Hinter den Kulissen von Berlin

Angelika Andres

Das dritte Auge der Ökonomin

In unserer Reihe „Eine/r von uns“ stellen wir verdiente Mitglieder und Mitarbeiter vom Kulturring in Berlin e. V. vor. Heute aus dem Projektbereich Ost: Annegret Schäffner.

In Bützow geboren und in der vorpommerschen Küstenregion aufgewachsen wird 1979 die damals 22-Jährige als Diplom-Ingenieurökonomin von Rostock nach Berlin „verpflanzt“. Das Berliner deutsch-russische Tschechow-Theater ist inzwischen nur eine der „Spielstätten“ im Kulturring, wo die buchhalterischen Künste der „Südschwedin“ hoch im Kurs stehen.

Endstation S-Bahnhof Ahrensfelde. Fünf Minuten nach Verlassen von Bus oder Bahn kann jedermann in eine „andere Welt“ eintauchen. Die Oase im Wohngebiet ist ein Mehrzweckgebäude und gilt als Geheimtipp für Liebhaber gepflegter Kleinkunst. Zwischen Reisebüros und Gaststätten mit internationaler Küche funktioniert Alltag. Musik liegt in der Berliner Luft. Der Umgang mit russischer Seele, deutscher Disziplin, brasilianischem Temperament, lateinamerikanischen Rhythmen oder anderen menschlichen Stärken und Schwächen scheint gut geregelt zu sein.

Mitten drin im Quartier spielt Annegret Schäffner manchmal die „kühle Blonde“. Ob Arbeitsamtmaßnahme, Honorartätigkeit oder Ehrenamt – sie arbeitet gern, genießt das Image als Power-Frau und steuert ihr Schiff „hart am Wind“ in die erforderliche Richtung.

Im Kulturring hat sie sich von Anfang an wohl gefühlt. Innerhalb des Projektbereiches sind ihr alle Einsatzorte zwischen Bildschirmen und Bühnen des Vereins vertraut.

„Vorbereitende Buchhaltung“ ist ein weiteres Feld ihrer Aufgaben. Vor 7 Monaten fällt die Zahlenfüchsin aus allen Wolken. Sie soll das Team der Kreativen im Kulturmanagement des Tschechow-Theaters verstärken. Dem voreingenommenen Bild von Buchhalterin entspricht sie nicht. Darüber kann sie souverän lächeln, aber am Einsatz als „Theater-Überlebens-Künstlerin“ hat sie Selbstzweifel. Die frühere Handballerin hat das Jonglieren mit Bällen auf dem Parkett von der Pike auf gelernt. Ohne Training, Teamgeist und Fairness gibt es für sie keine Lebensqualität. Bei „Anne“ endet der Spieltrieb bei Zahlen, wirtschaftlichen Daten und Fakten, und es beginnt die verantwortungsbewusste Leidenschaft. Kultur und Unternehmenskultur nennt sie in einem Atemzug.

Die Bilanzen der Schäffner stimmen. Über allen Brüchen und Zahlen steht die Herzensbindung zur Tochter. Die Momente des gemeinsamen Glücks werden bezahlt mit großen Sorgen um die Gesundheit ihres damals 17-jährigen Kindes, das aus unerklärlichen Gründen plötzlich nicht mehr laufen kann. Die „kühle Blonde“ spricht auf einmal von „Wundern“, die ihr Leben verändert haben. Es sind mit Worten gemalte Bilder einer Innenarchitektin (ihr Traumberuf) und einer Seele von Mensch.

Die Kreise des Kulturrings umspannen ihr heutiges Leben auch auf eine sehr private Weise. Bei der Arbeit lernte sie vor sechs Jahren einen neuen Partner kennen und lieben, und vielleicht ist die Entscheidung für den Ehering das Geheimnis, weshalb die Schäffner endlich beginnt, in Berlin Wurzeln zu schlagen. Ihre Sehnsucht nach allem, was nach Norden klingt, nach Salzwasser riecht und sich wie Sand anfühlt, wird jedoch nie ganz aufhören.

Die Augen der bereits 3-fachen Omi strahlen. Die heute wieder kerngesunde Tochter sorgt mit dem ersten Kind für Nachwuchs. Die Nachricht von der Geburt wird im Herbst 2006 über die Kontinente fliegen. Sprachen und Kulturen beleben lange schon die multikulturelle Patchwork-Familie. Die Schwiegertochter ist eine Kanadierin mit Eltern philippinischer Herkunft.

In Deutschland steht der Name Annegret nie an einer Spitzenposition für werdende Eltern. Interessant sind Herkunft und Bedeutung des Doppelnamens aus hebräisch „die Begnadete“ und persisch „Perle“. Sie sucht für ihr Machbares im Kulturring eine akzeptable Lösung. Die Schäffner knüpft die seidenen Fäden der gut gepflegten, fein gesponnenen Netzwerke aller Art. Nicht nur Theater, Zahlen und Computer spielen „ein Leben lang“ bei Schäffners die Hauptrolle, sondern Menschen mit Herz und Rückgrat.

Also lieber mal ein Auge zudrücken. Es ist nicht einfach: „man sieht nur mit dem Herzen gut“, denn das dritte Auge, das Auge der Weisheit, blickt vor und hinter die Kulissen.

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