Mein Wohnen in Berlin: Berlin – wir fuhren nach Berlin

Herta Krusche

1954 kam ich mit einer FDJ-Gruppe aus dem Kreis Bad Salzungen zum Deutschlandtreffen nach Berlin, mein erster Besuch in der Stadt. Es war das 2. Deutschlandtreffen „Für Frieden. Einheit. Freiheit“. (Das 1. Deutschlandtreffen fand bereits 1950 statt, das letzte 1964). Schon die Bezeichnung zeigt an, dass damals noch Hoffnung bestand auf ein einheitliches, demokratisches Deutschland, dass also ein friedliches Zusammengehen der beiden deutschen Staaten möglich wäre. Dazu sollten auch die Jugendtreffen einen Beitrag leisten.

Wir fuhren nach Berlin mit umgebauten Güterzügen, was uns nicht störte. Wir waren in freudiger, erwartungsvoller Stimmung. Singend und mit Musikbegleitung kamen wir in Berlin an. In meiner Erinnerung war die Stadt voller junger, fröhlicher Menschen. Es wurde gesungen, getanzt und diskutiert. Ich kann mich nicht erinnern, westdeutsche Jugendliche, die auch teilnahmen, getroffen zu haben. Geschlafen haben wir auf dem Dachboden eines Berliner Mietshauses im Stroh. Das Abenteuerliche gefiel mir. Versorgt wurden wir gut an uns zugewiesenen Stützpunkten. Nicht deutlich in Erinnerung sind mir die nur neun Jahre nach dem Krieg noch sichtbaren Kriegsschäden an den Häusern, die vielen Lücken und Ruinenreste. Deutlich wird das auf einem Foto von der gähnenden Leere auf dem Pariser Platz; links und rechts vom Brandenburger Tor standen nur noch Mauerreste. Trotzdem habe ich eine gute Erinnerung an diesen ersten Besuch in Berlin.

Mein späterer Umzug nach Berlin war schwierig. Damals brauchte man eine Zuzugsgenehmigung, und dazu waren eine Arbeitsstelle und eine Unterkunft erforderlich. Beides hatte ich nicht. Mein Mann arbeitete seit Anfang 1960 im Außenministerium, ich blieb in Weimar als Lehrerin an der Verwaltungsschule. Mein Mann wohnte mit einem Kollegen zusammen in einem Dienstzimmer. Wir führten notgedrungen längere Zeit eine Fernbeziehung. Die Versuche meines Mannes, für uns eine Unterkunft in Berlin zu finden, blieben lange erfolglos. Er suchte in vielen leerstehenden Häusern vergeblich nach einer Notlösung für uns. Ich hatte dann das Glück, dass ich ein Angebot bekam, im VEB Deutscher Zentralverlag im Lektorat anzufangen. Damit wurde die Wohnungssuche noch dringender. Endlich fand sich eine Lösung – wir bekamen ein möbliertes Zimmer in der Wohnung einer Beamtenwitwe in Köpenick in der Mahlsdorfer Straße zugewiesen. 

So zog ich mit einem Koffer nach Berlin. Die Vermieterin war sehr eigen und besorgt um ihre Sachen. Sie machte uns Vorschriften – wir durften die dunklen Möbel nicht verrücken, in der Küche hatten wir nur eine Ecke für uns, der Badeofen durfte nicht geheizt werden, und waschen sollten wir uns nicht über dem Waschbecken, sondern mit einer Waschschüssel über der Badewanne. Es war eine schwierige Zeit. Ich musste die Stadt und die Verkehrsverhältnisse kennenlernen, mich im Verlag einarbeiten und mit den beengten Wohnverhältnissen klar kommen. Und dann wurde ich schwanger. Ein Kind war unter den Wohnverhältnissen in Köpenick undenkbar. Also ging die Wohnungssuche weiter. Endlich fand sich eine Lösung. Wir bekamen zwei Zimmer in einer Dienstwohnung in Pankow, die wir mit einer jungen Familie teilten. Die gemeinsame Nutzung von Küche und Bad funktionierte gut. Dort wurde dann unsere erste Tochter geboren. Allmählich lernte ich die Stadt immer besser kennen. Wir nutzten die Wochenenden zu Ausflügen ins Umland. So fühlte ich mich allmählich heimisch in der Stadt. Ich war angekommen in Berlin.

Inzwischen wohne ich seit 60 Jahren in Berlin. Nach so langer Zeit kann ich mich wohl als echte Berlinerin betrachten, wenngleich ich das Berlinische nicht gut beherrsche. Der Thüringer Tonfall aus Kindheit und Jugend bleibt haften. So wie ich zogen in den letzten Jahrzehnten viele Tausende Menschen aus allen Teilen der Republik und aus dem Ausland nach Berlin. Die Stadt ist ein Sammelbecken der Menschen unterschiedlichster Herkunft, die bis auf Ausnahmen friedlich zusammen leben.

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