Kiezatlas – vom Pixel zur Gestaltung der Lebenswelt | Ein Projekt der kulturellen Bildung in Berlin Friedrichshain

Anja Bodanowitz, Oscar Mauricio Ardila Luna

In einem der am dichtesten besiedelten Bezirke Berlins, in Friedrichshain-Kreuzberg, werden Freiräume im öffentlichen Raum immer begrenzter. Der sogenannte Rudolfkiez (auch Stralauer Kiez, zwischen Warschauer Straße, Ostkreuz und Stralauer Allee) ist ein Gebiet, das sich schnell wandelt. Viele Orte sind nicht mehr frei zugänglich oder an kostenpflichtige Angebote gekoppelt. Es eröffnet sich die Frage: Welche öffentlichen Räume bleiben gerade für Kinder und Jugendliche zugänglich, wie können sie genutzt werden, und welche Möglichkeiten der Mitgestaltung gibt es? In einem Bündnis, bestehend aus dem Kulturring in Berlin e.V., der Kinderfreizeiteinrichtung „Nische“ und der Emanuel-Lasker-Oberschule (Freibeuter 2010 e.V.), gefördert durch die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) e.V., wird seit 2018 für einen Zeitraum von zwei Jahren das Projekt „Kiezatlas“ durchgeführt, welches sich an Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 16 Jahren richtet. Innerhalb dieses Projektes werden Kinder und Jugendliche mittels künstlerisch-ästhetischer Methoden ermuntert, sich mit ihrem Lebensraum aus ihrer eigenen Perspektive auseinanderzusetzen und diesen mittels temporärer künstlerischer Interventionen zu gestalten.

Ausgangspunkt des Projektes ist die Perspektive der Teilnehmenden auf den Stadtraum und ihre Positionierung in diesem. Künstlerische Methoden werden durch sie mitentwickelt und sind somit Ausdrucksmittel für ihre Ideen und Meinungen. Schnell ergab sich im Projektprozess, dass die Teilnehmenden ein großes Interesse an technischen Zusammenhängen hatten. Somit entstand eine interdisziplinär angelegte Arbeitsweise. Künstlerisch-ästhetische Methoden verbanden Kunst, Technik und Stadtentwicklung. Verschiedene Orte im Kiez wurden unter unterschiedlichen Aspekten betrachtet, untersucht und temporär gestaltet. Ein Aspekt dieser Untersuchung war der Ausgangspunkt: der „Pixel“ als Methode der Lebensraumanalyse. Pixel wurden als eine imaginäre und kleinste Einheit des Kiezes begriffen. Aus dieser Perspektive heraus ergab sich die Fragestellung, wie man diesen Kiez ändern kann und wie Einheiten neu zusammengesetzt werden können. Pixel als Gestaltungsgrundlage, als Grundlage der Programmierung wurden gleich gesetzt mit dem Entwurf eines konkreten Ortes. Pixel wurden betrachtet wie einzelne Bausteine, die neu angeordnet werden können. Mit diesem Blick wurden Orte wie Bildausschnitte temporär neu gestaltet. Medien der Umsetzung waren Zeichnungen, Frottagen, Fotografien, Modelle, Mappings, temporäre Land-Art und Street-Art-Installationen.

Vor allem die älteren Teilnehmenden waren sehr an der Untersuchung der Verbindung zwischen fiktiven und realen Räumen interessiert. Die Erforschung des kontrollierten öffentlichen Raums, die Gestaltungsmöglichkeiten von fiktiven technischen Räumen und die Initiierung der Interaktion zwischen diesen Räumen als aktive künstlerische Handlung standen hier im Mittelpunkt des Arbeitsprozesses. Es wurden selbstprogrammierte Geräte und Installationen entwickelt, die mittels Sensoren auf spezifische Faktoren ihrer Umgebung reagieren. Raum wurde somit auf festgelegte Aspekte hin untersucht (z. B. Licht, Feuchtigkeit). Die Geräte bzw. Installationen reagierten mittels ausgewählter Aktionen auf diese Faktoren. Verschiedene Aspekte des Raums wurden ausgewählt und hervorgehoben, auf die die Sensoren mit einer gesteuerten Aktion reagierten. Eine Verbindung zwischen Stadtraum, -natur und künstlerischer Handlung wurde durch die Geräte geschaffen. Sensoren-gesteuerte Installationen, wie Wasserskulpturen und -systeme, Installationen, die auf Feuchtigkeit und Licht reagierten, wurden entwickelt. Methoden des Arbeitsprozesses waren Zeichnungen, Fotografien, Dioramen, Arduino-Programmierungen (freie Hard- und Software-Plattform), die Entwicklung von temporären Installationen. Im Mittelpunkt des Projektes stehen also Kommunikationsplattformen, die auf der Grundlage von ästhetisch-künstlerischen Recherchen des Lebensumfeldes entwickelt wurden. Die Kommunikation und das Interagieren mit dem Lebensumfeld ist somit Handlungsgrundlage. Die verstärkte Einbindung des Sozialraums mittels ästhetischer Analysen und temporärer Rückgewinnungen durch künstlerische Gestaltungen erlauben den Kindern und Jugendlichen einen Perspektivwechsel in der Nutzung des öffentlichen Raums – und zwar als Handlungsraum. Langfristiges Ziel des Projektes ist es, die Teilhabe von Jugendlichen an gesellschaftlichen Prozessen gezielt umzusetzen.

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