Geschöpf-Titan-Mensch | Ludwig van Beethoven zum 250. Geburtstag

Wolfram Haack

Der Kopist Ferdinand Wolanek schrieb einmal an Ludwig van Beethoven: „Ich ersuche nur, mich mit jenen gemeinen Copiatur Subjecten nicht zu vermengen, die selbst bey sklavischer Behandlung sich glücklich preisen, ihre Existenz behaupten zu können.“ Beethovens Entwurf zu einer Antwort lautete: „Schreibsudler! Dummer Kerl! Korrigieren sie Ihre durch Unwissenheit, Übermut, Eigendünkel u. Dummheit gemachten ­Fehler, dies schickt sich besser, als mich belehren zu wollen. Denn das ist gerade, als wenn die Sau die Minerva lehren wollte.“ Das klingt wie der Anfang der Ouvertüre seiner Ballett­musik „Die Geschöpfe des ­Prometheus“. Bumm, Bumm, Bumm, Bumbumm. Concerto Brandenburg spielt sie in seinem diesjährigen Silvester-Festkonzert in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Das also ist „unser“ Beethoven. Humoral­pathologische Stereotypen passen dennoch keinesfalls zu dem „Titan“ der Musikgeschichte. Beethoven war Geschöpf der gesellschaftlichen Umstände seiner Zeit, ein Mensch! Was steckt hinter dem Wutausbruch, den sich Beethoven offensichtlich doch verkniffen hat? Ich mutmaße: Der Kopist Wolanek hatte die Arbeit an Beethovens 9. Sinfonie wiederholt mit Ausreden hinausgeschoben, aus Beethovens Sicht mies gearbeitet und unpünktlich abgeliefert, nein eben nicht einmal das – Wolaneck hatte geschmissen, und Beethoven stand da ohne Änderungen an Partitur und Orchesterstimmen! Ich gestatte mir als modernen Vergleich die Paketpost. Zusteller mit unmenschlicher Arbeitszeit und unwürdiger Bezahlung. Und wir ärgern uns natürlich zuerst über‘s Paket, das nicht kommt. Schlechte Arbeitsbedingungen und die nicht etwa nur gefühlte Geringschätzung der eigenen Arbeit haben Ursachen, denen man nur systematisch, will sagen, gesellschaftlich zu Leibe rückt. Da sitzen wir nun beisammen – Beethoven, Wolanek, mein Paketzusteller und Sie und ich – und beklagen den Istzustand der Gesellschaft. Wütend sein, ja. Warum nicht? Wie wäre es aber, die Wut im Zaum zu halten, weil ihre Ursachen zum geringsten Teil durch den Austausch von Unflätigkeiten zwischen den sichtbaren Kontrahenten abzustellen sind? Wenn wir versuchen, freundlich zu bleiben und empathisch, ist schon viel gewonnen. Freundlichkeit und vielleicht ein Tick Selbsironie sind die eine Seite, die andere ist die gesellschaftliche, die historische. Gegen das Verbot der antiken Götter kämpft Prometheus, der den Menschen in der Sage das Feuer bringt, erfolgreich! Er wird bestraft, was sonst? Aber das Feuer ist da, und man darf sich Polemik erlauben: „…musst mir meine Erde doch lassen steh‘n“, lässt Goethe seinen Prometheus sagen, „und meine Hütte, die Du nicht gebaut und meinen Herd, um dessen Glut Du mich beneidest….ich kenne nichts Ärmeres unter der Sonne, als Euch Götter.“ Kommt das bekannt vor? Was ist das? Neid von einem, der nichts hat und manches kann, auf einen mit unbegrenzten Möglichkeiten und Macht? Ist das Neid? Ist das unsympathisch oder gar ungerecht? Hier streiten sich Ungleiche mit ungleichen Mitteln. Deshalb ist Gleichheit zu fordern! Freiheit, Gleicheit, Brüderlichkeit.
Wenn wir älter und reifer sind und ein paar Sachen erlebt haben, blicken wir auf das Gelungene und das nicht so ganz Gelungene und können hoffentlich über uns ­selber lachen. Erich Kästner subsumiert den „Fortschritt der Menschheit“ wie folgt: „Da ­sitzen sie nun, den Flöhen entflohen, und es herrscht immer noch der selbe Ton, wie seinerzeit auf den Bäumen.“

Und warum heißt nun Beethovens dritte Sinfonie ausgerechnet „Eroica“ (Heroische Sinfonie)? Weil sie doch nicht Bonaparte heißen sollte, hat Beethoven das „intitolata Bonaparte“ (gewidmet Bonaparte) aus der Partitur radiert. Und warum hat er das gemacht? Weil der General Bonaparte sich die Kaiserkrone aufgesetzt hatte? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Zeitlich geht das nur sehr knapp, denn 1804 war die dritte Sinfonie schon fertig. Wahrscheinlicher ist, dass Beethoven und seine Verleger eine schmackige Widmung wollten, die potentielle (österreichische) Sponsoren zu mehr Engagement anspornt. „Bonaparte“? Das war doch ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Sabine Vitua, bekannt aus Theater, Film und Fernsehen, rezitiert im Silvester-Festkonzert 2019 Goethe und Kästner. Vitua verkörperte unter anderem in der preisgekrönten Sitcom „Pastewka“ die Figur der Managerin von Bastian Pastewka.

 


Königin-Luise-Gedächtniskirche
Mi 25.12. 17.00 Uhr
Auf preiset die Tage!
J. S. Bach: Weihnachtsoratorium – Kantate 1, mit dem Subito Chor der Zwölf Apostel Kirche und Concerto Brandenburg im Gottesdienst, Leitung: Christoph Hagemann,
Königin-Luise-Gedächtniskirche, Gustav-Müller-Platz, 10829 Berlin.
Eintritt frei, um Spenden wird gebeten

Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
31.12. 15.30 Uhr und 20 Uhr
Silvester Festkonzert 2019
Ludwig van Beethoven – Ausschnitte aus der Ballettmusik op. 43
Die Geschöpfe des Prometheus, Johann Wolfgang von Goethe – Prometheus, Erich Kästner – Die Entwicklung der Menschheit, Ludwig van Beethoven – Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur, op 55 – Eroica;
Concerto Brandenburg auf historischen Instrumenten, Sabine Vitua – Rezitation, Leitung: Christian-Friedrich Dallmann
Freie Platzwahl, Tickets 29, ermäßigt 19 Euro, alle Konzertkassen

 


Tickets:www.auris-berlin.de und in der Gedenkhalle im alten Turm der Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz (auch erm.) Koka Konzertkasse 030 61101313
Internet: www.koka36.de, www.classictic.com
https://silvester-festkonzert-berlin.de/trailer

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