Das Theater Karlshorst Zeitzeugen gesucht

Thea Briest

Zum Kulturring-Jahresthema „Generationen“

In den Kulturnews vom Dezember 2019 erschien ein Bericht über das Theater Karlshorst und seine Geschichte bis 2018. Das interessierte mich, weil ich 1995 und 1996 im Theater tätig war. Die Suche der Stiftung Stadtkultur im Frühsommer 2021 nach Zeitzeugen zur Theatergeschichte regte mich dann an, als solche über meine Tätigkeit im Theater zu berichten. Zwischen damals und heute sind 25 Jahre vergangen, und wer sich gegenwärtig um das Theater kümmert, könnte schon fast einer neuen Generation angehören. Auch der äußere Eindruck des Areals kann für zwei Generationen unterschiedlicher nicht sein. Noch 1995 war zum Beispiel das Theater von einem damals denkmalgeschützten Zaun umgeben. Heute ist es ein freier Platz mit einladenden Bänken.

Im Jahre 1995 bot mir das Arbeitsamt eine Tätigkeit als Buchhalterin in dem Projekt „SpielArt Theater am Bahnhof Karlshorst“ gemäß §249 des Arbeitsförderungsgesetzes an, befristet vom 1.9.1995 bis 31.7.1996. Die Vergütung war orientiert an dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT-O). Es war ein LKZ (Lohnkostenzuschuss)-Projekt mit dem Titel „Sicherstellung des Spielbetriebes im Theater Karlshorst“. Träger der Maßnahme war der „Künstler für Kinder e. V.“, Vereinspräsident war 1997 Wolfgang Lippert. Der Vorstand bestand aus Monika Ehrhardt (Ehefrau von Reinhard Lakomy), Lotar Tarelkin und Ulrich Schulze-Rossbach. Reinhard Lakomy war Mitglied im Verein. Die Vereinsadresse lautete: Theater Karlshorst, Treskowallee. Das Theater Karlshorst wurde nach Übereignung an die BRD 1994 von der „Theater am Bahnhof Karlshorst GmbH & Co. KG“ betrieben. Diese Betreibergesellschaft entstand aus dem Kollegenkreis des abgewickelten Palastes der Republik, der seit 1991 das Theater Karlshorst in Zusammenarbeit mit der sowjetischen Eigentümerseite mit Leben erfüllt hatte. Geschäftsführer war 1995 Peter Seeber. Zu den Beteiligten gehörte die Online-Media-Kindershow GmbH.

Im Projekt SpielArt waren wir fünf Kollegen, nämlich die Projektleiterin, ich als Buchhalterin, ein Elektriker, ein Grafiker und eine weitere Kollegin. Unsere Leiterin kam vom Kulturbund Berlin und kannte sich aus in der Kulturszene. Als Buchhalterin war ich zugleich ihre Vertretung. Wir organisierten die verschiedensten Veranstaltungen für Kinder, Senioren, Familien oder auch andere. Es fanden Kinovorstellungen statt, die dann von Kitas oder auch Schulklassen besucht wurden. Auch Bastelveranstaltungen für Kinder fanden statt. Die Finanzierung des Projektes SpielArt war durch Fördermittel der Bundesanstalt für Arbeit und durch weitere Förderungen des Sozialpädagogisches Instituts Berlin (SPI) gesichert. Außer den Gehältern mussten Fixkosten, Verbrauchsmaterialien und Honorare bezahlt werden. Für die Nutzung des Saales für von uns organisierte Veranstaltungen wurden jeweils Mieten an die Betreibergesellschaft bezahlt. Wurde der Saal von anderen Veranstaltern genutzt, konnten wir Miete einnehmen. Eigenmittel entstanden auch durch Eintrittsgelder für die von uns organisierten Veranstaltungen. Wir waren verantwortlich für alle notwendigen Arbeiten im Zusammenhang mit den Veranstaltungen. Das bedeutete, dass wir auch die Garderoben abnahmen und aushändigten, den Einlass überwachten, Eintrittsgelder kassierten, ggf. auch Kartenvorverkäufe tätigten oder Flyer für besondere Veranstaltungen verteilten. Man lernte vieles kennen, musste schnell umschalten und sehr kooperativ sein, vor allem bei besonderen Anlässen.

Im November 1995 probten die Puhdys eine Woche im Theater. Daraus ergaben sich zusätzliche Aufgaben zur Betreuung, nichts Ausgefallenes, sage ich aus heutiger Sicht. Und andererseits, wer hatte schon die Gelegenheit, den Puhdys beim Proben zuzuhören? Ich ging einmal hinauf zu den Beleuchtungsbühnen und konnte zuhören, denn ihre Musik mochte und mag ich sehr. Meine Chefin organisierte ein Autogramm für mich.
Eine ganz besondere Veranstaltung, an die ich mich erinnere, war der 50. Geburtstag von Reinhard Lakomy am 19. Januar 1996, den er im Theater feierte. Es waren viele Gäste gekommen. Ich hatte Aufsicht, musste aufpassen, dass niemand in den Teil der Büroräume gelangte. Reinhard Lakomy trat natürlich auf, und ich glaube auch andere Gäste. Ebenso erinnere ich mich an eine Show mit wunderbar als Tiere verkleideten Personen mit dem Titel „Eddy’s lustige Tierparade“. Veranstalter war die bereits genannte Media On-line Kindershow GmbH.

Zum Zeitzeugeninterview 2021 gingen wir zu zweit: Frau Peter kam mit mir, eine Geschichtsfreundin, die in den 1970er Jahren viele Veranstaltungen im Theater Karlshorst besucht hatte und sich daran noch heute mit Begeisterung erinnert. Eine Mitarbeiterin der Stiftung Stadtkultur empfing uns am früheren Kulisseneingang. Sie zeigte uns den Theatersaal, und wir standen dann noch einmal auf der Bühne. Sie erzählte uns, dass das Theater renoviert werden soll. Dabei sei der Saal so umzugestalten, dass er für verschiedenartige Veranstaltungen nutzbar wird. Dazu soll das festmontierte Gestühl entfernt und ein variabel auf- und abbaubares Gestühl zur Verfügung stehen. Die bisherigen Sitze sollten anderen interessierten Unternehmungen gespendet werden, was zum Teil auch schon geschehen war. Das hörte sich verständlich an. Allerdings waren wir zunächst schockiert über den Anblick des Saales.Von den wunderbar bequemen Sitzen waren nur noch in den letzten Reihen einige gestapelt vorhanden. Der früher von der Bühne nach hinten hin ansteigende Parkettfußboden, der auch in den letzten Reihen noch einen guten Blick auf die Bühne ermöglichte, war nicht mehr da. Der Boden bestand nur aus einer ebenen Fläche mit dunklen, alten Dielen.

Nach dem Blick in den Saal wurde zu Interviews gebeten. Daraus soll dann ein Hörbuch mit den erzählten Erinnerungen der Zeitzeugen entstehen. Die beiden damit Beauftragten stellten sich als Veranstaltungsorganisatorinnen vor und formulierten ihre Fragen so, dass sie steuern konnten, welcher Art Berichte sie gern hören wollten. Bei dem ersten telefonischen Kontakt zum Interview erwähnte ich, dass ich in einem ABM-Projekt tätig war, was vom Verein „Künstler für Kinder“ getragen war. Ich berichtete, dass in diesem Verein zum Beispiel Reinhard Lakomy Mitglied war. Von diesem Musiker war ihr aber nichts bekannt. Deshalb nahm ich drei Schallplatten von Reinhard Lakomy mit, um zu zeigen, was er für Musik machte. Leider waren die beiden Interviewerinnen aber nicht interessiert, mehr über Reinhard Lakomy zu erfahren. Statt dessen fiel mir während des Interviews auf, dass die Fragen auf interessante, heute scheinbar publikumswirksame Berichte oder nette Episoden abzielten. Zur Feier von Reinhard Lakomy anlässlich seines 50. Geburtstages, zu der viele Gäste gekommen waren, kamen Frage, wie: Was hatten die Gäste so an? Gab es was zu essen und zu trinken? Was wurde getrunken? Wurde getanzt? Die Feier war aber eben keine ­Party, wie man sie sich heute bei den jüngeren Leuten vorstellt und über die im Fernsehen öfter kurze Videospots gesendet werden. Zu unserer Tätigkeit als Garderobièren kam auch die Frage: Gab es mal besondere Vorfälle oder Episoden bei der Entgegennahme oder Ausgabe der Garderobe? Die gab es aber nicht. Da ich erwähnte, dass die Puhdys im November 1995 im Theater eine Woche übten, wurde gefragt: Wie sah die Bühne aus, wie waren die Musiker so? Aber ich musste sie enttäuschen, denn die Bühne war gar nicht ausgestaltet, es wurden die Musikinstrumente aufgebaut und dann wurde geübt (es waren wohl Proben für das alljährlich übliche Neujahrskonzert). Wir brachten der Band Kaffee, wenn sie Pause machte. Also spektakuläre Berichte im Sinne der Interviewerinnen konnte ich nicht liefern.

Was bleibt als Fazit? Ich war über die Fragen im Interview etwas enttäuscht, hatte ich doch angenommen, dass die inhaltlichen Konzepte solcher Vereinsprojekte interessant wären. Ich hoffte, dass aus dieser Erfahrung Hinweise für die Arbeit an einem Projekt zur Wiederbelebung des Theaters Karlshorst gewonnen werden sollten. Über Äußerlichkeiten, wie sie im Interview erfragt wurden, machten wir uns keine Gedanken. Wir hatten mit der Organisation und Durchführung der Veranstaltungen zu tun. Diese sollten ein Erfolg werden, und Erfolge gab es, denn Veranstaltungen fanden statt und wurden gut besucht! Das war ja das Ziel und ist es, denke ich, auch heute. So überlege ich, ob die Fragen, die uns gestellt wurden, tatsächlich helfen können, ein wirkliches Bild der Veranstaltungen im Theater Karlshorst hinsichtlich ihrer Zielstellungen, ihres künstlerischen Gehalts usw. für die Nachwelt zu erhalten und Anregungen für die Zukunft zu liefern. Lassen wir uns überraschen.


Für die Hilfe und Unterstützung bei der ­Arbeit an diesem Beitrag danke ich Geschichtsfreund Michael Laschke sehr herzlich.

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