Von wunderbaren Menschen

Hannelore Sigbjoernsen

Es ist wohl so, dass man beim Verlust eines liebenswerten Menschen darüber nachsinnt, wann und wo man sich eigentlich kennen gelernt hat. So erging es mir, als kürzlich eine liebe und langjährige Freundin verstarb, die über viele Jahre im Kulturring beschäftigt war, zuletzt noch im Medienpoint Pankow im Bundesfreiwillgendienst. Um eventuell noch anderen gemeinsamen Bekannten die traurige Nachricht zu übermitteln, ging ich die Listen durch, die ich mir während meiner Beschäftgung im Kulturring als Projektkoordinatorin angefertigt hatte, in denen Namen, Projekte und Einsatzorte der Mitarbeiter*innen vermerkt sind. Dabei fiel mir wieder auf, mit wie vielen wunderbaren, fleißigen und klugen Menschen ich das Glück hatte, gemeinsam zu arbeiten – in Spandau, Reinickendorf und zuletzt in Pankow.

Natürlich hat man nicht mehr zu jedem Namen das dazugehörige Gesicht vor Augen oder weiß, worin die Stärken oder Schwächen des einzelnen lagen. Mir fällt aber kaum jemand ein, der nicht engagiert mitgearbeitet hätte. Dass hie und da wieder zu lernen war, pünklich zu sein und Termine einzuhalten... Wer will es verdenken, wenn dem Wiedereinstieg in eine Arbeit oft eine lange Arbeitslosigkeit voraus ging. Waren die Projekte von allen Ämtern bestätigt, die künftigen Mitarbeiter*innen gefunden, startete eine neue „Maßnahme“ – wie es im Amtsdeutsch hieß – manchmal mit der Einrichtung der Arbeitsorte und -plätze. In Spandau holten wir Schreibtische aus altem Rathausbestand, für Reinickendorf das Notwendige aus einem Depot in Hohenschönhausen, nach Pankow lieferte die Arbeitsstelle meines Mannes Tische und Stühle. Niemand drückte sich oder fühlte sich zu schade zuzupacken. Schnell und zügig hatte jede/r den eigenen Arbeitsplatz gefunden und beim Einrichten geholfen.

Besonders gefragt waren natürlich diejenigen, die sich mit der PC-Technik auskannten. Bei weitem nicht alle waren beim Projektstart PC-sicher, schon gar nicht im Jahr 2007 im Projekt „58plus“. Wie viele Computer haben Ralf Gallinger und andere Könner ihres Fachs im Laufe ihrer Projektarbeit wieder zum Leben erwecken, wie viele verschwundene Dateien wiederfinden müssen, weil falsche Tasten gedrückt wurden? „Learning by doing“ lautete das Motto. Nicht nur für Ingrid Landmesser, die lernte, Filme am PC zu schneiden, was sie vordem am Schneidetisch perfekt beherrschte. Dass sie mit dem Schnittcomputer inzwischen nicht weniger professionell umgeht, belegen sowohl ihre Porträts von Bewohnern des St. Elisabeth-Stifts wie auch ihre Aufzeichnungen von Veranstaltungen in der Fotogalerie Friedrichshain. Es gab Mitarbeiter, die waren vor der Vermittlung in die „Maßnahme“ auf Baustellen beschäftigt. Sehr bald hatten sie den Fotoapparat so im Griff wie einst die Maurerkelle und schossen zum Beispiel tolle Pankow-Bilder. Das Wort „Datenbank“ war damals in aller Munde, wie sie aufzubauen war, wussten die wenigsten. Und trotzdem gelang es dem Team, einen Anfang für die Datenbank im Medienpoint Pankow zu entwickeln, in der heute die Berlin-Bücher gefunden werden können. Kaum jemand der Mitarbeiter*innen hatte sich vor Beginn des Projektes „pro regio Pankow“ mit der Geschichte des Bezirkes beschäftigt. Am Ende aber hatten alle Anteil daran, dass Ausstellungen und Publikationen entstanden, die viel öffentlichen Beifall fanden. Der Museumsbestand Pankows konnte um manche Dokumentensammlung bereichert werden. Eine Mitarbeiterin, die damals an der Aufbereitung der 100jährigen Geschichte der Bergmann-Elektricitätswerke beteiligt war, ist heute Vorsitzende eines heimatkundlichen Vereins in Pankow.

In keinem anderen Berliner Stadtbezirk ist die Geschichte des regionalen Runden Tisches Pankow und Buch und die der Kulturbundorgansation so gründlich recherchiert und dokumentiert worden, wie es in dem Projekt durch Haiko Hübner, Uwe Rittner und Iris Ebert geschah. Als uns für die Broschüre über den Pankower Kulturbund ein Titelblatt fehlte, konnte Tatiana Arsénie ihrer künstlerischen Passion folgen und fertigte eine Zeichnung des ehemaligen Kulturhauses „Erich Weinert“. Davon inspiriert, entstand eine ganze Serie von Bildern aus Pankow, die in mehreren Ausstellungen gezeigt und darüber hinaus publiziert ­wurden.

Mit großer Leidenschaft brachten ­viele Mitarbeiter*innen ihre Erfahrungen aus früherer beruflicher Tätigkeit in die Projektarbeit ein. Nach der Aufführung des Theaterstückes „Camille Claudel“ im damals gleichnamigen Gymnasium durch Schülerinnen und Schüler brach großer Jubel in der Schulaula aus. Die anstrengenden Proben unter Leitung von Slawa Meremianov hatten sich gelohnt. Er war Profi, hatte Regie studiert und forderte von den Jugendlichen vollen Einsatz. Viel Lob und ein Dankeschön gab es immer wieder auch für unseren gelernten Bühnentechniker, der an den Theaterinszenierungen von Sonnenuhr e.V. beteiligt war. Gern erinnere ich mich auch an Waltraud Sieg, die gemeinsam mit einem Kollegen im Max-Lingner-Archiv eingesetzt war. Sie brachten sich dort mit Sorgfalt und größtem Fleiß bei der Erfassung und Sicherung des künstlerischen Nachlasses ein. In der Zeit ihrer Tätigkeit in Niederschönhausen liegen die Anfänge der Gründung der „Max-Lingner-Stiftung“. Oder es fallen mir die von Gerda Zschiedrich gefertigten Übersetzungen russischer Erzählungen ein, die mehrfach öffentlich gelesen wurden. Noch heute übersetzt sie und organisiert Lesungen im Kino Brotfabrik. Sie hat manchen literarischen Schatz wiederentdeckt und gehoben.

Nur wenige Namen, nur wenige Beispiele werden hier genannt. Vieles könnte ergänzt werden, auch dass es wirklich einigen Teilnehmer*innen gelang, noch während oder nach Abschluss der Projektarbeit wieder eine Festanstellung zu erhalten oder dass sie bis heute dem Verein in ehrenamtlicher Arbeit treu geblieben sind. Ergänzt aber werden muss, dass sich aus einigen dieser „nur“ Arbeitsbeziehungen langjährige Freundschaften entwickelt haben und dass man sich bei jedem zufälligen Treffen gern und mit Freude an die gemeinsame Zeit erinnert.

Unsere Autorin ist seit vielen Jahren Mitglied im Vorstand des Kulturring in Berlin e. V.

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