Don Quichottes moderne Erben

Martina Pfeiffer

Der Literaturbetrieb kennt harte Bandagen. Volker Kaminski weiß einiges zu erzählen von denkschweißträchtigen Textproduktionen und den bisweilen unliebsamen Begleiterscheinungen beim Mitmischen im (Berliner) Literaturmilieu. Titelfigur Helge hat doppelt mit dem Makel des Außenseiters zu kämpfen: als umerzogener und anhaltend „rückfälliger“ Linkshänder sowie als lange erfolgloser Schriftsteller. Fast schon ein Abgeschriebener im Gravitationsfeld des Literarischen.

Man muss nicht unbedingt Insiderwissen besitzen, um den Roman über die knallharten Gesetze des literarischen Überlebensbetriebs und die Literaturszene im trubeligen Berlin mit Aufmerksamkeit zu lesen. In einem verzweigten Netz ineinander verspiegelter Geschichten führt Kaminski seine Figuren gelenkig durch den Plot. Geschickt verknüpft der Autor zudem Fantasy-Elemente mit einer Coming-of-Age-Geschichte. Handlungs- und Reflexionspassagen finden sich in wohldosierter Durchmischung. Das zentrale Motiv der Linkshändigkeit ist unaufdringlich in die Romantextur eingewoben.

Mit Lektoratsaufträgen schlägt sich die Hauptfigur gerademal so durch, den Launen von Lektoren ausgeliefert, zugleich Opfer kapriziöser Entschlüsse von Verlegern. „Eine unplanbare Existenz, offen wie der Weltraum“. Nicht allein an den Schlüsselstellen des Romans beklagt der Erzähler den Missstand, dass literarische Ambitionen nur für diejenigen statthaft sind, die es sich leisten können, weil sie ein lukratives zweites berufliches Standbein haben. Kaminskis Anti-Held hingegen müht sich ab mit „einer irgendwann auf körperlichen Bankrott hinauslaufenden Schwerstarbeit“, zwischen Schriftstellermetier und Agenturtätigkeit pendelnd.

Die Schriftsteller*innen in Herzhand verdingen sich in den Bereichen Moderation, Übersetzung, Lektorat. Gegen den Erfolgsdruck gefeit sind die wenigsten, gegen den Verdrängungswettbewerb, das Hauen und Stechen. Ein Empfang jagt den nächsten bei Stiftungen und Botschaften. Zu derlei Gelegenheiten heißt es Visitenkarten sammeln. Gute Kontakte zu TV-Quizshows und Literatursendungen, zu Bloggern und Influencern zahlen sich aus. Beim Künstlerstammtisch in einem Charlottenburger Café entstehen die „Vorgaben zum Ruhm“. Man setzt auf Seilschaften. Das Kunstgeschäft – ein Gunstgeschäft?

Unterwegs zu Verlegern und Agenten fühlt Kaminskis Protagonist sich auf Werbetour wie ein Handlungsreisender. Die Blasiertheit im Verlagswesen nagt an ihm. „Don Quichottes moderne Erben hatten sich mit den feindlichen Windmühlen längst arrangiert“, mit ihren Flügeln aus „Missachtung, Zweifel und Ablehnung“. Angesichts dieser ernüchternden Töne stellt sich die Frage: Was wird eigentlich aus einem abgelehnten Manuskript? Taugt es noch als Einwickelpapier, oder wird es gleich geschreddert?

Die Leserschaft durchlebt mit Helge dessen Verzweiflung. Wie sechs Jahre Arbeit in weniger als fünf Monaten verpuffen, weil sein Erstling ohne kommerzielles Echo bleibt. Mit Abstrichen auch sein zweiter Roman. Und immer wieder die Angst vor dem „inneren Zensor“, vor der Schreibblockade und – ­daraus resultierend – dem Verstummen. Helges dritter Roman, eine zeitgenössische Bohèmegeschichte, schafft es in die Shortlist eines großen deutschen Buchpreises. Am besten, laut Verlag, den Roman Nummer Vier eiligst nachschießen. Doch der verpasst wider Erwarten die Shortlist. Ist das Mitmischen in Bestenlisten-Rankings überhaupt erstrebenswert? Muss gute Kunst immer preisverdächtig sein, Güte sich in respektablen Verkaufszahlen niederschlagen? Der erfolgsorientierte Künstler – mehr oder weniger unfreiwillig ein Kollaborateur des Marktes?

Neben Insiderinformationen zum Literaturmilieu liefert Kaminskis Helge Einblicke ins einschlägige Handwerk: „Eine Bedingung für den Anfang war jedes Mal die Leere, der Nullpunkt, die offene Lichtung. Jenseits des ersten Kapitels begann die Wildnis, ein offenes Gelände, vor dem ihn keine Systematik, kein festgelegter Plan und keine Gliederung schützen würde.“ Helges Unwillen, sich geschmacksästhetisch eingemeinden zu lassen, bricht sich immer dann Bahn, wenn er seine Aufstände anzettelnde Herzhand ins Spiel bringt: „Ihr kompromissloser Drang hatte ihn verführt und in sein Leben eingegriffen, seinen Übermut gekitzelt und sein Herz schneller schlagen lassen.“

Volker Kaminski lebt seit 40 Jahren in Berlin. 1958 in Karlsruhe geboren, studierte er Germanistik und Philosophie in Freiburg und Berlin. Seine erste Buchveröffentlichung: die Novelle „Die letzte Prüfung“ (1994). Seit 2016 erschienen u. a. der Künstlerroman „Rot wie Schnee“ und der Thriller „Der Gestrandete“. „Herzhand“ wurde im Sommer 2021 von PalmArtPress herausgegeben. Beim Sender Deutsche Welle schreibt Kaminski Rezensionen. Für die Berliner Zeitung verfasst er Kolumnen. Neben dem ­Alfred Döblin-Stipendium erhielt er Stipendien der Kunststiftung Baden-Württemberg und des Künstlerhauses Edenkoben. Am Insti­tut für Kreatives Schreiben und an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin gibt V. K. als Lehrbeauftragter praxisorientierte Kurse für das Verfassen von Literatur.

Autorenlesung mit Volker Kaminski am 17. März um 19.30 Uhr in der Janusz-Korczak-Bibliothek Pankow (Jüdisches Waisenhaus), Berliner Straße 120. Eintritt frei. Voranmeldung erbeten unter: Tel. 030-90295-6965.
Gelegenheit zum Bucherwerb nach der ­Lesung. www.berlin.de/stadtbibliothek-pankow/aktuelles/veranstaltungen/#jkb

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