Auch Musiker? Ein Interview mit Christian Reichelt

Ingo Knechtel

Musik ist ein guter Ausgangspunkt für unser Gespräch. Christian Reichelt ist meist dort zu finden, wo die Musik spielt. Er gehört im Kulturring zum „Stamminventar“, ist für sehr vieles zuständig und hält dabei dem Chef, Geschäftsführer Armin Hottmann, den Rücken frei, wie man so schön sagt. Er ist kein Mann der großen Worte, achtet aber genau auf sie. Irgendwie lebt er auch für die Musik, vielleicht weil sie mehr auszudrücken vermag als viele Worte. Wir treffen ihn zwischen Telefonaten und dem Aktualisieren der Webseite des Kulturrings.

Wieso zählst Du als Stamminventar, was hat Dich zum Kulturring gebracht?
Das war ein Projekt der LiteraturWERKstatt, das der Kulturring im Jahr 1999 unterstützt hat. Es hieß Literaturexpress Europa 2000. Über 100 Autorinnen und Autoren aus über 40 Ländern fuhren mit dem Zug durch Europa und führten Lesungen und Veranstaltungen an den einzelnen Stopps durch. Der Höhepunkt war dann in Berlin. Das Projekt selbst zog sich über mehrere Jahre hin. Ich hatte gerade eine Weiterbildung als Audio Engineer bei SAE erfolgreich abgeschlossen und wurde vom Arbeitsamt in das Projekt vermittelt. Ich arbeitete dann mit den Kollegen der Literaturwerkstatt zusammen, schnitt Lesungen mit, bearbeitete sie und war für den Ton bei Veranstaltungen zuständig. Im Jahr 2000 wechselte ich dann von Pankow nach Lichtenberg und wurde dort direkt ins Regieteam übernommen.

Du warst dann also aus der direkten Projektarbeit weg, was waren dann Deine Aufgaben?
Nein, nicht weg von der Projektarbeit. Die ging erst richtig los. Ich war plötzlich nicht mehr nur in einem Projekt tätig, sondern hatte es mit vielen zu tun. Als Assistent des Geschäftsführers musste ich mich in vieles einarbeiten. Ich bekam alle laufenden Projekte auf den Tisch, und sollte mich einlesen. Damals war ich geschockt, und dachte, worauf hab ich mich da bloß eingelassen? Aber das hat sich sehr schnell relativiert. Es war irgendwie auch genial. Ich lernte alle möglichen kreativen Leute kennen, bekam Einblicke in ihre Arbeit, ja meist auch in ihre Gedanken und zuweilen ihre Gefühlswelt. Das war schon sehr bereichernd.

Wie gestaltete sich dann Dein Aufgabenbereich? Und was hat sich über die Jahre geändert?
Meine Aufgaben haben sich kontinuierlich verändert. Es gab aber auch Konstanten. In wenigen Worten zusammengefasst: Öffentlichkeitsarbeit, Publikationen, Administration, Internet, Webseite, Unterstützung des Geschäftsführers und des Leitungsteams. Hinter all dem verbergen sich aber unendlich viele Teilbereiche. Und es kommt immer wieder Neues hinzu. Zum Beispiel arbeiten wir seit zwei Jahren intensiver an eigenen Podcasts.

Vielleicht kannst Du einige von den Aufgaben ausführlicher schildern?
Gern. Nehmen wir beispielsweise die Publikationstätigkeit. Da geht es natürlich um die Planung, sowohl was Bücher und Broschüren betrifft, als auch um unser Vereins-Journal kultur.txt. Der Kontakt zu den Autoren ist mir wichtig, genauso wie die finanzielle Absicherung. Weiter betrifft es Layout-Arbeiten. Da habe ich mir vieles selbst erarbeitet, lasse mir aber auch gern von erfahreneren Kollegen Tipps geben. Ein anderer Bereich, der immer bedeutsamer wird, ist IT – die Arbeit als Administrator. Für einen Verein, der berlinweit Stützpunkte hat, ist eine solche Vernetzung besonders wichtig.

Wie bist Du da rangegangen? Ich vermute, die finanziellen Mittel des Vereins waren nicht so üppig, dass er da viel investieren konnte.
Genau. Und die Anforderungen wurden ständig größer. Vieles läuft heute nur noch digital, auch was Förderprojekte betrifft. Antrag, Verwaltung, Abrechnung. Na ja, bei dieser Wichtigkeit habe ich eben viel Zeit investiert. Ich habe mich eingearbeitet und habe mich mit Hilfe des Trial-and-Error-Prinzips unseren Zielen genähert. So hab ich dann auch oft ein Gefühl von Zufriedenheit entwickelt, wenn etwas geglückt ist.

Was konkret habt Ihr für den Verein ent­wickelt?
Unser gesamtes Veranstaltungsmanagement ist auf eine digitale Grundlage gebracht worden. Das klingt gewaltig, ist aber letztlich eine spezifisch für den Verein programmierte Lösung. Eine Veranstaltungsdatenbank wurde so eingerichtet, dass von der Planung, über interne Genehmigungen bis zur Dokumentation alles bedacht ist. Damit steht alles auf digitaler Grundlage, von der Konzeption, der konkreten Vorbereitung, wie z. B. Plakaten oder Postkarten, Werbefotos und Text, die dann automatisch aktuell auf die Webseite gesetzt werden. Auf die Jahre betrachtet, ist das ein wunderbares Vereinsarchiv. Ähnliches haben wir für das Projekt- und das Personalmanagement entwickelt. Dies ist ein laufender Prozess, den wir im Rahmen des Qualitätsmanagements durchsetzen wollen.

Das klingt ja alles irgendwie nach sehr viel Tüfteln, nach Bildschirmarbeit. Wo bleibt dann das Kulturelle? Vermisst Du da nicht irgendwas?
Ja, das ist sicher ein Problem. Das hat sich in den letzten Jahren auch zunehmend in Richtung Bildschirmarbeit verändert. Trotzdem versuche ich gegenzusteuern, wann immer es geht. Der Kulturring hat mir in den mittlerweile 25 Jahren so viel praktische kulturelle Arbeit beschert, durch die ich soviel erlebt und gelernt habe, dass ich hier nicht klagen will. Ich hab gelernt, wie man mit Hilfe einer Buchbindemaschine selbst professionell Bücher und Broschüren mittels Klebebindung herstellen kann. Ich hatte die Gelegenheit, in der Galerie Ostart in Lichtenberg, dem heutigen Kunstraum Gisela, Ausstellungen selbst zu kuratieren. Eine besondere Erinnerung dabei ist eine Max-Lingner-Ausstellung im Jahr 2004 in Zusammenarbeit mit Dr. Gertrud Heider, Erbin der Witwe von Lingner. Wichtig war mir immer, dass im Dialog entstandene Ideen von mir auch praktisch umgesetzt werden konnten. Das habe ich bei den zahlreichen Präsentationen des Kulturrings auf evangelischen Kirchentagen gespürt. Da bemerkten wir alle, wie kreative Ideen Menschen ansprechen und zum Dialog führen. Damals haben wir sehr viel selbst gebastelt. Überhaupt denke ich, dass es darauf ankommt, authentisch zu sein, egal, ob als Einzelperson oder als Verein. So etwas wird immer erkannt.

Ich will nochmal zurückkommen auf die Vereinspublikationen. Da hat der Kulturring ja schon immer viel Wert gelegt auf Historisches. War auch das für Dich interessant und wichtig?
Unbedingt. Als ehemaliger Karlshorster habe ich besonders an den Heften zur Karlshorst-Geschichte Interesse. Das war auch sehr spannend für mich, da ich vieles, was ich von zu Hause, von meinen Eltern erzählt bekam, in veränderten Zusammenhängen wiederfand. Deshalb ziehe ich nach wie vor den Hut vor der vielen ehrenamtlichen Arbeit unserer Geschichtsfreunde in Karlshorst, deren Wirken ich so ziemlich von Beginn an begleitet und unterstützt habe. Ich bekomme dann auch immer Lust, mich mit meiner Familiengeschichte zu befassen, bestaune alte Bilder meiner Vorfahren, zu denen im 16./17. Jahrhundert ein Pastor und Syndikus in Lübeck gehörten. Auch habe ich mich sehr gefreut, als sich meine Tochter für diese Geschichte interessiert und in Lübecker Archiven geforscht hat. Übrigens liegt gerade ein neues Heft zur Karlhorst-Geschichte bei mir. Das heißt, das Manuskript des Autors ist fertig lektoriert, und es wartet auf mein Layout. Eine Woche ungestörte Zeit wäre schön dafür. Der Inhalt ist hochaktuell, denn es geht um das Sperrgebiet in Karlshorst von 1945 bis 1994, dem Jahr des Abzugs der russischen Besatzungstruppen. Wir wollen, dass das Buch zum 31. August im Buchhandel ist, denn das ist genau der 30. Jahrestag dieses Abzugs. Der Autor ist Wolfgang Schneider, ein ausgewiesener Experte in den Reihen unserer Geschichtsfreunde. Auf diese Arbeit freue ich mich besonders.

Und wie ist das nun mit der Musik?
Na ja, ich habe schon sehr früh Musik gemacht. Am Ende meiner Schulzeit habe ich viel gebastelt und dadurch Hörbares aufgenommen. Das frühere „Geniale Dilettantentum“ eröffnete für mich eine neue Dimension. Auch in meinen Kulturring-Jahren fand ich viel Inspirierendes, wie z. B. Schülerbands, die wir in Pankow unterstützten. Nach einem Wettbewerb haben wir zusammen eine CD produziert. Oder das Projekt roots in Kreuzberg, wo wir Kids an Schulen zusammen mit Freizeiteinrichtungen unterstützt haben. Aber es zieht mich auch in die entgegengesetzte Richtung, zur Klassik, wenn man so will. Mein Vater war Organist und spielte mehrere Instrumente, da ist einiges hängengeblieben. Bis heute bin ich an der Musikschule und spiele Violine, oftmals zusammen mit meiner Tochter. Und auch hier gibt es eine Verbindung zur Arbeit. Concerto Brandenburg hat sich für den Kulturring als Träger des Orchesters entschieden. Ich finde das, was Martina Dallmann und ihre Mitstreiter über die Jahre mit diesem Orchester aufgebaut haben, einfach phantastisch. Gerade habe ich von der positiven Resonanz beim Auftritt zu Ostern in Rheinsberg mit der Gluck-Oper Iphigenie in Aulis gehört. Weitere Auftritte gibt es im Sommer. Und am 19. Mai spielt Concerto die Missa Solemnis von Beethoven in der Philharmonie...

Ohne Musik wär alles nichts, soll Mozart mal gesagt haben. Ich denke, ein guter Schlusssatz für unser Gespräch.

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