Die Novemberrevolution in Friedrichsfelde-Karlshorst - November 1918 bis Mai 1920

Wolfgang Schneider

Die politischen Verhältnisse in einem Staat verändern sich manchmal explosionsartig, in anderen Staaten in langen Zeiträumen.  Vieles hängt von Kräfteverhältnissen zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Das Deutsche Reich führte seit vier Jahren Krieg. Dies hatte zu einer Erschöpfung auf allen Ebenen der Gesellschaft geführt. Hunger und Brennstoffmangel waren Auslöser, dass die Bevölkerung Veränderungen wollte. Anzeichen dieser Änderung des politischen Kräfteverhältnisses in Karlshorst zeigte bereits die Reichstagsersatzwahl für den verstorbenen Reichstagsabgeordneten Stadthagen (SPD). Mit überwältigender Mehrheit wurde der Kandidat der SPD gewählt. Die oft berichtete „bürgerliche Mehrheit“ in Karlshorst hatte schon im März 1918 nicht mehr existiert. [1]

Im folgenden Beitrag sollen die politischen Ereignisse von November 1918 bis Mai 1920 in Friedrichsfelde-Karlshorst dargestellt und die handelnden Personen im Arbeiter- und Soldatenrat benannt werden. Von ihnen werden Franz Spliedt, Ernst Torgeler und Paul Schwenk wichtige Rollen in ihren Parteien in der Zeit der Weimarer Republik spielen.

Im Oktober 1918 war das bestimmende politische Thema in Friedrichsfelde-Karlshorst die bevorstehende Eingemeindung in die Stadt Lichtenberg. Heftig wurde das „Für und Wider“ an den Stammtischen diskutiert.  Am 30. September 1918 stimmt die Friedrichsfelder Gemeindevertretung dem Antrag [2] zu und am 5. Oktober 1918 der Magistrat der damals selbständigen Stadt Lichtenberg. Die Ereignisse am 9. November 1918 veränderten jedoch alles. Dieser Tag war in allen Teilen der Stadt Berlin und in den Umlandkreisen zunächst ein Freudentag: Der Krieg war vorbei. Es gab wieder Hoffnung.

Für viele Karlshorster war der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an die Beamten, dass alle auf ihren Posten bleiben sollten, von ausschlaggebender Bedeutung. Der Kaiser – auf den man den Eid geleistet hat – war weg. Aber sollte man der neuen Regierung folgen?

Überall verbündeten sich Arbeiter mit Soldaten der örtlichen Garnisonen und wählten ihre Räte. Die Auswertung der Archivmaterialien im Landesarchiv bestätigt diese Entwicklung auch in der Landgemeinde Friedrichsfelde-Karlshorst. [3] Der erste Nachweis für die Existenz eines Arbeiter- und Soldatenrates findet sich im Protokollbuch der Gemeindevertretung [4]: Der Gemeindevorstand beschließt am 14. November 1918 die Überlassung eines Sitzungszimmers für den Arbeiter- und Soldatenrat im Realgymnasium, Treskowallee. Diesem Rat gehören zunächst die Gemeindeverordneten Otto Frentzel (USPD) und Emil Oehlert (SPD) [5] sowie die Gemeindemitglieder Otto Bast, Karl Gladorch (USPD), Zöllner und Franz Spliedt (SPD) an. Zum gleichen Zeitpunkt entsteht ein Bürgerrat unter der Leitung von Dr. Wilhelm ­Bolle, Rektor des Gymnasiums. Auf dem Flugplatz Karlshorst, Inspektion des Lichtbildwesens wird am 23. November 1918 ebenfalls ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet. Durch die schnelle Auflösung der Inspektion des Lichtbildwesens zum 31. Dezember 1918 sind jedoch keine Informationen über Aktivitäten und Namen dieses Rates überliefert. Nachvollziehbar ist, dass die meisten Soldaten nach dem Ende des Krieges schnell nach Hause wollten. Die politische Entwicklung in den Gemeinden ihrer Stationierung war ihnen dabei weniger wichtig.

Der Vollzugsausschuss des Groß-­Berliner Arbeiter- und Soldatenrates hatte den Volksbeauftragten des Reiches und Preußens am 26. November 1918 die exekutive Regierungsgewalt übergeben. In der Folgezeit versteht sich der Arbeiter- und Soldatenrat in Friedrichsfelde-Karlshorst in erster Linie als Kontrollorgan für die im Amt verbliebenen Gemeindebeamten.  Sie wollten dafür sorgen, dass revolutionäre Errungenschaften gesichert und ausgebaut werden. Direkte Eingriffe in die Verwaltung der Gemeinde waren ihnen untersagt. Der Schwerpunkt ihrer Kontrolltätigkeit liegt in den nächsten Monaten auf der Sicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Brennstoffen. Der Gemeinderat Friedrichsfelde-Karlshorst wird jedoch weiter von den nach dem 3-Klassen-Wahlsystem Gewählten dominiert [6].  Auch der Bürgermeister, der Beigeordnete und die Schöffen waren durch dieses Wahlsystem in ihre Funktionen gekommen. Die Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 deutete eine politische Wende an. Das Ergebnis der Gemeindewahl im Februar bestätigten diesen Trend: Die SPD erhält 2680 Stimmen, die USPD 3023 Stimmen, die Deutsche Demokratische Partei 1729 Stimmen und der Bürgerliche Wahlblock (DNVP, DVP, Zentrum) 3210 Stimmen. Damit ist die Abwahl des ungeliebten Bürgermeisters Ungewitter sicher. Der alte Gemeindevorstand hatte vorsorglich bereits am 15. Januar 1919 beschlossen, ihren Bürgermeister zum 1. April 1919 in den Ruhestand zu schicken.

Nach den revolutionären Januarereignissen [7] sicherte die Regierung ihre Macht durch die Konzentration von loyalen Militäreinheiten um Berlin. So erhielt Karlshorst die Einquartierung des Mobilen Inf. Regimentes 174 im Fürstenhof, Treskowallee 93 (heute Nr. 136). Der Fürstenhof wurde durch die Kommandantur Berlin beschlagnahmt, da der Besitzer Albert Klicks seine Zustimmung zur Einquartierung verweigerte. [8] Das Regi­ment wird erst am 12. Oktober 1919 Karlshorst wieder verlassen. Aus den Unterlagen geht hervor, dass in diesem Zeitraum das Fürstenhaus gleichzeitig auch durch den „Aufstellungsstab des Kav. Schützenkommandos 11, Flugplatz Karlshorst“ genutzt wurde.

Auch die Märzkämpfe in Lichtenberg fanden in Friedrichsfelde-Karlshorst Widerhall. Von einigen Parteien wurde die Forderung nach Bewaffnung des Bürgertums gestellt und daraufhin eine Bürgerwehr gebildet. Am 8. März 1919 versuchte ein bewaffneter Trupp aus Lichtenberg nach Karlshorst vorzudringen. Bei den Kämpfen kamen drei Personen ums Leben. Der „Vorwärts“ berichtet über diesen Kampf in seiner Ausgabe vom 10. März 1919. In der Gemeindevertretung wird über die Bewaffnung von Bürgern und die Anwesenheit von Truppen heftig gestritten. Ein Antrag dazu von der USPD findet im Gemeinderat mehrheitliche Zustimmung. Ab 1. April 1919 amtiert der bisherige Beigeordnete Goger [9] als Bürgermeister. Im August 1919 scheitert der Versuch, Goger zum Bürgermeister zu wählen, denn alle Zeichen stehen auf Eingemeindung nach Berlin. Da scheint der Mehrheit der Gemeindeverordneten eine solche Wahl überflüssig. Alles scheint sich zu normalisieren. Der Erweiterungsbau der „Höheren Mädchenschule“ in der Treskowallee und Verwaltungsbauten für die Gemeinde stehen im Mittelpunkt der Sitzungen des Gemeinderates. Und nach Abzug des Militärs scheint alles wie vorher weiter zu gehen.
Nach den Gemeindewahlen im Februar 1919 gab es in vielen Gemeindevertretungen Bestrebungen, die unbequemen Arbeiter- und Soldatenräte abzuschaffen. Im Niederbarnimer Kreisblatt vom 5. Juni 1919 erfolgt eine amtliche Mitteilung des Landrates: „[…] zunächst nichts zu ändern.“ Aber die Machtverhältnisse verschoben sich weiter und so beschließt der Gemeindevorstand am 3. November 1919 „[…] von einer weiteren Tätigkeit des kommunalen Arbeiterrates als Kontrollbehörde der Gemeindevertretung Abstand zu nehmen […]“  Bei der Sitzung des Gemeinderates am 13. Dezember 1919 sind letztmalig vom Arbeiterrat die Mitglieder Evers und Torgeler anwesend. Die Auflösung des Arbeiter- und Soldatenrates von Friedrichsfelde-Karlshorst ist nicht mit Dokumenten belegt.

Im Februar 1920 gibt es keine Anzeichen für die kommenden Unruhen. Durch die Gemeinde wurde eine Sicherheitswehr bezahlt, die unter anderem den Flugplatz Karlshorst und weitere Gemeindegebäude bewachte. Die Sicherheitswehr war dem preußischen Innenminister Wolfgang Heine (SPD) zugeordnet. Während des Kapp-Putsches werden Offiziere der Sicherheitswehr ihnen unterstellte Mannschaften in die Dienste der Putschisten stellen.

Am 13. März 1920 besetzt die von Reichswehrminister Noske aufgelöste Marinebrigade Ehrhardt das Berliner Regierungsviertel. Die Regierung flieht aus Berlin. Der Putsch endet nach vier Tagen. Über die Ereignisse in Karlshorst erlangten wir Kenntnis durch Berichte in den Zeitungen „Vorwärts“ und „Freiheit“ [10] und einem Bericht der Untersuchungskommission der Gemeindevertretung [11].

Danach rücken in Karlshorst Truppen der Putschisten (alarmiert für Kapp-Lüttwitz nach eigenen Angaben) am 13. März 1920 ein und werden durch den Mitarbeiter der Gemeindevertretung Schwantz in das „Deutsche Haus“ in Karlshorst eingewiesen. Später wird er erklären, diese Putschisten für reguläres Militär gehalten zu haben. Zunächst war auch das Realgymnasium besetzt. Durch die Putschisten wurden namentlich nicht überlieferte Karlshorster festgenommen und Hausdurchsuchungen vorgenommen. Die Festnahmen erfolgten nach vorbereiteten Listen. Durch Intervention der örtlichen Polizei erfolgte nach kurzer Zeit ihre Freilassung. Die Verhaftungen und Durchsuchungen hatten zu spontanen Gegenkundgebungen in Karlshorst geführt. Festgehalten wurde im Untersuchungsbericht, dass bewaffnete Offiziere und Mannschaften am Realgymnasium in Karlshorst schwarz-weiss-rote Fahnen anbrachten und Aushänge der rechtmäßigen Regierung abrissen. Gleiche Verhaltensweisen zeigten die Offiziere und Mannschaften auf dem Flugplatz Karlshorst, die ihre Zustimmung zu den Putschisten zum Ausdruck brachten.

Die unter der Bürgerschaft verteilten Waffen wurden nur in geringen Mengen wieder eingesammelt. Sie tauchen in bewaffneten Formationen der Parteien wieder auf [12] und mancher Karlshorster Eigenheimbesitzer hat in späteren Jahren unter alten Fundamenten von Gartenlauben und Schuppen ihre Überreste gefunden.

Nach vier Tagen war der Putsch vorbei. Im Ergebnis wurde die beteiligte Schutzkompanie zum 15. Mai 1920 aufgelöst und das war auch das Ende des Flugplatzes Berlin-Karlshorst.

[1] Die Ergebnisse der Reichstagsersatzwahl kann man in verschiedenen Zeitungen nachlesen: Vorwärts vom 15.3.1918, Nr. 74, S.1, Vossische Zeitung vom 15.3.1918 und 18.3.1918.
[2] Bei der namentlichen Abstimmung über den Gesamtvertrag votieren 14 Herren mit „Ja“ und 7 Herren mit „Nein“
[3] A Rep. 047-05-03 Nr. 16; Nr. 17; Nr. 29; Nr. 30 und Nr. 45 sowie A Pr.Br. Rep. 042; 1156
[4] A Rep. 047-05-03; 16 Protokollbuch 1917–1919
[5] In seinen Erinnerungen an diese Zeit benennt sich Oehlert selbst als „Stellvertretender Bürgermeister“. Dies ist in den Protokollbüchern der Gemeindevertretung nicht nachvollziehbar. BERLINER ­STIMME, 15. November 1952
[6] Rittergutsbesitzer von Treskow, Bauern­gutbesitzer August Sange, Fabrikant ­Reschke, Molkereibesitzer Hoffmann, Gärtnereibesitzer Günther
[7] auch: „Spartakusaufstand“ obwohl der Spartakusbund weder organisatorisch noch personell eingebunden war
[8] A Pr.Br.Rep. 042; 1156, Abschätzungssachen auf Grundlage Kriegsleistungsgesetz
[9] Gemeindebaurat, besoldeter Beigeordneter, Wohnhaus bis 1922: Treskowallee 88
[10] Vorwärts vom 27.3.1920, Freiheit 28.3.1920, Seite 5
[11] Landesarchiv A Rep. 047-05-03 Nr. 31
[12] Überliefert sind die Schießübungen vom Reichsbanner, organisiert durch Richard Küter

Lesung Wolfgang Schneider am 9. November: „Die Geschich­te der Novemberrevolution in Karlshorst“ und aus dem Manuskript zum „Sperrgebiet“.
Ort: „Kaffee & Korn - unverpackt“, Treskowallee 88, 10318 Berlin

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