Vor hundert Jahren, als der Film noch relativ jung war, entstand in der leeren ehemaligen Flugzeugfabrik, den Albatros-Werken, die zweitgrößte Berliner Filmstadt nach der Ufa in Babelsberg. Produktion von Filmen in Flugzeughallen klingt ein wenig unsinnlich; da, wo die Großen drehen, erwartet man Glamouröses, eine Filmstadt mit Kulissen und keine Zweckbauten wie die Hangars, kalt und funktionell. Die Umwidmung des Flughafens in die Spielanstalten war den Zeiten angepasst. Die Zeitläufe ließen es nicht zu, weiterhin die Motorluftfahrt zu entwickeln. Gerade mal zwei Jahre zuvor war der Erste Weltkrieg zuende gegangen, und der Friedensvertrag von Versailles versperrte die Möglichkeit, dass die Deutschen in irgendeiner Form wieder militärisch erstarken konnten. So endete dort der Flugzeugbau jäh nach gerade einmal elf Jahren. Die Idee der friedlichen Nutzung dieser intakten Gebäude ist Walther Huth, dem Direktor der Albatros-Flugzeugwerke, zu verdanken. Seine Idee, man könne in diesen ja Filmateliers einrichten, sollte sich auszahlen. Sie erwies sich als nachhaltige Investition, durch die Vermietung der leerstehenden Räume. May möchte mit seinem Buch noch einmal auf diese ignorierte „Filmepoche“ aufmerksam machen. Mit seinem Mitstreiter Mehner möchte er diese historische Wissenslücke füllen und mit dem Buchprojekt diesem Standort einen angemessenen und würdigen Platz bieten. Die Johannisthaler Mediengeschichte dauerte immerhin siebzig Jahre lang an.
Heute ist sie nur Filmhistorikern und ehemaligen Mitarbeitern des DDR-Fernsehens ein Begriff. Sie hatte wohl auch für die Zuschauer Anfang des 20. Jahrhunderts keine so große Ausstrahlungskraft, ganz im Gegensatz zu den Ufa-Studios. Gefragt, was genau den passionierten und ehrgeizigen Buchautor May so stört, dass diese Filmproduktionsstätte in Johannisthal nicht so zur Kenntnis genommen wurde wie es ihr eigentlich gebührt hätte, antwortet er: „Genau das stört mich, dass sie nicht zur Kenntnis genommen wurde, obwohl sie die zweitgrößte Filmproduktionsstätte in Deutschland war. Ein Drittel bis beinahe die Hälfte der Produktionen kam aus Johannisthal, da besteht ein Ungleichgewicht in der filmhistorischen Betrachtung.“
May sieht die Gründe in der staatlichen Dominanz bei der Ufa und dem Fakt, dass diese neben dem Studiobetrieb auch als Produzent und Filmverleih auftrat. Das Logo der Ufa klebte auf jedem Plakat, auch wenn der Film in den Jofa gedreht wurde. Sie trat allerdings nur als Ateliersvermietungsgesellschaft auf. Kränkt es ihn, dass die Jofa nicht so auratisch wirkte und nicht so bejubelt wurde wie die Ufa? Er verneint, denn die Medien seien einfach schwerpunktmäßig auf die Ufa gerichtet, die sei einfach interessanter, weil älter und größer. Dabei gibt es durchaus Erstaunliches zu erzählen, wie zum Beispiel die Studios im Süden Berlins entstanden sind. Es gibt da zwei bemerkenswerte Ebenen: das ist zum einen die schnelle und effiziente Nutzbarkeit der Räume und das schnelle Umschalten vom Krieg in einen Friedensmodus. Geschickt angegangen von Huth, der mit seinen Mieteinnahmen nicht auf dem Trockenen sitzen musste. Auf der anderen Seite kamen mit den Filmen die Bilder, Geschichten und das Ausklinken aus dem Alltag. Die Ablenkung erlaubte, den Alltag für ein paar Stunden zu vergessen. Hier entstand u. a. der Stummfilm „Nosferatu“, hier spielte Hans Albers, hier war die Wiege des ersten Traumpaares des deutschen Films, Lilian Harvey und Willi Fritsch. Selbst Heinz Rühmann drehte in den Johannisthaler Studios. Zählte das denn nicht? Wurde die Jofa mit einer Art B-Note versehen? Obwohl ein Almanach von 1929 bis 1945 insgesamt 250 Tonfilme auflistet, die in Johannisthal gedreht wurden? Nein, entgegnet May, die Studios arbeiteten nebeneinander, es sei einfach nur die Größe gewesen, die Gründer standen hinter der Ufa. Und das waren Alfred Hugenberg, Industrieller, Politiker, und die Deutsche Bank. „Die verfolgten natürlich ein eindeutiges politisches Interesse mit der Gründung der Ufa noch während des Ersten Weltkriegs. Und diesen Hintergrund hatten andere Firmen nicht.“ Und weiter: „Es war keine A- oder B-Klassifizierung. Es waren die finanzkräftigen Größeren, die konnten die meisten Filme rausbringen, konnten sich die größten Stars kaufen. Das ist wie heute bei den Fußballmannschaften.“ Das zweite herausstechende Merkmal aber war, dass die Jofa im Gegensatz zu Babelsberg eine Ateliersgesellschaft war, die keine eigenen Filme produzierte, sondern ihre Ateliers – mit allem, was dazu gehörte – an Filmgruppen vermietete, die keine eigenen Standorte hatten.