Einfach nur „Bautz“?

Bernd Grünheid

Im April 2011 sorgte eine ganz besondere Gedenktafel für Aufsehen bei Presse, Öffentlichkeit und Fachpublikum. Die auf Initiative der AG Rosa Winkel und nach akribischer Forschungsarbeit des LSBTI-Projekts beim Kulturring entstandene Tafel wurde am Polizeigebäude Moritzstraße 10 in Berlin-Spandau angebracht und in Anwesenheit des damaligen Polizeipräsidenten ­Dieter Glietsch und des Innensenators Ehrhart Körting würdig eingeweiht. Sie war Teil unserer ­parallel im Spandauer Rathaus eröffneten großen Ausstellung „Homosexuellenverfolgung im Nationalsozialismus“.

Die Gedenktafel erinnerte an vier der Homosexualität beschuldigten Polizisten, die am 24. April 1945 von der Polizeiarrestanstalt Moritzstraße in ein nahes Polizeibarackenlager transportiert und dort per Genickschuss ermordet und eilig verscharrt wurden. Ihre Namen waren in die Tafel eingraviert: Otto Jordan, Reinhold Höpfner, Willi Jenoch und Bautz.
„Bautz (Vorname nicht bekannt)“ war unter den drei vollständigen Opfernamen auf der Tafel eingraviert und bis dato waren alle Bemühungen, die Identität des vierten Polizisten zu klären, gescheitert. Auch für Dr. Carola Gerlach, die leider 2018 verstorbene Vorsitzende der AG Rosa Winkel, die mit mir gemeinsam jahrelang am „Polizistenmord in Spandau“ forschte und durch bis dahin ungenutzte Quellen weitere Erkenntnisse über die damaligen Örtlichkeiten, Publikationen und näheren Umstände dieses Verbrechens gegen die Menschlichkeit aufdecken konnte, brachte die Suche nach der Identität des „Bautz“ keinen Erfolg. So blieben die Tafel und damit das Gedenken unvollständig. Es sollten weitere sechs Jahre vergehen, bis wir 2017 im Landesarchiv Berlin durch einen Zufall auf die entscheidende Akte unter tausenden stießen und den dort unter anderen Beschuldigten genannten Erich Bautz eindeutig als den Gesuchten identifizieren konnten. Ich weiß es noch, als wäre es erst gestern gewesen: ein Mitarbeiter des Rosa Winkel-Projekts, Jürgen Michallek, kam im Microfilm-Lesesaal mit dieser Strafakte in der Hand zu mir und fragte: „Bernd, hast Du nicht irgendwann mal was von einem Bautz erzählt, den Du suchst? Ich habe da was gefunden.“ Die Papierakte identifizierte tatsächlich eindeutig den vierten ermordeten Polizisten:
Am 26.01.1945 sitzt der Wachtmeister der ­Luftschutzpoli­zei, Erich Bautz, geboren am 06.10.1901, im Verhörraum des Homosexuellendezernats der Kriminalgruppe S1 im Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Tags zuvor hatte ihn eine Polizeistreife in der Toiletten­anlage auf dem Bahnhof Berlin-Charlottenburg beim Onanieren mit dem Schleifer Walter Barthold überrascht und sofort festgenommen.

Der auf die Verfolgung von  Homosexuellen spezialisierte Kripobeamte, Kriminaloberassistent zur Probe, Bernhard Spohd, geb. 27.10.1908, will von ihm wissen: „Haben Sie den Revers (gemeint ist der „Erlass des Führers zur Reinhaltung der SS und Polizei“ vom 15.11.1941) unterschrieben, der für eine homosexuelle Betätigung eines Polizeibeamten besonders harte Strafen androht und wenn ja, warum haben Sie sich nicht zurückgehalten?“

Erich Bautz ist sofort eingeschüchtert. Er habe sich zwar große Mühe zur Zurückhaltung gegeben, aber die Veranlagung sei jedoch leider bei ihm im Laufe der Jahre immer wieder durchgebrochen. Er sei ja verheiratet, habe eine 25-Jährige Tochter und sähe sich selbst nicht als schwul, eher als Bisexuellen. Weil er sich von seiner Frau nicht mehr befriedigt fühle habe es sich mehrmals im Jahr in Bedürfnisanstalten von Berliner Bahnhöfen einen Partner zum gegenseitigen Onanieren gesucht. Feste Beziehungen mit den Männern ging er nicht ein, um sein Familienleben nicht zu gefährden. Verkehr mit anderen Frauen oder Prostituierten habe er aus Angst vor Geschlechtskrankheiten immer gemieden.

Er fügt hinzu: „Nach diesem Vorfall aber glaube ich, mich so weit in der Gewalt zu haben, dass ich eine gleichgeschlechtliche Betätigung in Zukunft ablehnen werde, wobei mir die Tatsache, dass mein Geschlechtstrieb mit zunehmendem Alter schon erheblich nachgelassen hat, zugutekommt.“

Spohd stellt keine weiteren Fragen. Das Verhör endet mit dem Vermerk „Dem SS- und Polizeigericht überstellt“.

Nur drei Monate später am 24.04.1945 ist Erich Bautz tot – zusammen mit drei anderen der Homosexualität verdächtigten Polizisten per Genickschuss von einem Polizeikommando der Spandauer Moritzkaserne hingerichtet und verscharrt auf dem Gelände des nahegelegenen Polizei-Barackenlagers Pionierstraße.

Wir haben unsere 2017 entdeckten Lebensdaten des bis dahin unbekannten Erich Bautz der mehrere Tausend Datensätze umfassenden Datenbank des Rosa Winkel Projekts zur Homosexuellenverfolgung im Nationalsozialismus hinzugefügt und dem Landesarchiv Berlin zur Verfügung gestellt.

Am 22. April 2022 ersetzten Polizeivizepräsident Marco Langner und Sebastian Finke von MANEO in einer Feier­stunde am Polizeigebäude Moritzstraße 10 die 2011 enthüllte Gedenktafel durch eine neue, in die die vollständigen Namen aller vier 1945 ermordeten Polizisten eingraviert sind, ihre Schicksale bleiben unvergessen.

Bernd Grünheid ist Projektleiter von LSBTI Rosa Winkel im Kulturring in Berlin.
www.rosawinkel.kulturring.berlin

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