Grande Pièce Symphonique

Wolfram Haack

und eine Zustandsbeschreibung aus der Weitwinkelperspektive

Das 20. Silvesterfestkonzert von Concerto Brandenburg musste pandemiebedingt im Jahre 2020 erstmals seit 20 Jahren ausfallen. Das war traurig, aber wir dürfen uns überglücklich schätzen, sind von einer beispiellosen Sympathiewelle erfasst, die unser teilweise langjähriges Publikum aussandte – ideell und materiell. Die Voraussetzungen für unsere Konzerte in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche haben sich aber leider auch in diesem Jahr nicht derart grundlegend geändert, dass wir ein ganz neues Programm mit einem größeren Orchesterapparat in Erwägung gezogen hätten. In Kammermusikstärke, aber immerhin mit drei Kolleginnen mehr als im vorigen Jahr und mit einer kleinen musikalischen Ergänzung, nehmen wir dieses Jahr einen weiteren Anlauf zu unserem barocken Mutmachprogramm, auch weil Sie nach der Absage den Wunsch geäußert haben, das Programm doch in diesem Jahr zu realisieren.

Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen ist zu erfahren, dass es heuer bei drei Vorstellungen um 13.00 Uhr, 15.30 Uhr und 20.00 Uhr bleiben wird, damit wenigstens der größere Teil unserer werten Konzertgäste eine Chance bekommt, das Silvester-Festkonzert zu besuchen. Die Karten kosten einheitlich 30 € auf allen Plätzen, und leider kann es wiederum keine ermäßigten Eintrittskarten geben. Zum Bestellen nutzen Sie bitte am besten unsere langjährige Organisationspartnerin, die Agentur AURIS Musik Management, Telefon: 030 61 28 04 61 oder E-Mail: karten@auris-berlin.de
Auf dem Programm stehen bedeutende barocke Werke, u. a. von Johann Sebastian Bach, Antonio Vivaldi und Johann Gottlieb Graun, die Mut machen werden. Ergänzend und korrespondierend kommt barocke Dichtung zu Gehör, die vielen von Ihnen bekannt sein wird. Deren Verbreitung mag in der Barockepoche nach dem Dreißigjährigen Krieg individuelle und gesellschaftliche Resilienz gestärkt haben. Wir spekulieren darauf, dass diese außergewöhnliche Lyrik, zusammen mit den eindringlichen barocken Klängen, auch heute noch hilft!

In allen Kompositionen und in der frühbarocken Lyrik des Silvester-Festkonzerts von Concerto Brandenburg blitzen Resignation und Aufbegehren gegen kollektive und individuell empfundene Ohnmacht auf. Es spiegelt sich in diesen Kunstwerken aber auch unverkennbar eine, wenn auch beschränkt, wiederhergestellte Handlungsfähigkeit des Menschen in der Welt. Von Johann Sebastian Bach bis hin zur Sinfonie des Johann Gottlieb Graun, dem Konzertmeister Friedrichs des Großen, halten sich Lamento und Heilung in den Kompositionen die Waage.

ch will unsere augenblickliche Situation vielleicht einmal mit einem „fremden Blick“ wie einen „Furz in der Laterne“ (Herta Müller) betrachten – aus der Weitwinkelperspektive: Johann Sebastian Bach geriet tragischerweise an das barocke PR-Genie John Taylor. Der „behandelte“ den grauen Star des erblindeten Komponisten „öffentlichkeitswirksam“ im Wirtshaus. Was zu diesem Pfusch führte, der mehrere Leben kostete, kann man sich nicht anders als grauenhaft vorstellen – die Qualen Bachs, die er in äußerster Not auf sich nahm, mit der vagen Aussicht, die Erblindung rückgängig machen zu können – seine und die Existenz seiner großen Familie waren gefährdet. Mehr aber noch empört das Systemische der Gesellschaftsordnung dahinter, welches den Okulisten „Chevalier John Taylor“ hervorbringt, dessen Gewissen Leid und Tod seiner „Kunden“ verträgt, um in eine höhere bürgerliche Kaste aufzusteigen und sich dort, mit Blut besudelt, dauerhaft einzurichten. Bach war zäh und starb erst an den Folgen von Taylors zweitem Pfusch. Taylor zerstörte mit derselben Masche zwei Leben, das von Johann Sebastian Bach und von Georg Friedrich Händel. Was für eine Verschwendung. Heutzutage erlauben wir uns freilich eine gewisse Gediegenheit: Außer Fresenius, Deutsche Wohnen und Rheinmetall haben „wir“ auch ein paar sozial und ökologisch zertifizierte Aktien (zur Alterssicherung) in unseren stets breit gefächerten Portfolios, man wäre ja schön blöd …

Doch das Leben ist trotzdem nur ein „Furz in der Laterne“, und das Handwerk hat gar keinen Boden mehr, wenn es nicht zufällig noch vereinzelt der Hände Arbeit meint statt schnöder Meinungsmache. Bei der schönen Tonerzeugung und im Zusammenspiel mit anderen Handwerkern ist es, merkantilen Gepflogenheiten zum Trotz, weiterhin hoch angesehen. Auf Instagram, Facebook und WhatsApp posten ja auch viele Scharlatane und andere Werbetreibende und kennen keine korrekte Scham (Wehe, Wotan, Walte), ey, sowas Werbehandwerk zu nennen. Wie viele Sülzköppe ihren Auswurf noch Handwerk nennen werden, ist nicht abzusehen. Handwerk gibt es wirklich nur noch äußerst limitiert. Das andere, das Gesülze, sollten wir öfters beim Namen nennen: Maulheldentum. Wenn das im wörtlichen Sinne nicht auch andere, gute und ehrliche Tonerzeuger trifft, die mit Lippen, Luft und Spucke den Himmel auf die Erde holen können. Engelstrompetengleich. Oft diktieren Scharlatane einfach. Mittels Spracherkennungsprogramm in ihr neuestes MoBeildieweiß, warte nur balde … Mit all den überflüssigen, hässlichen, werblichen Anglizismen werden die Apparate besprochen wie Hühnerknochen in Merseburg, nur dass die Zauber gar keine Brüche heilen sollen, sondern Kohle einspielen. Tayloristische Tricks und all die Ponzi-Schemen zum Persil-Verkaufen konnte die Spracherkennung schon im Entwicklungsstadium richtig buchstabieren. Nur keine ehrlich erfundene Phrase wie Atomwaffensperrvertrag oder Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Das verweigern die geleerten Algorithmen der Sprachverfolgung. Woraus man schließen sollte, wer sie programmiert hat und wozu.

Manchmal kommt der zwischenmenschliche Rhythmus dann wieder zum Vorschein. Kein vernünftiger Mensch soll weinen, wenn durch den kurzzeitigen Ausfall milliardenschwerer Plattitüden das dämliche Gequatsche in den sog. sozialen Netzwerken für drei Minuten endlich mal aufhört. An die regelmäßige fehlerhafte Konfiguration von Routern von Montag bis Freitag könnte ich mich jedenfalls direkt gewöhnen. Wenn allerdings nach vielen ehrlich erzeugten Klängen eines Konzerts die Stille vor dem Applaus andauert, sieht das gleich anders aus – mit nichts zu übertreffen sind die Intermezzi des Schweigens. In diesem Sinne: Auf bald!

Grande Pièce Symphonique ist der Titel eines Orgelwerks des frz. Komponisten César Franck. Es wird vorzugsweise auf dem ­Pedal und mindestens vier Manualen einer romantischen Orgel gespielt. Die körperliche Höchstleistung des Spielers wird durch eine sog. pneumatische, statt der meist schwergängigeren barocken, rein mechanischen Traktur erheblich erleichtert. In jedem Fall bedienen lediglich zwei Hände und zwei Füße die Klangmaschine. Wegen des Hochleistungssports beim Anschlag der Tasten einer mechanischen Traktur wird das Verb schlagen gerne mit dem Nomen Orgel verknüpft. Johann Sebastian Bach schlug seine Orgel ­regelmäßig. Es ging leider nicht anders …

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