Vom Bestaunen erstarrter Wunder

Martina Pfeiffer

Ein Streiflicht auf die Ästhetik von Mineralien und Fossilien

Der Mensch beneidet sie um ihre Dauerhaftigkeit, ihre erhabene Ausstrahlung, ihre „steinerne“ Ruhe, beneidet sie, weil sie der Zeit und ihren Unbilden eine Idee von Unsterblichkeit entgegensetzen: Steine. In einer wandlungsbeschleunigten Welt wie der unsrigen sind Steine die stillen Stars. Und auch für jene, die nicht über die einschlägige wissenschaftliche Expertise verfügen, entfalten Steine ihren Zauber. Wer die Achatknolle zerbricht, dem eröffnet sich bei bestimmten Exemplaren ein Feuerwerk explodierender Chrysanthemen. Den Blick gefangen nimmt nicht minder das abgründige Violett der Amethyste. Wiederum anders gibt sich der Beryll, mit seinen längsgestreiften Prismen, in durchsichtigstem Weiß. Mit Einschlüssen von kleinen Pflanzenteilen oder Insekten kann der honiggelbe Bernstein, das Harz urzeitlicher Bäume, aufwarten. Streng genommen ist er gar kein Stein, gleichwohl bildet er eine eigene Mineralgruppe, die im Ostseeraum, an der Küste von Rügen etwa, anzutreffen ist.

Einstiges organisches Leben kann nicht nur in Bernstein eingeschlossen über­dauern. Im Laufe geologischer Zeiträume ist Schicht- bzw. Ablagerungsgestein entstanden, das man Sediment nennt. Am Ende des Prozesses der Fossilwerdung eines Lebewesens bleibt seine „Steinkopie“ im Sediment erhalten. Der Fossiliensammler, das Innere von Sedimenten ergründend, setzt auf gezieltes Nachforschen durch geplante Grabungen, aber eben auch auf „König“ Zufall, beispielsweise während eines Strandspaziergangs. Ganz gleich, ob geschulter Profi oder passionierter Laie: Wenn ein Fund „glückt“, geht das Sammlerherz auf. Untersuchen wir die Funde, so künden sie uns von weit zurückliegenden Erdzeitaltern, erkennen wir abenteuerliche Zusammenhänge und Entsprechungen. Die Zeugnisse prähistorischen Lebens erzählen von urzeitlichen klimatischen Einflüssen und tektonischen Veränderungen, von Urozeanen und versunkenen Landflächen, aber auch von unbekannten Spielformen des Lebens und „Bildnissen“, die durch ein Wunder dingfest geworden sind.

Steine sind die festen Größen in den Verzeichnissen der Zeit. Ihre ­Entstehensprozesse erzeugen je andere Formen: Schichtungen, Knollenartiges, Kantiges. Dem aufmerksamen Sinn offenbaren sich ­ausgewogene, ebenmäßige Strukturen einerseits, die Unwahrscheinlichkeiten des Bizarren andererseits. Es sind Naturgestaltungen darunter, denen beim Menschen womöglich allein die Potenzen von Traum und Fantasie nahekommen. Diesen verschwenderischen, ästhetisch anmutenden Hervorbringungen der Natur hat man nicht selten einen bild- oder zeichenhaften Charakter zugeschrieben. Manche mögen sich bei ihrer Betrachtung an menschliche Schriftzüge, an die Kunst eines meisterhaften Kalligraphen, erinnert fühlen. Wieder andere an Elemente der gegenstandslosen Malerei mit ihren geheimen Spuren und Zeichen, ihren biomorphen Motiven und Tachismen. Im Beieinander von Natur und Kultur schließt sich der Ring.

Und wir sind irgendwie auch beim Kulturring. Seit 1973 kommt die Kulturbund-Fachgruppe Paläontologie am Museum für Naturkunde Berlin in regelmäßigen Abständen zusammen. Außerdem trifft man sich zu Exkursionen. Wer sich für fachbezogene Themenbereiche von der Grabung über die Altersbestimmung eines Fossils bis zu seiner Präparation fasziniert, ist mit Sicherheit in dieser Gruppe gut aufgehoben. Deren Mitglieder aus unterschiedlichsten Berufen sind allesamt begeisterte Hobby-Fossilien­sammler. Die interne Publikation der Fachgruppe mit dem Titel „Fossilien und Geschiebe“ vom Januar 2021 bringt den Leser*innen einzelne Aspekte, seien es die Varianten des Feuersteins oder die Fossilienfunde von Brückenechsen u. v. m., mittels einer reichen Bebilderung nahe. Die Autoren glühen für die Sache und erhellen den jeweiligen Forschungsgegenstand in fasslicher Darstellungsweise.

www.kulturring.berlin/palaeontologie

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