Sind Zeitzeugen die natürlichen Feinde des Historikers?

Das Buonarroti-Archiv: Ein Projekt des Vereins für zeitgeschichtlich-biografische Dokumentation

Unser Namenspatron Filippo Buonarroti war als glühender Sozialist und Zeuge seiner Zeit einer der Wenigen, die aus eigenem Erleben später über alle Phasen der Französischen Revolution berichten konnte. An der Entwicklung des revolutionären Geschehens im innersten Zirkel beteiligt, wurde er schon sehr bald geächtet und verbannt. Im Gegensatz zu den meisten anderen führenden Persönlichkeiten überlebte er allerdings die Revolution und konnte daher später über die Schrecken und Deformationen dieser Umwälzung persönlich Zeugnis geben.

Die Arbeit unseres Vereins begann 2012 mit dem Zusammenschluss geschichtlich interessierter Menschen aus Kultur, Kunst und Technik. Ziel ist es seitdem, interessanten Persönlichkeiten aus diesen Bereichen durch die Schilderungen ihrer Biografie die Möglichkeit zur ausführlichen Reflexion und Einordnung ihres Lebens zu geben. Es entstehen Interviews, die die gesellschaftlichen und privaten Weichenstellungen im Lebenslauf von Befragten beispielhaft und anschaulich interessant sichtbar machen. Der Zeitraum der Berichte reicht teilweise von den Brüchen der Machtergreifung des Nationalsozialismus über das Ende des Hitlerfaschismus, die Nachkriegsentwicklung der DDR und den Verwerfungen der deutschen Vereinigung 1990 bis in die Gegenwart. Beispielhaft dafür kann der Rückblick auf das lange Leben im Interview mit Prof. Moritz Mebel gelten. Er kam mit kriegsbedingt unterbrochenem Medizinstudium und als Antifaschist mit der Roten Armee 1945 zurück in das zerstörte Nachkriegsdeutschland, arbeitete in der DDR als Urologe und baute dort später maßgeblich die Transplantationsmedizin auf. Seine politische Entwicklung führte ihn bis in das Zentralkomitee der SED.

Für die Darstellung häufig sehr komplexer Lebenswege mit vielen Widersprüchen und Brüchen geben wir Raum und Zeit. Dabei unterstützt Stefan Körbel die Gesprächsführung durch präzises Nachfragen zu den vom Interviewten angesprochenen Themen der Biografie. Voraussetzung dafür sind eine umfassende Vorbereitung des Gesprächs, Sachkenntnis in Geschichte und Zeitumständen und Empathie. Seit dem Start der Vereinsarbeit haben wir Gespräche mit vielen Kulturschaffenden, Künstlern, Publizisten, Ingenieuren und Technikern geführt. Genannt seien als Beispiele Interviews mit dem Architekten Bruno Flierl, der Schauspielerin Carmen Maja-Antoni, dem Tonmeister Peter Nölle und der Sängerin Ruth Hohmann. Durch unseren Vereinssitz in Berlin-Treptow und die überwiegend ostdeutschen Mitglieder unseres Vereins waren wir bisher stark auf Biografien mit Prägung durch die DDR spezialisiert. Die Erweiterung der Interviews auf Gesprächspartner aus Gesamtdeutschland war mit Beginn im Jahr 2020 geplant – vor Corona. Die Gespräche werden von uns aufgenommen, als Videos bearbeitet und archiviert. Die Arbeit erfolgt ausschließlich ehrenamtlich und kostenfrei.

Seit Februar dieses Jahres engagiere ich mich, vermittelt durch den Kulturring, im Bundesfreiwilligendienst und unterstütze die Vereinsarbeit, vor allem bei der Koordinierung der Aufgaben, der Vervollständigung und technischen Aktualisierung der Zeitdokumente, der Spendenakquise und der technischen Aufnahme und Nachbearbeitung der Videos. Dabei streben wir stets höchsten technischen Standard an, so dass für den Betrachter die volle Konzentration dem Gesprächsteilnehmer gelten kann. Sollte es also im Sinne der Eingangsthese einen Widerspruch zwischen Zeitzeugen und der Arbeit von Historikern geben, so nehmen wir ihn bewusst an. Zeitzeugen machen Geschichte erlebbar und aus persönlicher Sicht verständlich. Sie sind für uns die Brücke für die Erfahrungsweitergabe von Zeitgeschehen an nachfolgende Generationen. Wir geben mit unserer Arbeit allen geschichtlich Interessierten die ausführliche Möglichkeit zum Kennenlernen von Biografien und persönlichen Eigendarstellungen der gesellschaftlichen und privaten Lebensumstände interessanter Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts.

Weitere Informationen unter: https://buonarroti-archiv.de

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