Literatur als Lebensmittel

Martina Pfeiffer

Medienpoint Steglitz als Knoten- und Anlaufpunkt in widriger Zeit

Ein Montag, Ende Januar 2021: Ellen ­Stutterich, seit vierzehn Jahren im Medien­point Steglitz tätig, inzwischen als Rentnerin ehrenamtlich, nimmt die ankommenden Bücher entgegen, sortiert sie nach Sparten, stellt sie ein. Die gegenwärtige Lage im Medienpoint und den angegliederten ­Bücher­tischen schildert die langjährige Mitarbeiterin wie folgt: „Derzeit sind wir corona­bedingt vollkommen anders organisiert: Abstand, Masken, und alles muss sehr schnell gehen. Jetzt gilt: möglichst nicht aufhalten. Stöbern oder Schmökern, längere Unterhaltungen, das alles ist nicht mehr drin.“

Nun bleibt die Sitzgelegenheit, die zum Ver­weilen einlädt, ungenutzt – weil sie zum Ver­weilen einlädt. Der Reiz vorher war „die Zeit, die man sich für die Kunden nimmt, die Auswahl, die man trifft und die Rückmeldungen, die man bekommt.“ Vorher, das heißt vor Corona, vor dem folgenschweren Wüten eines Virus. Derzeit dürfen nicht mehr als zwei Kunden gleichzeitig im Laden sein, die maximale Aufenthaltsdauer liegt bei zwanzig Minuten. Das reicht gerade, um die Bücherreihen entlang zu gehen und sich den einen oder anderen Band herauszuziehen. Eingehende fachliche Betreuung gestaltet sich in der verknappten Zeit schwierig.

Einen Großteil ihrer Kunden im Medienpoint kennt Ellen Stutterich schon länger und damit auch die Interessengebiete und das Leserverhalten. Gerade hier sind pandemiebedingt einige Veränderungen im Gange. Lange waren historische Romane beliebt und insbesondere auch Thriller à la Sebastian Fitzek. Seit dem zweiten Lockdown allerdings greifen die Buchliebhaber*innen im Medien­point eher zu Fachbüchern über Geschichte und Reisen, zu Ratgeberliteratur, aber Humor und Belletristik gehen nach wie vor gut. Kleine Fluchten aus der Corona-Misere in die alternative Welt literarischer Fiktion? In eine Als-ob-Realität, die den im Zuge der Pandemie erlittenen Verlust an Lebensqualität mildern kann? Beträchtliches hat die Literatur als Lebensmittel zu geben in einem Ausnahmezustand, den viele ohne sie als umfänglich lähmend empfänden.

Seit Wochen ist das zehnköpfige Team mit dem Phänomen „abgesagter“ Büchertische konfrontiert: „Laib und Seele“ konnte vormals drei Büchertische anbieten, die der Kulturring bestückte, in Lankwitz, Lichterfelde und Steglitz. In Coronazeiten gibt es den einen in Steglitz. Hierher kommen viele Familien, Kinderbücher werden gleichbleibend gerne nachgefragt. Statt zweier Büchertische der „Suppenküche“ in Zehlendorf und Steglitz findet der Bücherwurm (sei er männlich, weiblich oder divers) jetzt den einen in Zehlendorf vor. Aktuell wird in zwei Schichten gearbeitet, mit Ladenzeiten von 9 bis 17:45 Uhr, der Publikumsverkehr im Medienpoint und an den verbliebenen Büchertischen ist rege. Einer der Mitarbeiter, Thomas Bruntzlow, findet für den Medienpoint Worte, die dessen Stellenwert im Kiez auf den Punkt bringen: „Eine Wohlfühloase, wo jederzeit ein kleiner Plausch möglich war.“

Der Medienpoint Steglitz und seine Büchertische, die Bereitstellung von Print-, Ton- und Bildmedien, die vereinten Kräfte des Teams sind in widriger Zeit wichtiger denn je. Trotz oder gerade wegen Corona planen die meisten Kunden die Büchersammlungen auch weiterhin in ihre Freizeitgestaltung ein. Sie tun dies, um sich nach dem Gang zum Medienpoint daheim eine Mußestunde oder länger von einer Lektüre unterhalten zu lassen, welche auch in der Dauerkrise grooven und swingen lässt.

Medienpoint Steglitz
Deitmerstraße 8, 12163 Berlin

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