Dichtkunst mal Vier – Podcast

Martina Pfeiffer

Zusammenarbeit mit vier jungen Lyriker*innen der „young and open poems“

Mit dem „Haus für Poesie“ www.haus-fuer-poesie.org verbindet den Kulturring eine langjährige Kooperation, unter anderem im Bereich der Bundesfreiwilligen. Im Frühjahr 2022 gibt es nun auch eine ertragreiche inhaltliche Zusammenarbeit mit den jährlichen Lyrikwerkstätten der „young and open poems“. Diese sind bereits seit Monaten angelaufen: zweiundvierzig junge Lyrikbegeisterte erproben sich unter Anleitung von Mentor*innen, feilen an ihren Texten, tauschen sich mit anderen aus. Bis Mai erwerben sie Kenntnisse und Fertigkeiten, damit das Erarbeitete zum 23. Poesiefestival am 17. Juni 2022 sein Publikum finden kann. Vier Lyriker*innen haben sich bereit erklärt, ein Gedicht aus ihrer Werkauswahl einzusprechen: Sophie Stroux, Şafak Sariçiçek, Lea Wahode und Konstantin Schmidtbauer, alle zwischen 1992 und 1997 geboren (zu hören im Podcastbereich).

Poesie – nur etwas für „Schöngeister“, „Musen­geküsste“ oder „Abgehobene“? Holen wir doch Gedichte von diesem Podest herunter! Die Podcast-Kurzlesungen wollen in Verbindung mit dem Inter­view dazu beitragen, dass auch Personen diese Kunstform an sich heranlassen, die bislang nicht zur Fangemeinde der Poesie gehörten.

Warum eignet sich speziell die Lyrik für das, was Sie künstlerisch ausdrücken wollen?
Sophie: In der Lyrikszene wird gern gescherzt, dass wir eigentlich immer nur für uns selbst schreiben. Nur wer Lyrik schreibt, liest auch Lyrik. Ich glaube nicht, dass das ganz stimmt. Es ist aber definitiv ein anderes Publikum als das für Romane. Menschen, die das Spiel mit Sprache mögen, die Spaß an Sprachrätseln haben. Ich selbst mag es, Gedichten auf die Spur zu kommen und sie wie Sherlock Holmes zu entschlüsseln.
Konstantin: Besonders wertvoll an Lyrik sind die Möglichkeiten zu hochpräzisem Ausdruck und, was konträr erscheinen mag, zu radikaler Offenheit.
Şafak: Nirgends sonst ist Sprache derart konzentriert und im Schwung von Klang, Symbol und Gehalt. Das Gedicht transportiert die menschliche Ursprache des Gesangs, der Epik und des Gebets, wenn man so will.
Lea: Lyrik ist ein Stück gelebte Utopie: sie macht deutlich, wie viele Facetten in einer einzigen Perspektive liegen können und offenbart die Gleichzeitigkeit der Realitäten, in denen wir leben und die gesellschaftliche Veränderungen hin zu sozialer Gerechtigkeit so notwendig machen. Ich habe mir vorgenommen, dieses Jahr bewusster für die politischen Kontexte zu schreiben, in denen meine Lyrik sich bewegt: Texte als Einladung zu gestalten in einen Raum, in dem Menschen miteinander in Austausch gehen und gemeinsam Empowerment erfahren können – auf Demos und in Protestcamps.

Neue Medien und Lyrik – wie geht das zusammen?
Şafak: Sie erschaffen ganz neue Synthesen und Möglichkeitsräume. Der „immersive Raum“, das multipliziert nochmal, was Kunst bedeuten kann.
Sophie: Ich glaube gar nicht, dass Lyrik sich so stark verändert. Die performative Arbeit aber, die Inszenierung, wird vielleicht wichtiger. Auch die Lyrik wird „eventisiert“, wird einfacher zu schlucken, einfacher verpackt. Das klingt vielleicht negativ, diese „Eventisierung“ ermöglicht aber immer neue Formate, neue „Genreauswucherungen“ im positiven Sinne.
Lea: Neue Medien machen es noch schwieriger, eine Definition um Lyrik zu legen, die nicht bei der kleinsten Berührung zerfließt. Multimediales Arbeiten wird ohne viel technisches Wissen und materielle sowie finanzielle Ressourcen zugänglicher. Für mich persönlich werden auch Sound & Video zu den neuen Grundstoffen meines Schreibens.
Konstantin: Aus vielen Quellen, die Lyrik, die Kunst speisen, kann mithilfe des Internets geschöpft werden. Das spiegelt sich auch in manchen Texten wider, diese Überlappung, Überflutung, auch das Abwegige, das von Link zu Link klettern. Im Prozess des Abtippens in den PC fallen andere Elemente des Textes auf. Vertipper können auch produktiv genutzt werden. Es ist wunderbar, sich auf „lyrikline“ von Zufallsgedicht zu Zufallsgedicht zu klicken. Allerdings – ich habe das Gefühl, dass das Buch als Form(at) die vielem Digitalisierten inhärente Flüchtigkeit nicht mitmacht, und dass gegen sie als Uferloses, das Buch weiterhin besteht, auch digital.

Sophie, Ihr Gedicht mit den Anfangszeilen „Ich habe das“ lässt ein Sich-Fremd-Fühlen in der eigenen Sprache erkennen: Haben Sie selbst eine Sprachkrise durchgemacht, ein Zweifeln an den Möglichkeiten der Sprache?

Sophie: Ja, definitiv. Ich habe regelmäßig kleine Krisen, in denen ich mich frage, was ich mit Lyrik überhaupt ausdrücken kann. Und dann nehme ich mich jedesmal selbst am Kragen und zeige mir selbst auf, dass viele dieser Grenzen ja doch nur Barrikaden in meinem Kopf sind. Wer sagt denn, dass ein gutes Gedicht Anfang und Ende haben muss? Wer sagt denn, dass es überhaupt geschrieben sein muss? Gerade deshalb ist die Soundpoesie so bereichernd für mich. Hier kann ich nochmal mehr das formen und finalisieren, was ich in meinen Gedanken sehe und höre. Genauso der Poesiefilm. Lyrik ist keine zweidimensionale Erfahrung, sondern übergreifend, ganzheitlich. Wozu also auf einer Seite Papier bleiben?

Schweigen ist in Ihrem Gedicht „Hygienekonzept“ ein zentraler Begriff, Şafak. Ist er gleichzusetzen mit Ohnmacht und Resignation?

Şafak: Ganz gewiss nicht. Schweigen ist die Ausschöpfung der Bedeutung, der Möglichkeiten, Schweigen ist die Tiefe, die Fantasie, die Leere ausfüllt, und auch Widerstand, gegen die pathetisch Brüllenden. Dass alles im Fluss ist, das Voranschreiten, macht jedenfalls trotz der Weghindernisse Hoffnung. „Hygienekonzept“ skizziert vielleicht, was in einer völlig automatischen Welt geschieht, der auch die Empfindungen für ein Du untergeordnet werden.

Konstantin, die „bucklige Welt“ taucht an einer Stelle Ihrer Gedichte auf. Kann man angesichts eines doch reichlich disharmonischen Weltgeschehens schöne Gedichte schreiben?

Konstantin: Mir scheint wichtig, sich der Welt nicht zu verschließen. Wie schreiben, angesichts des Kriegs in der Ukraine, angesichts der drohenden und bereits vernichtenden Klimakatastrophe, angesichts einer auf unzähligen Ebenen ungerechten Welt? Diese Frage umgedreht: Wie, angesichts dessen, schweigen? Ein Text ist eine Handlung, ein Beziehungsangebot. Uljana Wolf, Max Czollek und weitere lesen auf Demos gegen den Aggressionskrieg Russlands auf die Ukraine; die „London Review of Books“ veröffentlicht zahlreiche accounts von Ukrainer*innen; es gibt bereits Dutzende Texte auf die Initiative der Österreichischen Literaturhäuser „Stimmen gegen den Krieg“. Die Verhältnisse der Welt: sie erdrücken, doch mit Sprache ist der Mensch nicht bewegungslos. In-Worte-Fassen ist ein Umgehen damit, Konfrontieren, Stellungbeziehen. Und weit mehr, weit Stärkeres noch. Es kann ein Aufbauen sein.

Sie verstehen sich auch als politisch Schreibende, Lea. Wie macht sich das an Ihrem Text „Nachts wird das Atmen schwer“ fest?

Lea: Das Schreiben ist für mich nicht loszulösen von meinem Aktivismus. Soziale Ungerechtigkeit bleibt unsichtbar, wenn sie nicht benannt werden kann; und soziale Gerechtigkeit bleibt Nicht-Ort, solange uns die Sprache fehlt, um sie zu gestalten. „Nachts wird das Atmen schwer“ ist Teil meines Gedichtzyklus „30 Jahre September“, der den „Estallido Social“ poetisch dokumentiert. Also die Proteste für soziale Gerechtigkeit, die am 18. Oktober 2019 in Chile begannen, und denen mit massiver polizeilicher Repression begegnet wurde. Viele der Forderungen chilenischer Aktivist*innen sind Teil globaler Bewegungen, denen auch ich mich zugehörig fühle. Wir jungen Menschen bringen gerade sehr viel Kraft auf, um überkommene Denkweisen aufzubrechen – besonders in Bezug auf Gender, Queerness, ausbeutende Wirtschaftssysteme und die Art, wie wir in unserer radikalen Verschiedenheit zusammenleben können, ohne dabei die bestehenden Machtstrukturen, die Ausbeutung und Gewalt weiterzutragen. Meine Texte tun das auch; sie sind Teil der Bewegung und Orte zum Aufschreien, Anpacken, Loslassen, Kraftsammeln, Sein.

Archiv