Gemeinsames Handeln wird uns ändern …

Dario J. Laganà

Einen Job finden, einen Job verlieren, aufhören zu arbeiten, den Job wechseln, mit dem Job unzufrieden sein, mit ihm glücklich sein, Angst haben, den Job zu verlieren. All das sind Alternativen, die uns verbinden, unabhängig davon, in welchem Land wir leben und wie unsere Geschichte aussieht. Die Entscheidung, Arbeit als Grundlage für ein Projekt zu wählen, ist kein Zufall, sondern soll eine komplexe Angelegenheit, die eine sehr gründliche Kenntnis der Geschichte, nicht nur der deutschen, erfordert, mit einem einfachen Schlüssel versehen. Ich wollte das Ganze näher mit den Geschichten der Menschen als mit der Geschichte der Länder verknüpfen.

Vor einiger Zeit fragte mich jemand in einer Diskussion über Obdachlose, wie wir gemeinsam handeln können, wie wir anfangen können, soziale Probleme anzugehen und wie wir Menschen integrieren können. Es ist ganz klar, dass meine Antwort nur für mich gelten kann, weil es letztendlich nicht meine Aufgabe in der Gesellschaft ist, Antworten für andere zu geben. Was ich damals gesagt habe und was ich immer noch als meine aufrichtigste Antwort betrachte, ist, dass wir anfangen müssen, uns einzeln miteinander zu beschäftigen, mit Menschen auf menschliche Weise zu sprechen, indem wir in der einzig möglichen Sphäre interagieren, der persönlichen, geleitet von Neugier, dem Willen zu gemeinsamem Handeln und in der Gewissheit oder zumindest im Bewusstsein, dass wir die Dinge nicht ändern werden, aber wahrscheinlich dieses gemeinsame Handeln uns ändern wird.

In diesem Sinne habe ich dieses Projekt organisiert und konnte die Leute einfach bitten, sich fotografieren zu lassen, ohne mich angehen oder Fragen stellen oder interagieren zu müssen. Stattdessen habe ich mich für Porträts von Menschen entschieden, mit denen wir uns gerade unterhalten, und nicht für gestellte Porträtaufnahmen (mit dem Risiko, dass der Abstand zwischen den Menschen zunimmt). Dieses Projekt entstand und wuchs aus reiner, egoistischer Neugier heraus. Die Fragen, die ich stellte, begannen mit einem Fragebogen des Historikers Gianluca Falanga. Dazu kamen dann meine eigenen Fragen, manchmal grammatisch falsch, machmal banal, aber immer geleitet von der Idee, etwas mehr verstehen zu wollen, ohne Urteil, ohne ideologischen Hintergrund, als ein Ausländer.

Es gibt Geschichten über Rache, Misserfolg, Wetten und auch einen Ausgangspunkt für mögliche andere Geschichten. Ich möchte anderen die Gelegenheit geben, meinen Spuren zu folgen, meinen Erfahrungen nachzuspüren, denn das Außergewöhnliche dieser Geschichten liegt in der Tatsache, dass es sich um Geschichten von Menschen handelt, die sich an eine Veränderung anpassen mussten, die sie manchmal wollten, manchmal erlitten als unvermeidliche, aus der Geschichte im Großen resultierenden Folge für ihr Leben. Zu Beginn des Projekts war ich überzeugt, dass dieser Bruch in der Gesellschaft ein sauberer Bruch war, der sehr schnell stattfand und dass die Menschen schnell in ein anderes Leben gesprungen waren. In Wirklichkeit begegnete ich jedoch Orientierungslosigkeit, einer ständigen Anpassung über mehrere Jahre hinweg, einer tiefen Fraktur, bei der es schwierig ist, die Teile in kurzer Zeit wieder zusammenzusetzen.

Ich war auch überzeugt, dass dieses Projekt sehr weit von meiner Forschung entfernt war, es war ein Fotografie- und Geschichtsprojekt. Stattdessen stellte sich heraus, dass es sich nach DEAF (taub - sordo) (2012) und Chunks of Soul (2016) erneut um ein Projekt zur emotionalen Entropie handelte, das sich in einem völlig anderen, jedoch unerwartet nahem Zusammenhang befand. Die Vorstellung, dass in einem ruhenden System ein sehr starkes Ereignis eintritt, auf das wir reagieren und das in uns eine Energie freisetzt, die sich entwickelt und schließlich das System wieder zur Ruhe bringt. Ich interessiere mich für den Zeitabschnitt zwischen Aktion und Reaktion, in dem wir uns, unseren Körper, selbst nicht kontrollieren können, wo wir selbst von unseren Aktionen überrascht sind. In diesem Fall war der Zeitabschnitt für viele Menschen ein Großteil der Neunzigerjahre. ...
Ich habe dieses Projekt immer auch als eine Möglichkeit angesehen, die wir uns selbst geben müssen, um die Tragödien und Erwartungen derer zu verstehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt sich alles unter ihren Augen verändern sehen, wo die Gewissheiten, die bis gestern da waren, so schnell verblassen, dass wir erschrocken zurückbleiben. Wie man einen Dialog aufbaut, darüber spricht, ist von grundlegender Bedeutung, um weiterhin die Geschichten anderer zu verstehen, derer, die ihren Job verlieren, ihre Heimat verlieren und derer, die hierher kommen, mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft oder mit Hoffnung generell. Wir sind eine privilegierte Gesellschaft, und von diesem Privileg ausgehend, sollten wir entscheiden, wie wir mit dem, was wir haben, umgehen wollen. Wir haben das Glück, mehr zu haben. Wir müssen in der Lage sein, es zu sehen, zuzuhören und zu teilen.
Quelle: https://norte.it/due
Übersetzung: I. Knechtel

Im Rahmen des Jubiläums 30 Jahre Mauerfall portraitiert der italienische Fotograf Dario J. Laganà Menschen, deren Berufsleben sich nach der Wende radikal verändert hat. Laganà hat nach ausführlicher Recherche zur Arbeits- und Industriekultur in der DDR und in der Nachwendezeit einige dieser Menschen besucht. In der Ausstellung „Deutschland Übergestern“ in der Fotogalerie Friedrichshain rekonstruiert er in fotografischen Portraits und Interviews eine Reihe von diesen persönlichen Lebenswegen, die dem Leser und dem Betrachter diesen Teil der deutschen Geschichte und deren Prota­gonisten näher bringen.

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