Stephan Hähnel gesteht: Zittern mit dem Mörder ist erlaubt
Jean Paul Sartre hat es getan. Gottfried Benn auch. Bertolt Brecht vor allem. Sie taten etwas, was die Gemüter erregte. Sie lasen Krimis und bekannten sich dazu. In einer Zeit, als diese Lektüre als etwas Verpöntes galt. Etwas, worüber Geschmacksbildner und Bildungswächter die Nase rümpften. Zu Unrecht, denn Themen, Motive und Techniken sickern aus der Hochkultur ins Genre ein. Und dieses steht in einer Traditionslinie mit dem Siegeszug der Aufklärung, ist von den Anfängen des modernen Rechtswesens und vom Triumph der Naturwissenschaften geprägt. Dabei bezieht es zugleich Impulse aus der romantischen Erzählkunst und der spätromantischen Schauergeschichte. Was die zeitgenössischen Spielarten der „Bindestrich-Krimis“ wie Sozio-Krimi, Regio-Krimi und die Nähe zum Thriller beweisen: die Krimigattung geht mit der Zeit und sie übersteht die Zeiten.
Herr Hähnel, wie hat die Liaison mit dem Krimi bei Ihnen angefangen? Und wie ist aus der Anfangsfaszination eine unerschütterliche Beziehung geworden?
S. H.: Im zarten Alter von vierzehn Jahren habe ich mit dem Schreiben angefangen. Der Grund dafür war das gerade erwachte Interesse an Mädchen. Ärgerlicherweise stand ich im Sportunterricht lange Zeit an drittvorletzter Stelle, Tendenz wenig hoffnungsvoll. Gitarre konnte ich auch nicht spielen. Um Eindruck zu schinden, bedurfte es also einer grandiosen Idee. Ich hielt das Schreiben von Gedichten für eine solche. Allerdings blieb der erhoffte Erfolg aus. Einzig meine Deutschlehrerin sah mich mit anderen Augen. Aus den lyrischen Ergüssen entstanden Geschichten, die zunehmend schwarzhumorig wurden, und schließlich schrieb ich klassische Ermittlerkrimis. Ich bin nicht sicher, wer wen gefunden hat, das Genre mich oder ob ich den ersten Schritt gewagt habe. Tatsache ist jedoch, dass wir gut miteinander harmonieren. Da ich aber zuweilen fremd gehe, rein literarisch natürlich – ich schreibe nämlich auch gerne Kinderbücher – würde ich den Begriff der „offenen Beziehung“ bevorzugen.
Eine Beziehung besteht wohl auch zwischen der aufmerksamen Fangemeinde und der Detektivfigur, eine Art Wettlauf: Wer weiß als Erster, wer's war – so beispielsweise im klassischen „whodunnit“ bei Agatha Christie. Wie stehen Sie zu diesem „Strickmuster“?
S. H.: Der Krimi bietet grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten. Ein Verbrechen ist geschehen, oder ein Verbrechen soll geschehen. Hat ein Verbrechen stattgefunden, wird es untersucht. Das Puzzle wird zusammengefügt, der Täter erkannt und überführt. Die andere Variante beschäftigt sich mit einem geplanten Verbrechen, zeigt zuweilen schon den agierenden Täter, und nun wird alles getan, um es zu verhindern. In der Regel bediene ich mich der allmählichen Aufklärung und des schrittweisen Annäherns an den Täter nach einem Verbrechen. Um es dem aufmerksamen Leser nicht allzu leicht zu machen, spiele ich bewusst mit unterschiedlichen Erkenntnisständen, lasse ihn scheinbar mehr als den Kommissar wissen oder lasse den Kommissar ein wichtiges Detail aufdecken, ohne es dem Leser zu verraten. Manchmal ist der Täter dem Ermittler einen Schritt voraus, oder der Leser glaubt zu wissen, was passieren wird, kann aber nichts dagegen machen, und ein paar Seiten später kommt es dann doch anders als suggeriert. Eine der Hauptaufgaben für mich als Autor ist es, den Verdacht vom Täter abzulenken, falsche Fährten zu legen und die Leserschaft zu verleiten, die nächste Seite umzublättern.
Wenn Sie davon sprechen, zum Weiterblättern zu verleiten: Was ist für Sie eine spannungsmeisterliche Handlungsführung? Was sind Standardelemente eines gut geschriebenen Krimis? Man denke an einen Krimiautor wie Georges Simenon, der sich stets als „Handwerker“ verstanden hat.
S. H.: Das Genre gibt von sich aus Baustellen vor, die es abzuarbeiten gilt. So gesehen, gleicht ein Krimi auch einem Hausbau. Nun ist ein Krimi zwar nur bedingt mit einer Baustelle vergleichbar, obwohl sich auch dort Dramen abspielen können, aber auch hier baut ein Gewerk auf das andere auf. Manches kann parallel abgearbeitet werden. Anderes unterliegt der Reihenfolge. Zuerst bedarf es des Fundamentes, und zum Schluss kommt das Dach. Ein Krimiautor muss das auch beachten. Bei ihm sind es allerdings keine Gewerke, sondern er muss die klassischen W-Fragen beantworten. Was ist geschehen, wann, wo, wie, warum, und zum Schluss, wer war es. Die geschickte Beantwortung der Fragen, die richtige Reihenfolge und der damit einhergehende Erkenntnisprozess machen einen Roman spannend und interessant.
Sie sprechen den Erkenntnisprozess an. Ist der Krimi auch bei Ihnen eine Erzählung von scharfsinnigen Schlussfolgerungen und eine Anfeuerung des Verstandes wie bei Edgar Allan Poe als einem frühen Vertreter der Gattung? Könnte man den Krimi somit als kniffliges Kreuzworträtsel lesen?
S. H.: Ich denke, der Vergleich passt ganz gut. Das Problem ist jedoch, dass nicht nur eine Vielzahl von konkreten Fragen beantwortet werden muss, sondern dass diese noch gar nicht bekannt sind. Im Prinzip ist ein Krimi vor allem die Suche nach den richtigen Fragen.