Mit der Leichtigkeit eines Tänzers | Bernd Grünheids Leidenschaft für die Kultur

Heike Avsar

Es wird langsam kühl, der Abendhimmel kündigt sich bereits an, als wir uns am Esstisch seiner neuen Wohnung gegenübersitzen: Bernd Grünheid, Projektleiter des Rosa-Winkel-Teams beim Kulturring, der sich trotz Umzugsstresses und Wohnungsumbaus, in dem er seit Wochen steckt, mit beneidenswert gekannter Ruhe Zeit für meine Fragen zum geplanten Porträt über sich und seine Arbeit als Projektleiter nimmt. Zwischen uns frisch gebrühter Kaffee und Gebäck. Als wir uns 2001 zur ersten gemeinsamen Redaktionssitzung in der Spandauer „Villa Media“ kennenlernten, hatte er gerade mit Christoph Happel vom AK Medienpädagogik und dem Journalisten Rainer Hörmann das Jugend-Online-Magazin Spandau4u.de gegründet und mit aufgebaut. Ich übernahm die Literatur-Sparte. Artikel zu jugendpolitischen oder kulturellen Themen u.v.m. schrieb jeder von uns, Interviews und Internet-Betreuung in Spandauer Jugend-Clubs kamen hinzu. Bernd Grünheid wurde durch Erfahrung, Können und Wissen zum Webmaster unseres Magazins, für das er sich als Redakteur fast 19 Jahre lang engagierte. Und genauso lange verbindet uns nicht nur die Leidenschaft an der Arbeit für das Magazin, sondern auch eine enge Freundschaft.

Das veranlasste Koordinator Bernhard Korte wohl auch zu der Bitte nach einem Porträt über den Menschen hinter dem Projektleiter Bernd Grünheid, der 1957 in Templin/Uckermark als Sohn einer Lehrerin geboren wurde und nach der Flucht der Familie seit 1961 in Berlin-Spandau lebt. Bernd Grünheid wurde nichts geschenkt; vielleicht wollte er auch nichts geschenkt bekommen und finanzierte sich deshalb bereits sein Politikstudium am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin mit verschiedenen Nebenjobs während der Semesterferien. Zum Ende des Studiums arbeitete er bereits als freier Text- und Foto-Journalist für verschiedene Berliner Tageszeitungen. Als die neuen Medien Einzug hielten, wurde er Online-Redakteur, ein Praktikum beim Rhombos-Fachverlag für Forschung, Wissenschaft und Politik folgte. Nach seinem Abschluss arbeitete er als Redakteur und Redaktionsleiter in Berliner Verlagen für Anzeigenzeitschriften. Die Arbeitsintensität ließ ihn über einen langen Zeitraum stets elf Monate des Jahres durcharbeiten, bis auch er endlich zum Jahresende seinen Koffer packen konnte, um unter der Sonne des Südens Erholung zu finden.

Die Zeiten änderten sich – auch im Verlagswesen. Durch Arbeitslosigkeit kam er zum Kulturring, was er noch heute als großes Glück empfindet. „Unternehmerinnen in Spandau“ – so lautete das Thema des ersten Projekts. Aus Interviews mit Geschäftsinhaberinnen entstand unter seiner Federführung und der Leitung von Koordinatorin Astrid Lehmann die Publikation einer Broschüre. Astrid Lehmann war es auch, die Bernd Grünheid 2008 als Direktionsassistenten in das neue Projekt „Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus“ holte. Das Landesarchiv Berlin wurde von nun an sein Einsatzort. Dort lernte er die wissenschaftliche Leiterin des Projekts Dr. Carola Gerlach kennen, die ehrenamtlich die AG „Rosa ­Winkel“ leitete. Dies war der Beginn einer sehr erfolgreichen Zusammenarbeit mit Ausstellungen u. a. in Spandau, Charlottenburg, Potsdam und Treptow. Nach Auslaufen des ersten Rosa-Winkel-Projekts vergingen einige Jahre, bis Bernd Grünheid 2011 erneut ins Projekt gerufen wurde. Gemeinsam mit Dr. Gerlach war er für die Erstellung von Ausstellungstafeln, Texten und Grafik zur HS-Verfolgung zuständig. Die Projektleitung des Rosa-Winkel-Teams wurde Bernd Grünheid, die wissenschaftliche Beratung Dr. Gerlach übertragen. 2013 erfolgte dann die Präsentation der überarbeiteten und ergänzten Ausstellung „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit“ in der Rathausgalerie Charlottenburg. „Zwischen Carola und mir entwickelte sich im Laufe der Jahre bis zu ihrem Tode 2018 eine enge, kollegiale Freundschaft und ein großes Vertrauensverhältnis“, so Bernd Grünheid. Ihr Tod war ein großer Verlust, den er noch heute bedauert.

Als ich Bernd danach frage, aus welchen Beweggründen er 2014 die Entscheidung traf, Mitglied im Kulturring in Berlin e. V. zu werden, antwortet er mir: „Ich bin überzeugt von der wichtigen Kulturarbeit und möchte deshalb den Verein als aktives Mitglied unterstützen. Arbeit, Projekte und Menschen sind mir mittlerweile ans Herz gewachsen“. Wenn er lächelnd vor mir sitzt und sagt, es sei faszinierend, in einem Team zu arbeiten und es zu leiten, in dem Mitarbeiter mit völlig unterschiedlichen Bildungsgraden und Biografien zu einer Gemeinschaft zusammenwachsen – fast wie in einer Familie – denke ich: ja, er ist und bleibt ein Menschenfreund. Ein Mann mit Prinzipien, hohem Anspruch an sich und sein Team, dennoch gutmütig, hilfsbereit und mit viel Herzenswärme.

Wir sprechen über die goldene Ehrennadel des Kulturbunds, die ihm auf Vorschlag des Kulturrings für seine Verdienste und das berufliche Engagement verliehen wurde, eine völlig überraschende Auszeichnung, die ihm irgendwie unangenehm war, weil er nicht gern im Mittelpunkt steht. Und doch hat ihn die Anerkennung gefreut. Er möchte einfach weitermachen, seine Projekte sind stets Herzensangelegenheiten. Wie 2019 die Ausstellung in der Fotogalerie Friedrichshain „Ich bin so! So bin ich! Verfolgung von Trans* und Lesben in der NS-Zeit“, die ein großer Erfolg war und die größte Überraschung und Anerkennung, weil viele Menschen der sexuellen Zielgruppe in die Ausstellung kamen, zwischen den Tafeln standen und diskutierten – ja, die erst dort von der Verfolgung Gleichveranlagter im Dritten Reich erfuhren, und die einfach glücklich waren, dass man sich dem Thema ihrer sexuellen Orientierung und Lebensweise angenommen hatte, weil auch heute noch, im 21. Jahrhundert, Homophobie und Ausgrenzung ein gesellschaftliches Problem sind. Wegen des großen Erfolgs war eine erneute Ausstellung zum September 2020 in Charlottenburg geplant. Doch Corona hat auch hier alle Pläne zunichte gemacht. Es bleibt die Hoffnung auf 2021.

Kein Grund für Bernd Grünheid, nicht mit gekannter Leidenschaft weiterzumachen, so wie er seiner privaten, großen Leidenschaft treu bleibt, die er relativ spät, im Alter von 25 Jahren, entdeckte, als er mit dem Turnier-Tanzen begann. Zuerst war es Rock’n’ Roll-Akrobatik, später wurde es der Boogie-Woogie in der Deutschen Nationalmannschaft. Heute, im gesetzteren Alter, sind es Disco-Fox und Standard-Latein, die den Ausgleich zu Arbeit und allen Verpflichtungen schaffen. Wenn man diesen über einsachtzig großen Mann mit disziplinierter, sehr gerader Körperhaltung und einer bewundernswerten Leichtigkeit tanzen sieht, könne man meinen, er schwebe förmlich über die Tanzfläche. Und spätestens dann wird einem klar, warum er das nötige Knowhow besitzt, in allen Lebenslagen der Beste zu sein, nicht weil er es sein möchte, es liegt einfach in seiner Natur.

Am 6. November 2020 sollte im nordrhein-westfälischen Hattingen im Ruhrgebiet unter dem ­Motto „Hattingen hat Haltung“ eine Aktionswoche für Toleranz und Demokratie gegen das Vergessen stattfinden. Fast alle von der Stadt geplanten Veranstaltungen mussten wegen des Corona-Shutdowns abgesagt werden. Darunter war auch eine Open-Air-Ausstellung der AG Rosa Winkel des Kulturrings in der Altstadt Hattingens zwischen Untermarkt und Krämerdorf, die vom Jugendparlament im Rahmen der Auftaktveranstaltung der Aktionswoche geplant worden war. Hoffentlich findet sich im neuen Jahr eine Gelegenheit, diese Präsentation nachzuholen. Hattingens Bürgermeister Dirk Glaser hatte in seinem Grußwort festgestellt: „Ein Blick in die kurze Geschichte der demokratischen Weimarer Republik und deren Niedergang lassen Parallelen zu heute erkennen und sollte uns verfassungstreuen Demokratinnen und Demokraten daher deutlich lauter werden lassen – Demokratie ist kein Geschenk und erfordert Menschen mit Haltung, Toleranz, Verantwortungsbewusstsein, Weitsichtigkeit und Kompromissfähigkeit.“ Ein Aufruf, der gerade auch im neuen Jahr 2021 für uns alle wichtig ist!

Ingo Knechtel

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