Warum nicht mal belletristisch kuren oder sich selbst ans Schreiben machen?

Martina Pfeiffer

Die Allianz von Bücherregal  und Feder im Schreibatelier Mehrstimmig

Bücher wurden für heilig erklärt. Bücher wurden auf den Index gesetzt, mit Bann belegt, verbrannt. Als fester Bestandteil des Bildungskanons prägten sie zahlreiche Schülergenerationen. Kleine gedruckte Zeichen auf hellem Untergrund. Kulturen sind gekommen und gegangen – das Buch ist geblieben. In unseren Medienpoints warten viele Bücher in den Regalen darauf, in die Hand genommen und aufgeschlagen zu werden. Ob Montagmorgengrauen, Geburtstagstrübsal, Manschetten vor Partygesellschaften oder Alles-Hinschmeißen-Wollen – die Literatur zeigt, man ist nicht allein mit all diesen Nöten. Bei Behördophobie Kafkas Prozess, bei unerwiderter Liebe Goethes Werther, der Oblomow von Gontscharow, wenn man nicht aus dem Bett kommt, zum Stichwort Eitelkeit Oskar Wildes Bildnis des Dorian Gray und die ein oder andere Episode aus Thomas Manns Zauberberg als Krankenhauslektüre. Warum also bei Sorgen und Beschwerden nicht einmal belletristisch kuren oder einen solchen geistigen Kuraufenthalt verschenken? Oder sich daran wagen – angeregt durch die Buchwelten in den Medienpoints – eigene Texte zu verfassen?

Hauptsache polyphon

Inmitten gut bestückter Bücherregale, im Medienpoint Tempelhof, trifft sich die Kulturring-Gruppe „Schreibatelier Mehrstimmig“. Seit November 2022 gibt es diese Schreibwerkstatt, wo die Lust auf eigene Textproduktion geschürt wird. Nein, erstarren müssen wir nicht vor den Höchstleistungen namhafter SchriftstellerInnen. Es geht bei uns nicht um Bespiegelung von Literatur als Rocket Science, sondern darum, sich mit Aspekten des Handwerks vertraut zu machen und den Schulterschluss mit SchreibkameradInnen zu suchen. Schreibfertigkeiten lassen sich allerdings nicht durch einen „Nürnberger Trichter“ verabreichen. Eine Schreibwerkstatt ist auch kein Bootcamp, wo man innerhalb kürzester Zeit fit gemacht würde für den Sprung in die short list oder für den Literatur-Nobelpreis.

Den Glutkern ermitteln

Eine Frage steht für alle im Zentrum: Was ist der Glutkern, warum ich schreiben will? Um diesen auszumachen, sind es für die Gruppe vor allem die gemeinsamen Gespräche und Erlebnisse, die uns voranbringen. In der ersten Sitzung wurden mögliche Inhalte in einem Kompassgespräch abgeklärt und die Gruppenregeln gemeinsam aufgestellt – ein wichtiges Etappenziel, um Konsens und Vertrauen zu schaffen. Kritik wollen wir stets konstruktiv äußern. Wer sich nicht öffentlich machen will, darf das so halten. Wer aber die Öffentlichkeit in Form von Lesungen sucht, mit dem loten wir aus, was machbar ist und gehen gemeinsam diesen Weg. Autor Frank Hahn verschaffte uns gleich im Januar einen fulminanten Jahresauftakt mit seinem Besuch. Durch Autorenlesung und Diskussion ließen sich in unserer Runde erste Kontakte zur professionellen Literaturszene aufbauen und tiefere Einblicke in diese erhalten.

Vom ersten Flow bis zum Meißeln am Textkorpus

Manch anderes spielt mit hinein in eine Schreibwerkstatt und ist zu berücksichtigen: allem voran die Gruppendynamik, das lebendige Miteinander in unserem Interessenverbund. Interaktion und Austausch bedarf zunächst einmal einer gewissen Übung und in der Folge einer Verstetigung. Module zur Genretypologie, Anreize für den Inspirationsflow, typgerechte Schreibstrategien, exemplarische Masterplots, Methoden des Storytelling, der stilistische Feinschliff – strukturiert und wohldosiert dargeboten, gehen als Input-Offerte an die TeilnehmerInnen. Dazwischen Übungseinheiten und Blitzlicht-Runden zur Wirkungskontrolle.

Expedition in Richtung Textproduktion

Hinzu kommt der Ansporn neben dem Vortrag im kleinen Kreis, falls gewünscht, den Wirkungsradius zu erweitern durch das Ins-Auge-Fassen von „Schreibgipfeln“ mit anderen Schreibwerkstätten und mit ersten eigenen Veröffentlichungen, z.B. in Podcast-Form. Ob man einen oder viele Zuhörer hat – an die Öffentlichkeit gehen heißt, etwas vom Inneren preiszugeben, sich Kritik auszusetzen, Lob annehmen zu können und aus den heterogenen Rückmeldungen idealerweise gestärkt hervorzugehen. Dahin zu kommen, ist das gemeinsame Ziel. Sechs Gruppenmitglieder äußern sich auf die Frage, welche Vorstellungen sie in ihrem Marschgepäck dabei haben auf unserer gemeinsamen Expedition in Richtung Textproduktion.

Rainer Stollhoff: „Ich fühlte mich durch die Charakterisierung der Schreibwerkstatt als offene Austauschrunde angesprochen. Auch wenn ich beruflich viel fachliche Texte schreibe, hatte ich bis dato selber noch keine belletristischen Texte verfasst. Eine Gruppe Gleichgesinnter erschien mir als eine wunderbare Möglichkeit für gegenseitigen Austausch, Inspiration und Motivation, […] wobei ich die heterogene Zusammensetzung stets als Bereicherung empfunden habe. Bisheriger Höhepunkt war eine Autorenlesung mit einem erfreulich offenen Austausch über die Freuden und Fallstricke des Schreibens.“

Marina Klett: „Mein Aspekt ist: alte Aufzeichnungen zu straffen und lesbar zu gestalten. In der Gruppe fühle ich mich sicher und erfahre was den anderen Teilnehmern wichtig ist. So bekomme ich Anregungen und neue Ideen. Unsere Leiterin gibt uns kleine Aufgaben, holt uns aus der Reserviertheit heraus […] und wir erhalten Denkanstöße und Hilfestellungen. Beim vierten Treffen gab es eine Lesung von Frank Hahn „Brennendes Treibeis“. Wir konnten Fragen stellen und erfuhren mehr als beim Einsamlesen.“

Rex Frese: „Ich wollte schon immer einen Schreibkurs besuchen. Deshalb war ich froh, dass ich das Angebot zufällig im Journal „Kultur.txt“ las. Eigentlich bin ich ohne große Ansprüche die Sache angegangen, wollte mich treiben lassen und mich mit den Teilnehmern austauschen. Wenn dabei etwas über Schreibtechnik oder Herangehensweise ans Schreiben eines Textes/Glosse/Satire etc. dabei rumkommt, umso besser. :) Ich finde die Mischung in der Gruppe ganz toll, auch vom Alter her. […] Auch kam Abwechslung durch die externe Lesung rein, bin neugierig auf mehr.“

Christiane Müller: „Ich möchte die Unterschiede der Buchgenres tiefer kennenlernen und suche die Unterstützung von kompetenten Schreibexperten sowie den Austausch mit Gleichgesinnten. Ich möchte ehrliche Reflexionen, kritische Kommentare auf meine Texte erhalten, damit ich mich daran orientieren und ggf. Texte modifizieren kann. Dadurch will ich mein Selbstvertrauen beim Schreiben stärken. […] Mit Gleichgesinnten würde ich gerne neue Schreiberlebnisse und -ergebnisse teilen. Sind meine Texte tauglich für die Öffentlichkeit? Welche Zielgruppen könnten sich für meine Texte interessieren? Ich möchte zudem erfahren, wie man sich bei Verlagen bewirbt. Gerne würde ich mal ein Kinderbuch schreiben und illustrieren.“

Hermann Bandow: „Mehrere Freunde und Bekannte fanden Erzählungen von mir interessant, da es sich vor allem um Ereignisse in der DDR vor der Wende 1989 und die persönliche Entwicklung danach handelte, zum Beispiel die Geschichte des „TIV“. Der Territoriale Interessenverein (TIV) entstand Ende der 1970-er Jahre, als sich aus verschiedenen Betrieben Mitarbeiter vor allem aus der mittleren Leitungsebene kontinuierlich trafen, um Mängel in der Materialwirtschaft auf dem „kurzen Dienstweg“ zu klären und zu kompensieren. Aus diesen Treffen entwickelten sich Freundschaften unter Einbeziehung der Familien […] Da wir zum Teil im fortgeschrittenen Alter sind, taucht doch die Frage auf, wer wenn nicht wir kümmert sich später um unsere Geschichte. Jetzt beginne ich. Dabei hilft mir das Zusammensein von Gleichgesinnten. Ich wünsche hier Anregungen über das „WIE“ meines Vorhabens zu finden.“

Edeltraud Schönnagel: „Ich möchte andere Menschen kennenlernen und verspreche mir dabei einen Ausbruch aus der mir „vertrauten Blase“. Ich will mein Selbstvertrauen stärken und einen mir angenehmen Platz in der Gruppe finden. Ich bin gespannt darauf, Texte zu analysieren, verschiedene Schreibweisen und Richtungen kennenzulernen, Menschen zu treffen, die über ihre Publikationen berichten und ihnen Fragen zu stellen. Wichtig ist mir, dass ich Erklärungen zu den uns gestellten Aufgaben erhalte, dadurch kann ich mein Wissen erweitern und neue Erkenntnisse gewinnen. Mein Ziel ist es, eigene Texte vorzustellen.“

Treffen der Kulturring-Gruppe „Schreibatelier Mehrstimmig“ jeden dritten Mittwoch des Monats von 17.30 Uhr bis 19 Uhr. Treffpunkt: Medienpoint Tempelhof, Werderstraße 13.

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