OST-ART ZUM ZEHNTEN

Renate Weigt-Apitz

Die Galerie Ost-Art des Kulturrings in Berlin wird zehn Jahre alt. Da kommen die Gratulanten und es werden artige Reden gehalten. Also stellen wir uns zu ihnen und geben unseren Senf dazu.

Von den Anfängen wäre zu reden. Wir hatten zwei Räume in der Giselastraße in Lichtenberg. Der tiefe Osten versprach kein galeriesüchtiges Publikum, das nur auf die erste Vernissage wartete. Aber wir hatten auch eine Idee. In Ost-Art wollten wir die Werke von Künstlern ausstellen, die ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt im Osten hatten und z.B. durch die Kunstausstellungen in Dresden bekannt waren. Viele Menschen hatten diese Ausstellungen besucht und so Kenntnis erhalten von dem vielfältigen Werk ostdeutscher Künstler. Diese Begegnungsmöglichkeit war ihnen durch die Wende abhanden gekommen. Sie im Rahmen unserer Möglichkeiten neu zu beleben und weiter zu führen, war unsere Chance, und wir brauchten plötzlich genau diesen Standort Ost, wo Bekannte Bekannte treffen würden. Ein Wagnis blieb es dennoch, denn die Lebensphilosophie der Menschen hatte sich gewandelt. Würde der Mensch, der um seinen Arbeitsplatz bangt, der plötzlich neue Zwänge zu bestehen hat, die Bereitschaft und Zeit finden, eine Galerie zu besuchen? Würde ein Arbeitsloser, der sich in seiner Würde beschädigt sah, die Kraft aufbringen, sich aus eigenem Antrieb, ohne seine Brigadekollegen, dem Genuss eines Galeriebesuches zu stellen? Wir nahmen uns nicht die Zeit, diese Fragen zu analysieren, um eine fundierte Antwort zu finden. Die Eröffnung der Galerie war ein kontrolliertes Abenteuer. Lothar Reher entwarf uns ein Logo. Mit Arno Mohr und seinen wunderbaren Grafiken zu Berliner Ansichten hatten wir unseren ersten Schritt getan. Nun mussten wir das Kind am laufen halten.

Unsere Entscheidung, nur Personalausstellungen zu zeigen, erwies sich als richtig. Wenn eine Arbeit die andere stützt, kommt es zu dem profilbildenden, tiefgreifenden Gesamtergebnis. Aus der Vielfalt der Arbeiten konnten wir immer in Zusammenarbeit mit dem Künstler auswählen und der jeweiligen Ausstellung eine bestimmte Richtung geben, die sich oft im Titel ausdrückte. Damit schafften wir Spannung zwischen dem Produzenten und Rezipienten. Oft wurden wir von den Gästen einer Vernissage schon nach dem Titel der nächsten Ausstellung gefragt. Eine neue Erfahrung, derer wir viele mit unseren Gästen machten. Kinder haben bei uns ihre Nachmittage verbracht und nach Bildern gemalt oder gezeichnet, Berufstätige kamen nach der Arbeit auf einen Sprung vorbei, Arbeitslose waren froh um ein Gespräch, Rentner besuchten unsere Ausstellungen sogar mehrmals.

Etwa sechzig Künstler haben uns ihr Vertrauen geschenkt und ihre Werke bei uns ausgestellt. Die Auswahl der Künstler hat uns Profil gegeben. Oft war es die Gegensätzlichkeit der Werke, aus der Spannung erwuchs. Auf das stille Werk Arno Mohrs folgte farbstark Walter Womacka, auf Jürgen Pansows unberührbar wirkende Gestalten das übermütig-märchenhafte Werk von Werner Schinko.

Wir bekamen Lust darauf, es mit Plastiken zu versuchen. Selbst in unseren kleinen Räumen entfalteten sie ihren wundersamen Reiz und schufen eine fast private Nähe zum Betrachter. Christine Stäps, Ingeborg Hunzinger, Gertraude Pohl, Hartmut Klopsch, Jo Jastram u.a. haben uns ihre Werke überlassen.

Es kommt vor, dass Galerien in ihrem eigenen Saft verschmoren. Darüber mussten wir nie nachdenken. Wir bekamen Zugang zu Archiven und haben die Erinnerung an große Künstler auch nach ihrem Tode wach gehalten. Die Gedenkausstellungen zu Max Lingner und Werner Klemke können wir zu den Höhepunkten unserer Arbeit zählen. Wir haben uns immer Gäste eingeladen. Ein Amerikaner indischer Abstammung, Uday K. Dhar, hat den Reigen eröffnet, der uns den Blick in fremde Kulturen gestattete. Rais Khalilov, ein in Berlin lebender Russe und Sylvie Guillemé aus Frankreich haben uns ihre Arbeiten sehen lassen. Noch in diesem Jahr wird uns Gertrude Degenhardt aus Worms Einblick in ihr Schaffen ermöglichen.

In den letzten Jahren haben vermehrt junge Künstler ihre oft zeitnahen Werke gezeigt. Wir konnten teilhaben an ihrem Suchen um Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten. Wir haben begriffen, dass eine neue Generation aufsteht. Damit bekommt diese kleine Galerie wohl auch einen neuen Sinn. Bildende Kunst ist immer auch ein Spiegel der Gesellschaft, in der sie entsteht.

Damit scheint die Galerie jetzt an einem Wendepunkt angelangt zu sein: Bewahrung der Tradition ostdeutscher bildender Kunst sollte ein Standbein bleiben, aber wir wollen uns verpflichtet fühlen, durch unsere Arbeit die kreative Auseinandersetzung gerade junger Künstler mit ostdeutscher Wirklichkeit zu fördern.

Die Autorin war 1996 Initiatorin der Galerie Ost-Art, trug wesentlich zu ihrer Gründung bei, leitete die Galerie bis zu ihrer Pensionierung 1999, wirkte danach über längere Zeit ehrenamtlich und ist der Galerie und dem Kulturring bis heute verbunden.

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