Veranstaltungsreihen wie Buchlesungen oder Lyrik- und Musik-Abende hinzu. Dass die mitunter beschaulich wirkende Villa inzwischen auch bundesweit bekannt ist, zeigt ihre Popularität: Seit Frühjahr dieses Jahres nutzt die 1925 gegründete und damit traditionsreiche „Griffelkunst Vereinigung Hamburg e.V.“ mit mehren Tausend Mitgliedern in Deutschland das Studio Bildende Kunst, um nunmehr auch in Ostberlin für Freunde und Sammler originalgrafischer Blätter präsent zu sein.

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