Eine Erfahrung, auf der sich aufbauen lässt

Martina Pfeiffer

Bundesfreiwilligendienst (BFD) im Haus für Poesie – Zwei Freiwillige berichten

Das perfekte Beispiel für die Buntheit der Kulturszene in Berlin ist für Charlotte Putz, wenn sie bei geöffnetem Fenster in ihrem Büro in der Pressestelle sitzt. In der Pressestelle vom Haus für Poesie in der Kultur­brauerei: „Von Gegenüber höre ich vom Theater ‚­Ramba-Zamba‘ die lauten Musicalproben, mit viel Rabatz, und hier bei uns habe ich eher mit einem Programm der leisen Töne zu tun.“ Gerade Kontraste wie dieser nehmen sie für die Kulturarbeit ein. Und wie schafft man es in die Pressestelle einer namhaften Berliner Kultureinrichtung? Ins Haus für Poesie kam Charlotte als Bundesfreiwillige. Gebürtig stammt sie aus Dortmund. „Ich will in Berlin Literaturwissenschaften studieren. Den BFD sehe ich als willkommene Alternative zum Arbeiten vor Beginn des Studiums. Es war vor allem eine finanzielle Entscheidung. Man hat die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln, während das Kindergeld weiterläuft und die Versicherungen übernommen werden.“ Die ambitionierte 18-Jährige ist durch die Internetrecherche auf die Bundes­freiwilligen aufmerksam geworden. Ziel eins: Sie wollte unbedingt nach Berlin. Ziel zwei: Der Tätigkeitsschwerpunkt sollte im Bereich Kultur und Bildung liegen. Seit September 2022 ist sie in Berlin. Im gleichen Monat tritt sie ihre jetzige Stelle an. „Ich habe mich auf der Seite ‚Freiwilligendienste Kultur und Bildung‘ bei mehreren Kultureinrichtungen, die einen Freiwilligendienst anbieten, beworben. Kurz darauf hatte ich mein Vorstellungsgespräch im Haus für Poesie und konnte in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit anfangen.“ Durch ihren Einsatz in der Presseabteilung ist die begeisterte Leserin der Lyrik von Mascha Kaléko und Ingeborg Bachmann mit dem Portfolio des Hauses für Poesie vertraut. „Nehmen wir den ‚Open Mike‘ im Heimathafen Neukölln, den Nachwuchswettbewerb für junge DichterInnen im November. Zu meinen Aufgaben zählte, die JournalistInnen zu betreuen, Plakate zu hängen, die Lesereihenfolge der FinalistInnen auszudrucken, und Werbematerial, zum Beipiel Flyer auszulegen.“ Beim „Zebra Poetry Film Festival“ im Kino der Kulturbrauerei wirkte sie im vierköpfigen Team der Presseabteilung mit. Das Programmheft und sämtliche Veranstaltungen werden auf der Website und den Plattformen der Social Media beworben. Die junge Mitarbeiterin zum ältesten Poesie Film Festival der Welt: „Gerade die Leute mit ‚Lyriktrauma‘ aus der Schule finden durch dieses Filmevent einen erfrischend unkonventionellen Zugang zur Literatur.“ Was macht den Freiwilligendienst in der Kulturszene besonders? „Das Schöne daran ist für mich, dass ein Einblick hinter die Kulissen möglich ist. Dass man Kultur nicht nur von außen genießt, sondern auch von innen kennenlernen kann.“ Neue Projekte im Haus für Poesie? Dafür ist Charlotte immer zu haben. Die jüngst eingerichtete Website „lyriklab.org“: Charlotte hat Interviews mit Dichter­Innen für die Instagram-Seite der neuen Lyrik-Plattform durchgeführt. Im Rahmen der im BFD obligatorischen Bildungstage möchte sie ihre Spanischkenntnisse in einem Kurs weiterentwickeln.

„Ich kann mir stundenlanges Regaleinräumen oder graue Finanzbuchhaltung für mich nicht vorstellen“, bekennt Charlottes Kollegin Gundula Schikora. Geboren ist sie in Berlin Friedrichshain. Seit sie Sieben ist, lebt sie in Hellersdorf. In einer früheren Einsatzstelle, im Stadtteilzentrum Hellersdorf, gab es mehrere Bundesfreiwillige. „Als ich vom BFD im Kulturbereich hörte, begann ich mich umzuschauen. Für mich gab es kein Zögern. Ich griff zum Hörer und rief Antje Mann vom Kulturring in Berlin an, die das organisiert. In zwei Wochen war der Bundesfreiwilligendienst klargemacht. Seit Juni 2022 bin ich nun im Haus für Poesie.“ Hier erledigt sie die Zuarbeit für die Festivals im Sekretariat, führt die Bibliotheksliste und pflegt Adressen in die Datenbank ein. Anlässlich des Poetry Film Festivals hat sie die Ordner für die Jury vorbereitet, die Adressdatenbank aktualisiert und sich gespannt die Filme angeschaut, die zur Auswahl standen. Ein Erlebnis in ihrer Laufbahn als Bundesfreiwillige ist Gundula Schikora besonders in Erinnerung geblieben. „Bei der gemeinsamen Fahrt zur ­Documenta nach Kassel, einer Reise im Rahmen der BFD-Bildungstage, hatte ich den Zug verpasst. Meine Gruppenkarte verlor ihre Gültigkeit. Da stand ich und wusste nicht weiter. Ich habe von unterwegs Frau Mann angerufen und es wurde mit der neuen Einzelfahrkarte und den anfallenden Kosten alles in Kürze so gemanagt, dass ich doch noch sicher nach Kassel kam.“ Die schriftstellernde 43-Jährige kommt aus einer kulturnahen Familie. Großmutter und Vater hatten die Musik zu ihrem Beruf gemacht. Gundula selbst durchlief zunächst eine Ausbildung im Bundesinnenministerium, wurde Fachangestellte für Bürokommunikation. Im Haus für Poesie hat sie im Sekretariat den Umgang mit der Adressdatenbank FileMaker gelernt. Und außerdem etwas nicht minder Wichtiges: Probleme anzusprechen. Das fiel ihr vorher schwer. Aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen arbeitet die Berlinerin stundenweise. „Die Arbeit überfordert mich nicht, aber sie gibt mir das, was ich an positiven ‚vibra­tions‘ gerade brauche. Hier kann ich meine Flügel ausbreiten. Der geregelte Tagesablauf durch die Stelle strahlt auf mein Privatleben aus. Seitdem hat sich bei mir, vor allem seelisch, vieles zum Guten verändert.“ Die Arbeit im Namen des Bundesfreiwilligendiensts: Ist sie – mal provokant nachgefragt – eine Erfahrung, die nach einem Jahr ad acta gelegt wird? Verneinendes Kopfschütteln bei den beiden Frauen. „Der BFD im Kulturbereich soll keine Episode bleiben. Stattdessen legt er einen Grundstein, auf dem ich aufbauen will“, meint Charlotte. Ihre Kollegin: „Egal, was in einem Leben Schlechtes passiert, es muss noch lange nicht das Ende sein. Ich kann jedem nur ans Herz legen, nicht das Problem zu sehen, sondern die Lösung. Meine Lösung war der BFD.“

Das Haus für Poesie ist langjähriger Kooperationspartner des Kulturrings. Zu den vielen gemeinsamen Kulturprojekten in der Vergangenheit kam 2013 der Bundesfreiwilligendienst Kultur und Bildung hinzu. Seitdem waren neun Freiwillige über den Kulturring im Haus für Poesie tätig und haben mit ihren Ideen und ihrem Engagement die Arbeit der renommierten Kultureinrichtung unterstützt.

www.kulturring.berlin/bundesfreiwilligendienst

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