Von Menschen und Filmen

Es waren Menschen, immer wieder Menschen, erzählt Ingrid Landmesser, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt, sie geprägt haben und denen sie beruflich und privat immer wieder begegnet ist. Nach dem Trauma des Krieges und der Flucht aus Pommern gelangte ihre Familie auf Umwegen 1946 ins Oderbruch, wo ihr Vater eine Landwirtschaft geerbt hatte. Dort wurde sie 1947 geboren. Die Weiten der Kornfelder, die zartlila Mohnfelder, ihre gleichaltrige Freundin, deren Großeltern immer Sirup aus Zuckerrüben kochten und die schaurigen Erzählungen von der Kornmuhme sind ihr bis heute in lieber Erinnerung geblieben. Es gab aber auch die Soldatengräber am Straßenrand und Stahlhelme mit einem kleinen Loch, die unter der Wasserpumpe als Auffangbehälter standen und all die Geschichten über den Krieg. Anfang der Fünfzigerjahre zog die Familie in den Luftkurort Waldsieversdorf bei Buckow in der Märkischen Schweiz. Hier öffnete sich die Welt in eine ganz neue Richtung. Im Garten von John Heartfield, dem Begründer der politischen Fotomontage und Freund von Bertolt Brecht, spielte sie mit anderen Kindern. Im Hörsaal der Hochschule für Nationale Politik fanden Filmveranstaltungen statt, mit denen Ingrid Landmesser heranwuchs. Besonders die Filme der italienischen Neorealisten beeindruckten sie sehr. Die aufrechte Haltung der Künstler und ihre dem Humanismus gewidmete Arbeit hinterließen lebenslange Spuren. Ab 1962 besuchte sie den altsprachlichen Zweig der EOS in Strausberg. Die Nähe zu Berlin erleichterten Theater- und Museumsbesuche. Wie nahe Komisches und Tragisches beieinander liegen können, wie entlarvend das Banale sein kann, zeigte ihr Michail Romms Film „Der gewöhnliche Faschismus“.

Nach einem Praktikum beim Fernsehen der DDR begann Landmesser 1967 ihr Studium an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg. Die Theorien Eisensteins, der Kuleschow-Effekt und das Werk von Joris Ivens spielten im Filmgeschichtsunterricht eine große Rolle und natürlich Charlie Chaplin. Während des Studiums bekam sie die Möglichkeit, als Regieassistentin bei einem Film über den Aufbau von Halle/Neustadt mitzuwirken. Dabei lernte sie Iris Gusner kennen, die gerade ihr Studium am Staatlichen Allunionsinstitut für Kinematografie in Moskau beendet hatte, als einzige Frau in Michail Romms Meisterklasse. Wie sie ihr Leben als alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern mit ihrer künstlerischen Arbeit verband und dabei niemals den Humor verlor, hatte für Ingrid Landmesser Vorbildwirkung. Anderen ehemaligen Kommilitonen begegnete sie immer wieder durch deren Filme, persönlich im Arbeitsleben oder auch privat. Der Schnitt des vierten Teils „Das Geheimnis der Anden“, bei der DEFA produziert, brachte persönliche Bekanntschaft u.a. mit Erwin Geschonneck. Die Filme von Geschonnecks Sohn Matti schätzt Landmesser sehr. Auch Gojko Mitic hat sie nicht aus den Augen verloren. Er ist jetzt Schirmherr für die Ausstellung „Der weite Horizont – Indianische Kultur & die Kunst des Kennenlernens“ im MACHmit! Museum für Kinder.

Landmessers Interesse am Dokumentarischen und die größere Selbstständigkeit bei der Arbeit am Filmschnitt prägten ihr weiteres Filmschaffen. Mit Ulrich Makosch verband sie das Engagement für Afrika und die dortigen Befreiungsbewegungen vom Kolonialismus. Der Dokumentarfilm „Sieger am Sambesi“ hatte besonders Mocambique im Focus. Der Film bekam in diesem Jahr eine neue Relevanz. Im Rahmen der Fürbitten in der Gethsemane-Kirche für die Freilassung des Menschenrechtlers Peter Steudtner aus türkischer Haft wurde dort sein Film über Mocambiquaner, die nach der Wende die DDR verlassen sollten, vorgeführt. Dies hatte das Ehepaar Maungue initiiert. Dörte Maungue ist Leiterin der Betreuung im St. Elisabeth-Stift und ihr Mann Eugenio war einer der Protagonisten im Film. Das Ehepaar Maungue und Peter Steudtner sind befreundet.

Nach dem Ende der DDR und der Auflösung des DFF arbeitete Landmesser an Filmen für das ZDF, Arte und 3Sat. An der Kaskeline-Filmakademie in Berlin war sie für die Betreuung von Studentenfilmen verantwortlich und mit der Lehrtätigkeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie ab 1997 und als Gastdozentin an verschiedenen Filmschulen konnte sie ihr großes Wissen an die Studenten weitergeben.
Im Dezember 2005 bekam Ingrid Landmesser im Kulturring in Berlin e.V. einen neuen Wirkungsbereich. Mit Videodokumentationen und projektbezogenen Recherchen zu „Orte und Persönlichkeiten“ setzte sie ihre Arbeit als Zeitchronistin fort. Ihre Mutter zog 2008 in das Pflegeheim St. Elisabeth-Stift im Prenzlauer Berg. Landmesser filmte für sie ihr neues soziales Umfeld. Das blieb nicht ungesehen. Die Stiftleitung trat an sie heran und fragte, ob sie so etwas für alle Bewohner machen könne. Mit ihrer Zusage wandte sich die Leitung des St. Elisabeth-Stifts in der Eberswalder Straße an den Kulturring und bat um Unterstützung bei der kulturellen Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner. So entstand ein Vorhaben der besonderen Art, das Projekt „Hausgemachter Kintopp“, an welchem Landmesser seit nunmehr acht Jahren, seit 2009, arbeitet. „Unsere Filme werden von Bewohnern und Mitarbeitern, Angehörigen, Ehrenamtlern, Ruheständlern und vielen anderen kooperativen Partnern mitgestaltet, die zum St. Elisabeth-Stift gehören oder sich hier mit viel Engagement einbringen“, schildert Frau Landmesser. Im Kulturring sitzt sie viele Stunden am hauseigenen, digitalen „Schneidetisch“ und bearbeitet die Mengen aufgenommener Gigabytes zu Filmen, die dann im Stift vor den Heimbewohnern und Mitarbeitern zur Aufführung gelangen. Diese Vorführungen sind für alle immer wieder ein großes Erlebnis, sehen sie sich doch wieder bei hauseigenen Veranstaltungen, Ausflügen ins Umland, Geburtstagen und dem alltäglichen Leben im Stift.

Besonders wichtig sind für Landmesser die 2016/17 entstandenen längeren Filme über die dringend notwendige Wahrnehmungswende in der Pflege geworden, da, wie sie sagt, weder Bewohner noch Mitarbeiter eine Lobby haben und die Ökonomisierung der Pflege immer mehr der Gewinnmaximierung dient. So entstanden Filme wie „…Da geht ein Mensch…“- Bewegte Zeiten in Pflege und Politik. Diese Filme über „Sorge- und Erinnerungskultur“ können im St. Elisabeth-Stift ausgeliehen werden. Im Gespräch betont Ingrid Landmesser immer wieder, dass ohne die technischen Möglichkeiten der Endfertigung innerhalb des Kulturrings und ohne die Fortbildungen, die sie durch den Kulturring wahrnehmen konnte, das Projekt „Hausgemachter Kintopp“ niemals hätte realisiert werden können. Die Arbeit und das Engagement von Ingrid Landmesser und ihrer MitstreiterInnen erschufen über die Jahre fast wie nebenbei ein Netzwerk durch die Verknüpfung von Einrichtungen des Kulturrings, des St. Elisabeth-Stifts, des MACHmit! Museums für Kinder und vieler anderer Orte, die für Menschen eine soziale und kulturelle Bedeutung haben. Bereits 2011 wurde Landmesser auf Vorschlag des St. Elisabeth-Stift für den „Hausgemachten Kintopp“ mit dem Ehrenpreis und dem Eintrag in das Goldene Buch des Stadtbezirkes Pankow ausgezeichnet. Die Filme wurden nicht weniger und die Geschichten der Menschen immer mehr. Dass dies so bleibt, wünschen wir Frau Landmesser. Und viel, viel Gesundheit! Und die allerherzlichsten Glückwünsche zu ihrem 70. Geburtstag in diesem Monat.

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