Wir dürfen nicht den kleinsten Spielraum für Verhandlung und Vermittlung ignorieren. Das ist leichter gesagt als getan und es geschieht dennoch jeden Tag, ohne Schwierigkeiten und Zukunftsängste einfach auszublenden. Es geschieht z. B. in der beharrlichen Absicht der vielen Menschen, die den „Anspruch Kultur“ trotz widriger Umstände aufrechterhalten.
Worüber in einer Gesellschaft gesprochen wird, darf weder von Marktschreiern, noch von maskierten Interessenvertretern bestimmt werden. Doch es braucht Moderation. Moderatoren sind immer rar, aber können gefunden werden, solange sich keiner der vielen kleinen und großen Meinungskriege verselbstständigt und keiner der Meinungskrieger unwidersprochen behaupten darf, allein selig zu machen. Wir sollten Meinungsbildner abwählen, die mechanisch und immer wieder Ausgrenzung in den Prozess induzieren. Auch muss klar sein, dass auf Meinungsbildung allein nicht zwangsläufig eine glitzernde Zukunft folgt. Entscheidend für die Mehrheit, wie die am Meinungsbildungsprozess beteiligten Moderatoren, ist, dass bestehende verbindliche Regeln ergänzt oder gar durch neue verbindliche ersetzt werden dürfen. Sonst stockt der Prozess und alle Anstrengung war vergebens.
Die Befolgung vereinbarter Regeln erlaubt das Machbare. Was wir darüber hinaus wünschen, ist wiederum offen zu verhandeln. Wer Meinung multipliziert, trägt deshalb für jedes Wort, für jeden Satz, für jeden zu erläuternden Zusammenhang immense Verantwortung. Folgewirkungen müssen bedacht werden. Und trotzdem wird immer nur das Machbare herbeigeführt und nicht das allein Beglückende. Das ist mühsam und für eine gerechtere Gesellschaft reicht es immer noch nicht. Aber jeder zeitweilig schwer errungene Konsens ist besser als der Krieg, der nur mit einem Siegfrieden enden darf. Davon bleiben nur Erschöpfung, Destruktion und Misstrauen.
Wenn Regeln für eine progressive Entwicklung aufgestellt werden, ist es weniger wichtig, dass jede, bisher noch so unberücksichtigte Interessengruppe, sofort ihre Exegese dieser Regeln in ihren eigenen Alternativlos-Schrein stellen kann und andernfalls nicht mehr mitredet oder den heiligen Krieg erklärt, als dass möglichst viele den Konsens bestätigen und sich daran halten.
Es ist bedeutsam, dass bei dem Vorhaben Gemeinschaft miteinander und nacheinander statt übereinander und durcheinander geredet wird. Im Interesse des Fortschritts muss es möglich sein, Meinungen auszuhalten, keine neuen Barrikaden zu errichten und dem Starrsinn zu entsagen. Das haben wir die letzten Jahrzehnte geübt – deshalb und weil wir viel Glück hatten, dass noch zuvor ein paar Individuen in einem entscheidenden Augenblick über Freund und Feind hinweg richtig entschieden haben, steht die Welt überhaupt noch.