Unterwegs nach Marzahn-Nordwest: Mein Ziel ist ein Theater, dessen Namensgeber Anton Tschechow ist. Ein Spruch von Voltaire fällt mir ein: „Das Theater bildet mehr als ein dickes Buch“. Nun gut, ich lese gerne, kenne aber auch Theaterstücke, wie „Der Kirschgarten“, „Onkel Wanja“ und „Die Möwe“. Auf diese neue Facette unseres Vereinslebens bin ich echt gespannt. Verabredet bin ich mit Alena Gawron. Sie leitet das Theater seit 2004, also nahezu von Beginn an. Ins Leben gerufen wurde es am 1. März 2002. Viel Prominenz war zur Eröffnung zugegen, Bundesfamilienministerin Christine Bergmann und Bundesbauminister Kurt Bodewig sowie Berlins Stadtentwicklungssenator Peter Strieder gaben sich die Ehre. Mit dem Kulturring zusammen sollte hier ein beispielgebendes Projekt des Programms Soziale Stadt eingeweiht werden. Ein Theater gab es in Marzahn-Nordwest noch nicht, es hatte aber dort eine große Zahl russlanddeutscher Spätaussiedler ein neues Zuhause gefunden. Und so entstand die Idee. Das Markenzeichen des Berliner Tschechow-Theaters, so beschreibt es Alena Gawron gleich zu Beginn unseres Gesprächs, waren seine Doppelinszenierungen in deutscher und russischer Sprache. Es begann damit schon im Juni 2002 mit dem Stück „Der Bär“. Bemerkenswert war, dass die deutschen Zuschauer meistens bis zum Schluss blieben und sich auch noch die russische Variante ansahen. Im Vergleich zeigte sich häufig, dass das russische Ensemble die Vorlage oft freier interpretierte als die deutschen Schauspieler. Meine Gesprächspartnerin gerät schnell ins Schwärmen, wenn sie an die anschließenden Diskussionen denkt, und ich merke, dass mir jemand gegenübersitzt, dem Theater überhaupt und dieses insbesondere zur Lebensaufgabe geworden ist. An Zuspruch mangelte es dieser ungewöhnlichen Programmgestaltung damals jedenfalls nicht. Für Erwachsene wurde fast täglich eine Vorstellung gegeben. Aber die Förderprogramme dafür sind leider ausgelaufen.
Das aktuelle Repertoire präsentiert sich nun mit Kinderkulturarbeit. „Alles was an Großem in der Welt geschieht, vollzieht sich zuerst in der Phantasie” heißt ein bis Ende 2025 laufendes Projekt und knüpft an ein Zitat von Astrid Lindgren an. Es werden drei Varianten angeboten. Bei den jeweils halbjährigen Projekten wird ein Märchen mit einer ganzen Schulklasse, d.h. 25 Schülerinnen und Schülern, bis zur Bühnenreife geprobt. Jedes Kind bekommt eine Rolle, die Texte werden auswendig gelernt, und nach einem halben Jahr wird das Märchen im Theater mehrmals aufgeführt. Bei dem Mitspieltheater wird ein Märchen erzählt, die Kinder hören bis zum Schluss zu und anschließend werden die Rollen verteilt. Danach schlüpfen sie in die Kostüme und spielen das Märchen mit Unterstützung der Fachkräfte nach. Bei der letzten Variante, dem Mitmachtheater, werden die Kinder bereits während des Erzählens aktiv. Sie bewegen sich, tanzen, klatschen, erzeugen Tiergeräusche oder spielen kleinere Rollen nach. Diese Theaterform ist für Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren geeignet. Selbst handwerkliches Geschick ist gelegentlich gefragt, wenn es darum geht, die Requisiten für die Aufführung zu basteln. Das klingt ziemlich ambitioniert, und das ist es wohl auch. Didaktisches Geschick wird benötigt, ebenso wie sprachliche Förderung. Auch die soziale Kompetenz der Kinder wird durch das Einüben von Disziplin, Pünktlichkeit und Kompromissbereitschaft gefördert.