Kein Tag ist wie der andere im Schöneberger Medienpoint

Martina Pfeiffer

Mitarbeiter René Kleindienst im Porträt

An einem Morgen im Januar 2022 kam der neue Mitarbeiter René Kleindienst im Medien­point Schöneberg durch die Tür und trat seinen ersten Arbeitstag an – willens, sich auf die spezifischen Inhalte einzustellen, zum Mitdenken und Anpacken bereit. Die Teamarbeit dort sieht der Neue im Kollegium als gewinnbringend, auch für seine persönliche Entwicklung. „Das Menschliche hat Gewicht hier im Medienpoint, die Entspanntheit im Umgang mit den Kollegen und mit der Leitung“.
René Kleindienst will etwas bewegen. Sein Kurs steht auf Veränderung. „Reizvoll ist, dass man hier mit Autoren und Themen zu tun hat, mit denen man bislang noch nicht konfrontiert war. Kein Tag ist wie der andere im Medienpoint. Ich probiere Einiges aus, in den Innenräumen wie im Außenbereich: zum Beispiel überlege ich mir neue Themenfelder, setze sie in Szene und wir schauen, ob es von der Kundschaft angenommen wird.“ Es wird. Er mache sich bei seiner Tätigkeit auch immer Gedanken über die Präsentation des Medienbestands, über das Ordnungssystem und über Arbeitserleichterungen. Und weiter: „Wir vom Medienpoint beobachten, was einmalig oder im jährlichen Turnus ansteht: seien es Aktionstage, die Berlinale, der Schulbeginn oder wichtige Gedenk- und Geburtstage. Diese Ereignisse sollen nicht sang- und klanglos vorbeigehen. Wir denken darüber nach, wie wir das kalendarisch Anstehende im Laden wirkungsvoll umsetzen.“

Und so manches Mal bricht in Dingen der visuellen Gestaltung die Neigung zu seinem alten Beruf in ihm durch: Eine Station seines Lebensweges ist die IHK-geprüfte Ausbildung zum Mediengestalter für Digital- und Printmedien. Der 1961 in Berlin Neukölln Geborene hat zudem eine Ausbildung zum Maler und Lackierer mit der Meisterprüfung abgeschlossen. Im Jahr 1984 unternahm er etwas ganz anderes. Er produzierte seine erste Single: „Schokoschätzchen“. René Kleindienst steht für ein besonderes Revival mit Kultcharakter: Er betreibt die Wiederbelebung des Mythos „Neue Deutsche Welle“. Deren Songs hatten Mitte der 70er die deutsche Umgangssprache in aufregende Kontexte gestellt. Insbesondere die Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle hatten mit Konventionen gebrochen und Althergebrachtes auf den Kopf gestellt. Bis dato gab es keine vergleichbare Musik mit deutschen Texten, die derart aufwühlte und in produktive Unruhe versetzte. Die Lieder der hiesigen Singer und Songwriter erschienen zunächst bei Independent-Plattenfirmen. Sie zeichneten sich durch kreative Eigenwilligkeit aus, mit einer Bandbreite von aufsässig bis verspielt. Ein fantasievoll-unkompliziertes ­Wortgestöber wurde begleitet von einem frischen, fetzigen Sound. Hits wie „Ich düse im Sauseschritt“, „Major Tom (völlig losgelöst)“ und „Hurra, die Schule brennt“ entstanden. Die Songs wurden zunehmend popkompatibel. Radiosender spielten die NDW rauf und runter, bis die Welle Mitte der 80er abebbte.

Die Neue Deutsche Welle gilt, zumindest in ihren Anfängen, als die deutsche Variante von Punk und New Wave. Auch für René Kleindienst & Band? „Unsere Musik geht nicht in die Punk-Richtung, kommt nicht in die Nähe von Underground. Sie ist ein Revival von Neue Deutsche Welle, mit Rockeinschlag. Ein Konglomerat von Rock und Synthiepop, also zum Beispiel Depeche Mode, mit Liedermachertexten. Auch von Kraftwerk und ihrem Elektropop sehen wir uns beeinflusst. ‚Autobahn‘ und ‚Die Roboter‘ setzten natürlich Maßstäbe.“

Vorbilder von René Kleindienst und seiner vor 40 Jahren gegründeten Band sind insbesondere Joachim Witt („Goldener Reiter“), Extrabreit („Polizisten“) und Hubert Kah („Sternenhimmel“). Der hatte es seinerzeit als erster Vertreter der neuen Musikrichtung mit einem TV-Auftritt in die honorige deutsche Hitparade geschafft – im Nachthemd.

Das der Neuen Deutschen Welle verpasste Etikett, das seien „Fetenhits“, damit kann Kleindienst gut leben. „Wenn Menschen sich auf Feten treffen, sich gut verstehen und miteinander fröhlich feiern, das ist doch etwas Schönes.“ Das gängige Vorurteil, diese Musikrichtung kenne allenfalls drei Akkorde, bringt ihn zum Lachen. Minimalistisch, ja, das sei die Neue Deutsche Welle aus Prinzip. Aber so minimalistisch nun auch wieder nicht. Der „Goldene Reiter“, der sei schon ziemlich komplex gewesen. „Klar, es gab auch ‚Da Da Da‘ von Trio, das waren wahrscheinlich nicht mal drei Akkorde. Aber das war witzig gemeint, die haben sich selbst auf die Schippe genommen. Selbstironie, Witz, Fantasie, damit lässt sich die Neue Deutsche Welle gut beschreiben.“

Kleindiensts Band befindet sich gerade in einer Umbenennungsphase. Unter den Namensvorschlägen machte „Applaus oder Tomaten“ das Rennen. Der hier Porträtierte ist die Stimme der Band, dann gibt es noch den Bassisten, den Keyboarder und den Lead-Gitarristen. Statt eines Schlagzeugs kommen synthetische Drums zum Einsatz. Zu Hause hat der 61-Jährige ein eigenes Tonstudio. Kleindiensts Auftritts-Outfit? Die Bierflasche und die tote Ratte, das müsse nicht sein, das wäre dann mehr die Punkecke. Aber die zerrissene Jeans darf sein, und gerne obenrum im Flower-Power-Stil.

Wogegen singt er an? Gegen Stillstand, Borniertheit und Voreingenommenheit. Im Mittelpunkt seiner Lieder steht eine weise Weltsicht, ein Brücken bauendes Verständnis untereinander, hin zu mehr Toleranz, Gleichheit und friedlichem Zusammenleben. René Kleindiensts Vorhaben ist es, Musik als zusätzliches Standbein zu entwickeln und seine Songs künftig selbst zu produzieren. Und auch sonst ist der Schöneberger mit den vier „M“, Maler, Mediengestalter, Musiker und Medienpointer, voller Pläne: Gerne würde er zum diesjährigen Straßenfest in der Crellestraße oder zu einem Jubiläum des Medienpoints zusammen mit seiner Band den Kiez rocken, und das nicht zu knapp.

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