Theater – so bunt wie ihr Leben

Tinija Heinlein-Müller

Sieglinde Gálvez, langjährige Chefin des Zimbel Zambel

In unserer Reihe „Eine/r von uns“ stellen wir verdiente Mitglieder und Mitarbeiter des Kulturring in Berlin e. V. vor. Heute: Sieglinde Gálvez, Jahrgang 1941, bis zur Staffelübergabe Ende 2005 drei Jahre lang Leiterin des Kindermusiktheaters Zimbel Zambel, derzeit dort noch immer engagiert als Kulturmanagerin auf Honorarbasis.

Falls es den Begriff Patchwork-Karriere gibt, dann mag er für Sieglinde Gálvez treffen. Ihr Lebensweg trägt diverse Nahtstellen und Brüche, wirkt aber gerade wegen der Vielfalt und Buntheit recht anziehend auf mich. „Auf Drängen meiner Eltern“, erzählt sie „habe ich was Praktisches gelernt: Vermessungsfacharbeiterin.“ Immerhin zeigt sie Ausdauer genug, diesen technisch-mathematischen Beruf acht Jahre lang auszuüben – als Angestellte im Katasteramt, später beim Liegenschaftsdienst des Berliner Magistrats. Doch ihre heimliche Liebe gilt schon lange dem Theater. Nebenberuflich engagiert sie sich als Dramaturgin und Regieassistentin in einer Laientheatergruppe, tut sich u. a. auch beim Berliner Ensemble und am Volkstheater in Rostock um. Anfang der 70er Jahre schließlich erfüllt sie ihren Traum. Nach dem Diplom der Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität wird sie Regieassistentin an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Inzwischen ist sie mit dem Chilenen Jorge Gálvez verheiratet. Der Putsch in Chile verhindert jedoch die geplante gemeinsame Ausreise in das Andenland. Es folgen Jahre der Kindererziehung und dann immer wieder wechselnde Engagements. Sie seufzt: „Zwei Söhne und Theaterarbeit ließen sich auch zu DDR-Zeiten nur schwer vereinbaren.“ Einige ihrer Pläne platzen. Doch sie findet immer wieder Möglichkeiten, sich einzubringen – zum Beispiel als Redakteurin bei der „Flimmerstunde“ bis hin zur Theaterarbeit mit Kindern selbst in Nachwendezeiten.

Auf den Kulturring in Berlin e.V. stößt Sieglinde Gálvez 2002 durch das Arbeitsamt. Der Verein sucht eine Nachfolgerin für das Puppentheater Zimbel Zambel und Lutz Wunder vom Kulturring überzeugt sie schließlich. Sie findet einen gut organisierten Kindertheaterbetrieb vor und ist auch sonst überrascht und begeistert, wie viel Kultur der Verein insgesamt in die vermeintlichen Kulturbrachen am Stadtrand Berlins bringt. Dann die Ernüchterung: Die Spielstätte, damals noch in der Strausberger Straße im alten Hohenschönhausen, ist nicht im besten Zustand. „Ich fand's einfach zum Davonlaufen“, gesteht sie heute. „Außerdem hatte ich ja insgeheim gehofft, selber Theater machen zu können.“ Doch als sie dann während einer Vorstellung in die begeistert strahlenden Kindergesichter schaut, will sie bleiben. Bis heute setzt sie sich so, dass sie ein Auge auf die Bühne, das andere jedoch auf das Publikum richtet. Daraus schöpft sie Kraft zum Weitermachen und ihre Belohnung für die oft mühseelige Kleinarbeit im Vorfeld. Über weite Strecken war sie ja Ein-„Mann“-Betrieb. Organisierte nicht nur alle Veranstaltungen, sondern entwarf auch die Werbeflyer und verteilte sie selbst.

Wie man hört, hat es ihr nie an Ideen gemangelt. Neben den Puppenspielern treten auch Musikgruppen wie Ulf und Zwulf, Puppen-Musicaltheater und sogar Zirkuskünstler auf. Sicher, auch Flops habe es gegeben. Doch da sie als Dramaturgin genau merke, an welcher Stelle bei Kindern die Langeweile entstehe, habe sie Auftritte kurzerhand auch wieder gestrichen. Insgesamt sei jedoch der Spielplan nicht nur vielfältiger, sondern auch dichter geworden, so dass sich selbst Kinder aus anderen Stadtbezirken oder kirchlichen Einrichtungen angezogen fühlen. Meine Bemerkung, dadurch habe sie immerhin den Theaterbetrieb auf einer soliden finanziellen Basis gesichert, wehrt Sieglinde Gálvez bescheiden mit einer Handbewegung ab. Auf den damit verbundenen Bürokram und die vorbereitende Buchführung hätte sie gern verzichtet. Vielmehr freue sie, dass in „ihrem“ Hause auch immer hoffnungsvolle junge Talente auftreten konnten. Einige, wie zum Beispiel die Puppenspielerin Rieke Schubert, sind inzwischen fast immer ausgebucht. Das spricht für Qualität.

Im Frühsommer 2005 dann der Umzug der Spielstätte in das Haus der Jugendkunstschule in der Demminer Straße 4. Nicht nur das Inventar nimmt Schaden. Auch das Stammpublikum bröckelt wegen des veränderten Einzugsgebietes ab. Also wieder Klinken-putzen-Gehen bei Kitas und Grundschulen, das Programm ändern und auf die Konzepte der Kindereinrichtungen abstellen. „Hinzu kommt, dass wegen der geringeren Deckenhöhe des Hauses so mancher Guck-Kasten keinen Platz findet. Das schränkt die Auswahl guter und dennoch bezahlbarer Künstler zusätzlich ein“, meint sie in Richtung auf ihre Nachfolgerin. „Doch Frau Müller wird das hinkriegen, wir schwimmen auf einer Wellenlänge“, ist sie sicher.

Sieglinde Gálvez wird in diesem Jahr 65. Sich „in Rente schicken lassen“ kommt für sie nicht in Frage. Sie hat noch Pläne, die sie verwirklichen will. Zum Beispiel wünscht sie sich für den Lichtenberger Stadtteil Hohenschönhausen eine eigene Spielstätte, wo sie am Vor- und am Nachmittag mit Kindern und am Abend für Erwachsene Theater machen kann. Und warum denn nicht, wenn schon heute Besucher aus dem fernen Lankwitz den Weg ins Zimbel Zambel finden? ...

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