Geschichten erzählen

Ingo Knechtel

kann jeder von uns. Sie zeugen von Phantasie, sie reflektieren Erlebtes, sie sind individuell und sie sind interessant. Ihnen wirklich zuzuhören setzt voraus, sich auf sie einzulassen. Jedes Jahr finde ich um die Weihnachtszeit ein ausführliches Schreiben in meinem Briefkasten, mit dem mir ein Freund aus Thüringen über all die Ereignisse im vergangenen Jahr berichtet, die ihm wichtig waren. Da reiht sich Persönliches an Politisches, und immer schwingt die ganz eigene Sicht von ihm mit. Mein Großvater hat einst für seine Urenkel Geschichten aufgeschrieben, die sich so vor über 100 Jahren begaben und für ihn wichtig waren. Dies heute zu lesen, bedeutet, sich auf eine Zeitreise zu begeben. Sicher geht es nicht immer nur um Alltägliches. Allein das wäre schon spannend genug: die Zeit ohne PC, Smartphone oder Fernseher ist noch nicht lange her, die ohne Strom, Autos oder Eisenbahnen dagegen liegt weit zurück. Aber es sind gerade auch menschliche Schicksale, deren Schilderung einem dem Atem nimmt oder Gänsehaut erzeugt. Feldpostbriefe von der Front oder aus der Gefangenschaft sind solche Zeugnisse. Erlebnisse wie die unserer Autorin bei der Besucherbetreuung in der Ausstellung „Wir waren Nachbarn“ im Rathaus Schöneberg zählen dazu. Oder auch die existenziellen Bedrohungen, wie sie über lange Zeit gleichgeschlechtliche Beziehungen erleiden mussten, ohne dass Diskriminierungen und Ängste heute völlig überwunden sind. All diese Lebenswege, diese Schicksale nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, sie vielmehr anderen vor Augen zu führen, das steht heute mehr denn je auf der Tagesordnung. Und hier schließt sich auch ein Kreis, denn kein Leben ist unwichtig. Im Privaten, im Familiären wird auf diese Weise gelebtes Leben, werden Erfahrungen, Irrungen und Wirrungen über Generationen weitergegeben. Gleiches gilt für uns als Gesellschaft. Im Zentrum steht dabei immer das Warum einer Handlung. Als Verein können wir dabei vieles gemeinsam tun, indem wir uns für die Schicksale von Menschen interessieren, indem wir Geschichtswissen am Mitmenschen erlebbar machen und dabei vielleicht auch auf neue Erkenntnisse stoßen. Jeder von uns kann seine Geschichten auch selbst seinen Kindern, Enkeln und Freunden erzählen oder sie aufschreiben. Das wär doch mal ein schönes Projekt für das neue Jahr. Die Redaktion der KulturNews wünscht Ihnen allen viel Gesundheit, viel Freude an all Ihren Vorhaben für 2018.

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