70 Jahre Theater Karlshorst

Michael Laschke

Vor siebzig Jahren, im Herbst 1949, wurde das Theater Karlshorst als Haus der Offiziere eröffnet. Baubeginn war der 14. Februar 1948. Es war ein Reparations- und Befehlsbau, an dem sich bis heute heftige Diskussionen über Historisches und Zukünftiges entzünden.

Für die Einen ist es der Ausdruck euro­päischer und deutscher Nationalgeschichte sowie der Hochachtung deutscher Kultur durch sowjetische Offiziere, zum Beispiel Alexander Dymschitz oder Sergej Tulpanow und vieler anderer (Gunnar Decker). Die sowjetische Besatzungsmacht orientierte nach der Niederringung des faschistischen Deutschlands auf eine rasche Wiedereröffnung von Theatern, Opernhäusern, Kinos, Bibliotheken und Lehrstätten. Es ging darum, die humanistische deutsche Kultur wieder wach zu rufen, in der jüngeren Generation überhaupt erst bekannt zu machen und den Ungeist der vergangenen Jahre aus den Köpfen zu vertreiben. Und mit dem „Dramatischen Theater Karlshorst“ schuf sie sich ein eigenes kulturelles Zentrum. Für Andere ist das Gebäude Ausdruck der Selbstherrschaft der „russischen Truppen“, Mahnmal der Besetzung von Karlshorst, die mit der Ausweisung vieler Einwohner verbunden war.

In der Bevölkerung hieß das ­Gebäude, manchmal abwertend, „Russenoper“, ohne vielleicht zu wissen, welche Künstler und Ensembles von Weltruf, wie zum Beispiel David Oistrach, Galina Uljanowa, die Pekingoper, in Karlshorst aufgetreten sind. Auch das Alexandrow-Ensemble der Roten Armee wie der weltberühmte (originale) Kosakenchor gastierten hier. Architekturhistoriker hadern mit der in Karlshorst weit verbreiteten Auffassung vom ersten Theaterbau Deutschlands nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges (Andreas Butter). Unter Berücksichtigung des 1949 eröffneten Theaterneubaus in Halberstadt könnten sie recht behalten. Der Bauablauf ist durch Recherchen von Walter Fauck belegt.
Mit dem Bau des Theaters veränderte sich das Zentrum von Karlshorst grundlegend und nachhaltig. Der Abriss der Ruine ­Treskowallee 99 Ecke Ehrenfelsstraße, ehemals „Restaurant Zum Kurfürst“ und „Café Treskow-Eck“ und der Abbau des zweigeschossigen Doppelwohnhauses Ehrenfelsstraße 2-4 ermöglichten eine große Freifläche mit Wasserbecken, Springbrunnen und Grünanlagen als Vorfeld für einen repräsentativen Eingang in das Theater. Der Zugang zum Saal des „Deutschen Hauses“ gegenüber dem Bahnhof wurde geschlossen, der Saal selbst angepasst in den Theaterbau einbezogen. Technische Einrichtungen, der Bühnenturm und eine Trafostation entstanden neu. Zwischen Ehrenfels- und Stolzenfelsstraße wurde eine Durchgangsstraße als Betriebsweg angelegt (heute Theatergasse). Östlich schloss sich eine Grenzmauer mit vorgebauter Pergola an. Später folgte hinter der Grenzmauer der Bau eines massiven „­Kulissenwerkstattschuppens“.

Mit dem 1. August 1948 wechselten sowohl die sowjetische Bauleitung wie auch die Theaterleitung. Die technische und künstlerische Bauleitung oblag nun allein dem einundvierzigjährigen Architekten Hans Schaeffers (1907-1991), nachfolgend einer der bekanntesten und anerkannten Architekten Westberlins. Im Kiezmagazin Karlshorst/Friedrichsfelde erschien 2009 dazu ein Beitrag. Inwieweit sich Schaeffers streng an die Vorgaben des Chefarchitekten der Roten Armee General Kriwuschenko hielt oder Eigenes einbrachte, lässt sich anhand der verfügbaren Dokumente nicht nachvollziehen. Ebenso konnte bislang nicht ermittelt werden, ob es sich bei dem vom März bis zum 1. August 1948 mitwirkenden zweiten Architekten ­Ullrich um jenen Rudolf Ullrich handelt, der sich 1949 mit der Schule in der Steinstraße 31-34 seinen Platz in der Baudenkmalgeschichte von Berlin-Mitte sicherte.

Bis 1994 blieb das Theater mit wechselnden Trägerschaften zwischen Armee und Botschaft in sowjetisch/russischer Hand, wobei es seit 1963 für die deutsche Öffentlichkeit zugängig war. Nunmehr konnten auch Deutsche das großzügige Foyer und den 600 Gäste fassenden, leicht geneigten Saal mit den umlaufenden Rängen und der hervorragenden Akustik genießen. Propagandaartige Sichtelemente an der Fassade verschwinden erst später.

Vom Fall der Berliner Mauer 1989 konnte das „Militärobjekt Nr. 5“ (Wolfgang Schneider) nicht unberührt bleiben. Am 7. Oktober 1990 nimmt Volker Büttner, Chefregisseur des (abgewickelten) Palastes der Republik, Kontakt mit dem Kommandeur des Karlshorster Hauses Oberstleutnant Nordwind auf. „Eine heikle Mission“, schreibt er in seiner eigenen Darstellung „1990-2000, 10 Jahre Theater in Lichtenberg“, der auch die folgenden Daten entnommen sind. Angesichts einer spürbaren Öffnung der sowjetischen Seite und eines irgendwann denk­baren Abzuges ihrer Truppen aus Deutschland sondierte Volker Büttner eine mögliche Vermietung des Theaters an das Ensemble des stillgelegten Palastes der Republik. Die Mission war erfolgreich, und mit einer gemeinsamen Einzugsfeier deutscher und russischer Künstler begann am 23. Februar 1994 eine neue Nutzungsperiode des Hauses. Ballett, Oper, Musicals, Montagskino für die Kinder, Sonntagskonzerte für die ganze Familie und mehr zeigen die Programmzettel. Wegen fehlender technischer Einrichtungen, u. a. des Eisernen Vorhangs, musste das Theater 1994 geschlossen werden. 1995 wurde es neu eröffnet, den Eisernen Vorhang hatte Mercedes Benz finanziert. Es gab mehrere Namensänderungen. Einzelheiten sind in der Broschüre des Kulturrings Berlin „Die Denkmale – Heimatkundlicher Wegweiser durch Berlin-Karlshorst, Teil I: Östlich der ­Treskowallee“ (2010) dargestellt. 1999 stellte der Verein Theater Karlshorst mit Künstlern des Metropol­theaters einen Aufschwung in der öffentlichen Wahrnehmung fest. Die Grenzen nicht subventionierter Kunstproduktion konnten allerdings nicht überschritten werden. Der Verein ging in Liquidation, und Karin ­Müller, die bereits beratend tätig gewesen war, übernahm als „Karin Müller-Kunstconsulting“ zum 1. April 2000 das Theater.

Im Jahr 2008 beginnt das dritte Leben des Theaters. Die Sanierung des Hauses und der Umbau als künftiges Domizil der Musik­schule Lichtenberg werden begonnen. Das Erdgeschoss beherbergt ein Restaurant. Nunmehr ist das gewohnte Theatererlebnis mit Kulissenwechsel und Maske nicht mehr möglich.

Ab September 2009 ist das Haus mit Schülerinnen und Schülern, Lehrern und Eltern belebt, der Saal bleibt leer. Es gab viele Projekte für seine Nutzung, keines setzte sich durch oder ging vielleicht auf der buchstäblich Langen Bank „verloren“. Sie war mit der Neugestaltung der Freifläche vor dem Theater aufgestellt worden. Das Areal wird zu einem beliebten Treffpunkt und erhält den Namen Johannes-Fest-Platz. Er erinnert an den Karlshorster Einwohner, Volksschulrektor und Politiker Johannes Fest (1898-1960), der sich der Naziideologie konsequent widersetzte. „Ich nicht“, war sein Credo, und sein Sohn Joachim C. Fest wählte es als Titel für die Autobiografie seiner Kindheit und Jugend (erschienen 2006). 2017 gibt es wieder Neues. Eine private Initiative von ­Merten Mordhorst und Mario Rietz nahm sich der schwach gepflegten, manchmal geradezu verwilderten Pergola an und gestaltete sie zur „Theatergasse für Alle“ um. Am 21. Juni 2018 wurde sie eröffnet. Kurz zuvor hatte im April 2018 die HOWOGE ihre „Stiftung Stadtkultur“ gegründet, die sich auch der Belebung des Theatersaales widmen wird. Optimismus ist möglich.

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