Mit Lothar de Maizière auf den Spuren der Hugenotten in Berlin

Doz. Dr. habil. Werner Baumgart

Seit Beginn seiner Tätigkeit hat sich der Kulturring in Berlin e.V. ganz bewusst die Aufgabe gestellt, Menschen mit Migrationshintergrund gezielt in die vom Verein zu leistende kulturelle und Weiterbildungsarbeit einzubinden. Diese integrative Arbeit hat unsere kulturelle Tätigkeit vielseitig geprägt und sehr positiv beeinflusst. Folglich ist es für den Kulturring auch heute nahezu selbstverständlich, dass er sich immer wieder mit der Herkunft geflüchteter Menschen, mit ihrem Werdegang, ihren kulturellen Traditionen und Leistungen befasst, um deren vielfältige kulturelle Erfahrungen in unseren Alltag einfließen zu lassen. Aus diesem Grund haben wir uns in der Veranstaltungsreihe Berlin KulturTouren (BKT) die Aufgabe gestellt, uns mit der Geschichte und den kulturellen Traditionen der in der Vergangenheit zugewanderten Bevölkerungsgruppen zu befassen. So sind wir am 1. Juni 2017 mit fast 30 interessierten BKT-Freunden zur Französischen Friedrichstadtkirche, zum Französischen Dom mit dem Hugenottenmuseum am Berliner Gendarmenmarkt gefahren, um uns dort mit der Geschichte der Berliner Hugenotten, mit ihrem segensreichen wirtschaftlichen und kulturellen Wirken in Berlin und Brandenburg vertraut zu machen.

Dabei haben wir uns bei einer sehr interessanten Führung durch den Dom und das Museum nicht nur mit der Geschichte, mit den wirtschaftlichen, architektonischen, wissenschaftlichen, religiösen und kulturellen Leistungen der Hugenotten der vergangenen 300 Jahren vertraut gemacht, sondern wir haben uns ganz gezielt mit dem Leben und den Leistungen bedeutender Berliner Hugenotten beschäftigt. Rund 40.000 Hugenotten flüchteten in deutsche Regionen, wobei ca. 20.000 nach Brandenburg-Preußen kamen. Hier waren sie herzlich willkommen. Denn Brandenburg war in Folge des Dreißigjährigen Krieges durch marodierende Truppen sehr verwüstet worden. Die Wirtschaft lag am Boden. Krieg, Hunger und Seuchen hatten ungebremst gewütet und die Bevölkerung dramatisch reduziert. 1685 waren die Folgen des Krieges noch lange nicht überwunden. Zum Wiederaufbau der zerstörten Dörfer und Städte fehlte nicht nur das erforderliche Geld, sondern es mangelte vor allem an qualifizierten Menschen.

Französische Buchhändler und Verleger, Theologen, Philosophen, Naturwissenschaftler, wie beispielsweise der Buchhändler Robert Roger, der Mathematiker Leonhard Euler, die Architekten Carl von Gontard und Jean de Boldt, der Physiker und Chemiker Francois Charles Achard, die Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué, Theodor Fontane und Willibald Alexis sowie der populäre Zeichner und Kupferstecher Daniel Chodowiecki - um nur einige wenige zu nennen - haben mit ihren nachhaltigen wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Arbeiten wesentliche Leistungen erbracht und Akzente gesetzt, die die Berliner und Brandenburger bis heute ungemein beeinflusst und geprägt haben. Und was das Allerwichtigste ist: die Hugenotten sind über die Jahrhunderte bestens in die Berliner, in die deutsche Gesellschaft integriert worden. Hier fühlen sie sich zu Hause, fühlen sich ausgesprochen wohl und ausgesprochen deutsch, sodass schon Otto von Bismarck die Hugenotten „als die besten Deutschen“ bezeichnete. Da kommt es auch nicht von ungefähr, dass sie bis heute herausragende politische Ämter in der deutschen Politik und in den Behörden begleiten.Hervorheben möchte ich an dieser Stelle Karl Ernst Ulrich de Maizière, ein deutscher General, der von 1964 bis 1966 als dritter Inspekteur des Heeres und anschließend von 1966 bis 1972 als vierter Generalinspekteur der Bundeswehr gedient hat. Sein jüngerer Sohn ist Thomas de Maizière (CDU), von 2011-13 Bundesminister der Verteidigung und seit Dezember 2013 Bundesinnenminister, ein weiteres Beispiel. Und nicht zuletzt möchte ich an dieser Stelle Dr. h.c. Lothar de Maiziere herausstellen, der in der Wendezeit als ein herausragender deutscher Politiker gewirkt hat. Er war in der DDR von Dezember 1989 bis März 1990 stellvertretender Ministerpräsident in der Modrow-Regierung. Im Dezember 1989 wurde er zum Vorsitzenden der Ost-CDU gewählt, obwohl er, wie er uns selbst sagte, zuvor nicht mal Schriftführer in der CDU gewesen war. Vom 12. April bis zum 2. Oktober 1990 war er dann der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR. In dieser Funktion hat er verantwortlich an der Ausarbeitung des Einigungsvertrages und am Zwei-plus Vier-Vertrag mitgewirkt und letzteren in Moskau mit unterschrieben.

Für unsere Gruppe war es natürlich ein ganz besonderes Ereignis, Dr. Lothar de Maiziere im Rahmen unserer Führung persönlich kennen zu lernen und mit ihm eine Stunde lang über sein Leben, seinen politischen Werdegang, seine Rolle im Einigungsprozess der beiden deutschen Staaten diskutieren zu können. Das war erlebte Geschichte mit Gänsehauteffekt. Spannend, emotional, ergreifend und unvergesslich sowie mit der grundlegenden Erkenntnis: Flüchtlinge sind kein „existenzbedrohendes Phänomen“, sondern sie können für jeden Staat auch ein absolut belebendes Element sein. Flüchtlingen zu helfen, ist eine hohe christliche Tugend, und - wenn die erforderliche Integration mit großem Engagement betrieben und vorangebracht wird - dann wird sie auch gelingen. Davon profitieren dann alle: die deutsche Bevölkerung, die Wirtschaft, der deutsche Staat und nicht zu Letzt die Flüchtlinge selbst. Als krönenden Abschluss des Besuchs der Gruppe gab es noch ein sehr schönes Orgelkonzert, das der Kantor des Ratzeburger Doms Christian Skobowsky auf der Herrmann-Eule-Orgel in der Französischen Friedrichstadtkirche nur für uns gespielt hat.

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